Die Schaffung angemessener rechtlicher Rahmenbedingungen für die Durchführung von Tierversuchen erfordert eine sorgfältige und verantwortungsvolle Abwägung verschiedener Interessen.
Im deutschen Grundgesetz ist das Recht jedes Menschen auf Leben und körperliche Unversehrtheit verankert (Art. 2). Verbindliche Grundsätze für Versuche am Menschen wurden erstmals in der Geschichte im Nürnberger Kodex 1947 festgelegt. Der Kodex war ein Ergebnis der Prozesse gegen Ärzt*innen, die wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der NS-Diktatur vor einem US-Militärtribunal standen. Als Teil der Urteilsbegründung formulierte das Gericht den Nürnberger Verhaltenskodex für Mediziner*innen.
Auf der Basis dieses Dokuments verabschiedete der Weltärztebund 1964 eine Leitlinie für die biomedizinische Forschung am Menschen. Sie ist als „Deklaration von Helsinki„ weltweit verbindlich (aktuelle Revision von 2013).
Die Deklaration besagt, dass Versuche am Menschen nur zulässig sind, wenn die Risiken für Patient*innen so weit wie irgend möglich minimiert wurden. Eine solche Einschätzung bzw. Minimierung der Risiken für die Teilnehmer*innen an klinischen Studien ist nur auf der Basis umfassender wissenschaftlicher Vorkenntnisse möglich. Daher legt die Deklaration weiterhin fest, dass Forschungen am Menschen erst dann durchgeführt werden dürfen, wenn alle anderen wissenschaftlich gebotenen Erkenntnismöglichkeiten der Forschung ausgeschöpft sind. Dazu gehören auch Tierversuche.
Auf Basis dessen ist die Durchführung von Tierversuchen im Arzneimittelgesetz sowie in den geltenden Arzneimittelprüfrichtlinien ausdrücklich vorgesehen. Der mögliche Nutzen für Patient*innen, die von einer neuen Behandlung profitieren, und die Belastung für die im Tierversuch verwendeten Tiere müssen also im Verhältnis betrachtet werden.
Im deutschen Grundgesetz ist die Wissenschaftsfreiheit als vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht festgeschrieben (Art. 5 Abs. 3 GG). Die Wissenschaftsfreiheit schützt das Erkenntnisstreben als Ausdruck menschlicher Eigenart und damit als einen Gesichtspunkt der Menschenwürde.
Der Tierschutz wurde im Jahr 2002 als Staatsziel in die Verfassung aufgenommen. In Artikel 20a des Grundgesetzes heißt es seitdem: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“ Damit wird sichergestellt, dass der Tierschutz bei Abwägungsentscheidungen angemessen berücksichtigt wird.
Die Konflikte zwischen der Verpflichtung, die menschliche Gesundheit zu erhalten und zu verbessern, dem wertvollen Gut der Wissenschaftsfreiheit und dem wichtigen Anliegen, Schmerzen und Leiden von Tieren zu vermeiden, können nicht durch pauschale Urteile gelöst werden. Die Tierschutzgesetzgebung in Deutschland und Europa sieht daher als zentrales Element eine sorgfältige Prüfung und Abwägung jedes einzelnen Tierversuches vor.
Das deutsche Tierschutzgesetz definiert Tierversuche als „Eingriffe oder Behandlungen zu Versuchszwecken an Tieren, wenn sie mit Schmerzen, Leiden oder Schäden für diese Tiere verbunden sein können“.
Tierversuche sind in Deutschland durch eine Vielzahl an Gesetzen und Verordnungen geregelt. Zentrale Rechtsnormen sind das Tierschutzgesetz (TierSchG) und die Tierschutz-Versuchstierverordnung (TierSchVersV), die zuletzt 2021 aktualisiert wurden. Der Grundsatz des Tierschutzgesetzes ist in Paragraph 1 formuliert: „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schaden zufügen.”
