Wie viele Versuchstiere werden pro Jahr in Deutschland in Tierversuchen eingesetzt? Zu welchem Zweck finden die Versuche statt – und wie stark leiden die Tiere? Mit dem „Kompass Tierversuche“ beantwortet die Initiative Tierversuche verstehen diese Fragen auf Basis amtlicher Statistiken und erklärt Hintergründe und Zusammenhänge. Weitere Fact Sheets erläutern die Statistik in den einzelnen Bundesländern und zeigen die jeweils wichtigsten Trends auf. Die Initiative erläutert die Daten, die in die amtliche Erhebung einfließen, und erläutert, was die Statistik bedeutet. Rund 3 Millionen Tiere werden in Deutschland jedes Jahr als Versuchstiere eingesetzt – ein Wert, der seit vielen Jahren stabil geblieben ist. Die Initiative analysiert jedes Jahr die amtliche Tierversuchs-Statistik und erläutert, was die Zahlen bedeuten.
Die Nutzung von Tieren in Deutschland. Die am meisten genutzten Tiere sind Hühner – 620 Millionen Tiere.
In den vergangenen Jahren ist zudem ein wachsendes Forschungsinteresse an so genannten transgenen Mäusen zu beobachten. Sie machen inzwischen fast ein Drittel der Versuchstiere aus. Transgenen Mäusen werden bestimmte Gene aus fremden Organismen eingesetzt oder eines ihrer eigenen Gene wird funktionsuntüchtig gemacht. Gezielt können Forschende eine oder mehrere Erbanlagen verändern und die Auswirkungen am lebenden Tier untersuchen.
Seit 2014 werden mehr Tierversuche erfasst, weil im Vorjahr die Richtlinie 2010/63/EU der Europäischen Union auch in Deutschland eingeführt wurde und sich damit die [sta_anchor id=“veränderte Zählweise“] verändert hat. Die neue Verordnung erweiterte die Meldepflicht für Versuchstiere und für bestimmte Tiergruppen. So wurden beispielsweise bis 2013 alle Tiere erfasst, mit denen ein Versuch begonnen wurde. Seit 2014 müssen Forschende die Zahl der Versuchstiere hingegen erst dann melden, wenn sie den Versuch abgeschlossen haben. In der Übergangszeit sind daher einige Tiere mehrfach in die Versuchstierstatistik eingegangen. Eine weitere Änderung betrifft die Zählung transgener Tiere: Bisher wurden Zuchttiere in der Statistik nicht berücksichtigt, seit 2014 werden sie hingegen teilweise mitgezählt. Dadurch ist laut Statistik die Zahl gestiegen, obwohl nicht mehr Tiere eingesetzt wurden. Die Daten für 2014 sind daher nur eingeschränkt mit den Zahlen der Vorjahre zu vergleichen.
Die meisten Versuchstiere werden in der Grundlagenforschung benötigt. Seit 2000 ist ihre Zahl kontinuierlich gestiegen. 35 Prozent der Tiere werden 2019 für Experimente in diesem Bereich eingesetzt. Weitere 10 Prozent beansprucht die sogenannte translationale und angewandte Forschung. Das sind Forschungsprojekte mit einem direkten Bezug zu bestimmten Erkrankungen. 24 Prozent der Tiere werden getötet, damit ihnen Gewebe oder Organe für wissenschaftliche Zwecke entnommen werden können. Häufig ist das die Grundlage für so genannte Alternativ- und Ergänzungsmethoden, mit denen langfristig die Zahl der Tierversuche reduziert werden soll. Zudem werden Versuchstiere für gesetzlich vorgeschriebene Sicherheitstests, Qualitätskontrollen und Giftigkeitstests eingesetzt (16 Prozent). Diese sind beispielsweise eine Voraussetzung für die Zulassung von Medikamenten.
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft veröffentlicht jedes Jahr die aktuellen Tierversuchszahlen. Laut der jüngsten Erhebung aus 2019 wurden in Deutschland rund 2,9 Millionen Tiere für wissenschaftliche Zwecke eingesetzt. Davon wurden an 2.202.592 Tieren Versuche durchgeführt. 699.756 wurden für eine Organentnahme getötet (kein Tierversuch).
Am häufigsten wurden 2019 Mäuse eingesetzt (ca. 1.4 Millionen Tiere). Des Weiteren wurden rund 197.000 Ratten (9,3 Prozent), 347.543 Fische (13,6 Prozent), 35.718 Vögel (1,5 Prozent) für Versuchszwecke verwendet. Zum Vergleich: weitere Versuche wurden an 1.678 Hunden (0,12 Prozent) und 3.472 Affen und Halbaffen (0,12 Prozent) durchgeführt.
In etwa 20 deutschen und europäischen Gesetzen und Verordnungen sind Tierversuche verbindlich vorgeschrieben. Dazu gehören die Gesetze für Arzneimittel, Chemikalien, Futtermittel, Gentechnik, Infektionsschutz, Lebensmittel- und Bedarfsgegenstände, Pflanzenschutz und Tierseuchen. Während Tierversuche für wissenschaftliche Zwecke von den zuständigen Behörden genehmigt werden müssen, müssen gesetzlich vorgeschriebene Tierversuche lediglich gemeldet werden.
Alle Personen, die mit Versuchstieren umgehen und Versuche durchführen, müssen eine spezielle Ausbildung nachweisen. Das gilt für Tierpfleger*innen und Tierärzt*innen, für Wissenschaftler*innen und Mitarbeiter*innen, die die Tierversuche durchführen, sowie für die verantwortlichen Versuchsleiter*innen.
So häufig wie möglich wählen Forscher*innen Methoden, die ohne Versuchstiere auskommen. Universitäten, Wissenschaftler*innen und Fachbehörden verstärken die Suche nach alternativen Methoden, die Tierversuche ersetzen. In vielen Labors gehören sie bereits zum wissenschaftlichen Alltag.
Diese Entwicklung verläuft ganz im Geist der Basler Deklaration von 2010. Darin verpflichteten sich Wissenschaftler im In- und Ausland auf das so genannte „3R-Prinzip“: Die englischen Begriffe Replace, Reduce, Refine stehen für das Bemühen, Tierversuche wenn möglich zu vermeiden, dabei möglichst wenige Versuchstiere einzusetzen, die Belastung für die Tiere zu verringern und ihre Lebenssituation zu verbessern.
Vor allem die Grundlagenforschung wird jedoch auf absehbare Zeit nicht auf Tierversuche verzichten können. Die Zusammenhänge im Organismus von Lebewesen sind viel zu komplex, als dass sie mit den bis jetzt entwickelten Alternativmethoden erforscht und erklärt werden könnten.
In der Basler Deklaration hat sich die Wissenschaft selbst verpflichtet, mit der Öffentlichkeit einen intensiven und vorurteilsfreien Dialog über Tierversuche zu führen.