In den Paragraphen 7 bis 9 schränkt das Tierschutzgesetz die Durchführung von Tierversuchen ein. Demnach dürfen diese nur durchgeführt werden, wenn sie unerlässlich sind. Wann dies der Fall ist, legt das Tierschutzgesetz unter Paragraph 7a fest. Diese Gesetzesregelung verpflichtet Forschende auch, wenn möglich auf vorhandene Alternativmethoden zurückzugreifen.
Versuche an Wirbeltieren oder Kopffüßern (z.B. Kraken, Tintenfische), auch zur Aus-, Fort- und Weiterbildung, sind genehmigungspflichtig. Wissenschaftler*innen, die einen genehmigungspflichtigen Tierversuch planen, müssen in einem Antrag ausführlich beschreiben, welche und wie viele Tiere sie verwenden möchten, wie genau der Versuch abläuft und warum sie keine Alternativmethoden einsetzen oder Tiere verwenden können, die unter den spezifischen Versuchsbedingungen weniger leiden würden. Aus dem Antrag muss außerdem hervorgehen, warum der Versuch „ethisch vertretbar“ ist. Dafür müssen Forschende wissenschaftlich begründet darlegen, dass die Gesamtbelastung des Versuches für das Tier durch den zu erwartenden Nutzen gerechtfertigt ist.
Alle Einrichtungen, die Tierversuche durchführen, sind verpflichtet, mindestens einen Tierschutzbeauftragten zu bestellen. Dieser ist zusammen mit dem Tierschutzausschuss, dem auch Wissenschaftler*innen und Tierpfleger*innen angehören, für alle Tierschutzangelegenheiten zuständig. Jeder Tierversuchsantrag wird vom Tierschutzbeauftragten überprüft. Tierschutzbeauftragte sind i.d.R. Personen mit abgeschlossenem Studium der Veterinärmedizin. Sie achten auf die Einhaltung der Vorschriften und Auflagen im Interesse des Tierschutzes. Zusätzlich beraten sie die Forscher*innen hinsichtlich der Tierhaltung, der Versuchsdurchführung und der Antragsformalitäten.
Der Genehmigungsantrag muss dann bei der zuständigen Behörde eingereicht werden. Abhängig vom Bundesland sind das häufig die Landesgesundheitsämter oder das Regierungspräsidium. Die Landesbehörde überprüft, ob der Antrag vollständig und das Forschungsvorhaben nachvollziehbar sind. Dabei wird die Behörde von einer Tierversuchskommission unterstützt. Diese setzt sich aus fachkundigen Tierärzt*innen, Ärzt*innen und Wissenschaftler*innen sowie Mitgliedern verschiedener Tierschutzorganisationen zusammen. Ihre Aufgabe besteht darin, die Genehmigungsbehörde hinsichtlich ethischer und rechtlicher Aspekte zu beraten sowie auf die bestmögliche Umsetzung des 3R-Prinzips zu achten.
Bei genehmigungspflichtigen Tierversuchen müssen der zuständigen Behörde gemäß Versuchstiermeldeverordnung Art, Herkunft und Zahl aller verwendeten Wirbeltiere oder Kopffüßer sowie Zweck, Art und Schweregrad der Versuche gemeldet werden (weitere Informationen zum Thema „Belastung von Versuchstieren“ gibt es hier). Diese Meldung hat aber nichts mit dem Genehmigungsverfahren zu tun, sondern dient der statistischen Erfassung der durchgeführten Tierversuche – zu der Deutschland gemäß Artikel 54 der EU-Richtlinie verpflichtet ist.
Gemeldet werden müssen auch Tiere, die getötet werden, um Organe oder Gewebe für wissenschaftliche Zwecke zu verwenden (Zahlen und Fakten finden Sie hier). Wenn Forschende ein Tier tierschutzgerecht töten, um Zellen, Organe oder Gewebe zu entnehmen, gilt dies juristisch nicht als Tierversuch. Sobald Wissenschaftler*innen Tierversuche durchführen, unterliegen sie weiteren strengen Kontrollen durch intern benannte Instanzen, Amtstierärzt*innen sowie die zuständige Behörde.
Verboten sind Tierversuche zur Entwicklung oder Erprobung von Waffen, Munition und dazugehörigem Gerät sowie zur Entwicklung von Tabakerzeugnissen, Waschmitteln und Kosmetika. Bei Verstößen können Bußgelder in Höhe von bis zu 25.000 Euro oder sogar Freiheitsstrafen verhängt werden. Ein Verbot der Versuchsdurchführung und ein Tierhaltungsverbot sind ebenfalls möglich.
Deutschland ist völkerrechtlich an das Europäische Übereinkommen des Europarates zum Schutz der für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke verwendeten Wirbeltiere (ETS Nr. 123) gebunden. Zudem existiert seit 1986 eine EU-Richtlinie zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere, die als Rechtsakt durch alle Mitgliedstaaten umgesetzt werden muss. 2010 trat eine Revision der alten EU-Richtlinie 86/609/EWG in Kraft. 2013 wurde das deutsche Tierschutzgesetz der neuen Richtlinie 2010/63/EU angepasst.
Grundlage der Europäischen Union ist, dass die 27 EU-Mitgliedstaaten Zuständigkeiten auf die EU bzw. ihre Organe übertragen können. Die EU wird dadurch legitimiert, Rechtsakte zu erlassen, die für alle Mitgliedstaaten bindend sind. Man unterscheidet dabei EU-Verordnungen, die unmittelbar wirksam und verbindlich sind, und EU-Richtlinien, welche die Mitgliedstaaten in nationales Recht umsetzen müssen.
Ähnliche Abwägungen verschiedener Rechtsgüter wie sie die Durchführung von Tierversuchen nach deutschem Recht erfordert, gibt es auch auf europäischer Ebene.
Der Europarat, eine 1949 gegründete internationale Organisation von 47 europäischen Staaten, hat im Jahr 1986 das „Europäische Übereinkommen zum Schutz der für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke verwendeten Wirbeltiere“ verabschiedet (ETS Nr. 123). Das Vertragswerk hatte maßgeblichen Einfluss auf das EU-Tierversuchsrecht. Es legte unter anderem fest, dass Tierversuche nur für besondere Zwecke erlaubt sind, dass sie dem sogenannten 3R-Prinzip genügen müssen und dass für besonders belastende Versuche eine Genehmigungs- oder Anzeigepflicht besteht. Das Übereinkommen wurde von 21 Mitgliedstaaten sowie der Europäischen Union (Beschluss 1999/575/EG) ratifiziert, die sich damit zu seiner Umsetzung verpflichtet haben.
Der Rat der Europäischen Union verabschiedete 1986 die Richtlinie 86/609/EWG „zur Annäherung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten zum Schutz der für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere“. 2010 ist die novellierte „Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere“ (2010/63/EU) an ihre Stelle getreten. Ziel der Richtlinie ist es, die zum Teil stark auseinandergehenden Regelungen der einzelnen EU-Mitgliedstaaten zu vereinheitlichen. Ein Schwerpunkt der Bestimmungen der Richtlinie ist dabei die Durchsetzung des 3R-Prinzips für Tierversuche auf europäischer Ebene.
Mit dem 1997 beschlossenen und zwei Jahre später in Kraft getretenen Vertrag von Amsterdam, wurde der Vertrag über die Europäische Union durch ein „Protokoll über den Tierschutz und das Wohlergehen der Tiere“ ergänzt. Die darin gegebene Empfehlung wurde durch den 2009 in Kraft getretenen Lissabon-Vertrag als zu berücksichtigende Querschnittsbestimmung in Art. 13 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) niedergelegt.
Ebenfalls 1997 verabschiedete der Europarat das Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin des Europarates („Bioethikkonvention“, SEV Nr.164). Das Übereinkommen griff die Prinzipien der Helsinki-Konvention (s.o.) auf und besagt, dass Forschung an Menschen nur zulässig ist, wenn „es keine Alternative von vergleichbarer Wirksamkeit [gibt]“ und „die möglichen Risiken für die Person […] nicht im Missverhältnis zum möglichen Nutzen der Forschung [stehen]“ (Art. 16).
Im Jahr 2000 hat man die EU-Grundrechtecharta verabschiedet, in der erstmals Grund- und Menschenrechte im Rahmen der EU schriftlich festgehalten wurden. Zunächst war die Charta nicht rechtlich bindend. Mit dem Vertrag von Lissabon 2009 änderte sich der Status der Grundrechtecharta zu bindendem Primärrecht (Art. 6 Abs. 1 EU-Vertrag, EUV). Art. 13 der Charta gewährleistet die Freiheit der Wissenschaft, Art. 35 ein hohes Gesundheitsschutzniveau für die Bürger der EU – diese Grundrechte müssen also ähnlich wie in Deutschland mit dem Anliegen eines möglichst hohen Tierschutzniveaus in Einklang gebracht werden.
Auf internationaler Ebene gibt es bisher wenig einheitliche Regelungen zum Tierschutz, und die meisten Länder haben eigene Vorschriften und Gesetze.
Das deutsche Tierschutzgesetz gehört zu den strengsten weltweit. In den USA gibt es zwar auch gesetzliche Regelungen, diese sind jedoch weniger streng als in Europa. So ist der „Animal Welfare Act“ von 1966 das einzige bundesweit gültige Gesetz in den USA, welches die Behandlung von Tieren in der Forschung regelt. Auf der offiziellen Homepage der US-amerikanischen Regierung bezeichnet man es als Minimalstandard des Tierschutzes. Das Gesetz gesteht den einzelnen Forschungseinrichtungen viel Freiheit, aber auch Verantwortung bei ihren Tierversuchen zu.
Die rechtliche Beurteilung von Tierversuchen in Japan ähnelt der in den USA. Auch in Japan ist jedes Forschungsinstitut selbst verantwortlich für die Kontrolle der Versuche. Anders als in den USA ist jedoch keine Registrierung vorgeschrieben, und die Versuchstierhaltung kommt ohne jegliche staatliche Kontrollen aus.
In Kanada ist das „Canadian Council on Animal Care“ (CACC) verantwortlich für die nationale Aufsicht über Tierversuche. Die Organisation wurde 1968 gegründet und soll wissenschaftliche Experimente mit Tieren innerhalb Kanadas überprüfen und gegebenenfalls Verbesserungen vorschlagen.
In Australien gilt der „Australian code for the care and use of animals for scientific purposes“. Diesem liegt das 3R-Prinzip zugrunde. Es bildet die ethische Grundlage und beinhaltet leitende Prinzipien für alle Forschenden, die mit Tieren arbeiten. Im Detail beschreibt es, welche Verantwortung Forschende, Tierpfleger*innen, Institutionen und australische Ethik-Kommissionen haben – ebenso, welche Verfahren gegen sie eingeleitet werden können, wenn sie sich nicht an die Vorschriften halten.
Im Nachbarland Neuseeland gilt seit 1999 der „Animal Welfare Act“, welcher ebenfalls auf dem 3R-Prinzip beruht und den Tierschutz regelt. Das Gesetz wurde seit 1999 kontinuierlich fortentwickelt.
Trotz der genannten Beispiele für Länder, in denen man den Tierschutz gesetzlich regelt, gibt es viele Staaten, in denen nur lockere oder auch gar keine Regelungen bestehen. In China beispielsweise können Firmen und Institute frei entscheiden, ob und wie sie Tierversuche durchführen. In Indien gibt es ebenfalls nur wenige Vorschriften.
Auch wenn der Tierschutz international unterschiedlich geregelt ist, hat sich die internationale Wissenschaftsgemeinschaft auf gewisse einheitliche Standards geeinigt. Das spiegelt sich beispielsweise in den Regeln der internationalen Fachmagazine wider: Forschende dürfen ihre Ergebnisse dort nur dann veröffentlichen, wenn sie versichern, dass alle Experimente in Übereinstimmung mit den nationalen Gesetzen und institutionellen Leitlinien erfolgt sind. Eine Empfehlung sind die „ARRIVE Guidelines for Reporting Animal Research“. Auf dieser Grundlage entscheiden die Fachmagazine, ob sie Beiträge veröffentlichen oder nicht.
Tierversuche in der Forschung – Empfehlungen zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2010/63/EU in deutsches Recht
Stellungnahme der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften