Ständig werden überall auf der Welt bahnbrechende Erkenntnisse in der biomedizinischen Forschung erlangt, die letztlich dabei helfen sollen, Krankheiten zu heilen. Auch in Deutschland dreht sich das Forschungsrad unaufhörlich – und es scheint nahezu unmöglich, einen Überblick über die wichtigsten Durchbrüche zu behalten. In einer Auswahl finden sich im „Kompass Tierversuche“(S. 24 – 26) einige aktuelle Forschungshighlights. Nachstehend haben wir dazu einige nützliche Hintergrundinformationen zusammengetragen.
Preisträger*innen Ursula M. Händel-Tierschutzpreis 2022
Interview „Würzburg Initiative 3R (WI3R)“:
Das Forschungsteam „Würzburg Initiative 3R (WI3R)“ entwickelt Gewebemodelle zum Ersatz von Tierversuchen. Genutzt wird diese Technologie beispielsweise in der Infektions- und Krebsforschung sowie bei der Testung von Kosmetika, Nahrungsergänzungsmitteln und medizinischen Produkten wie Medikamenten oder Impfungen. Die Initiative erhielt den Preis für die Entwicklung und Anwendungsreife von sechs Gewebemodellen außerhalb außerhalb des leben Organismus (In-vitro-Modellen) der Barriereorgane Haut, Hornhaut des Auges (Kornea), Darm, Blut-Hirn-Schranke und Lunge sowie für Neubildungen von Gewebe (solide Tumoren).
Hier das komplette Interview mit „WI3R“ nachlesen!
Interview mit Dr. Michael Melzer:
Dr. Michael Melzer ist Wissenschaftler an der Universität Ulm und entwickelt sogenannte Organmodellsysteme um damit die Entstehung und Entwicklung von Tumoren in der Bauchspeicheldrüse ohne den Einsatz von Tierversuchen erforschen zu können. Dafür nutzt er die Harnblasen von ohnehin für die Lebensmittelproduktion geschlachteten Schweinen. Auf diesen wiederum züchtet er stammzellenbasierte Bauchspeicheldrüsen-Zellen (sog. Pankreaszellen) und beobachtet sodann ihre Reifung, Veränderung, aber auch die Invasion von Tumorzellen. Das Organmodellsystem von Dr. Melzer leistet einen wichtigen Beitrag zur Verringerung von Tierversuchen, denn es hilft dabei den Einsatz von Mäusen in der Pankreas-Forschung auf ein absolut notwendiges Maß zu beschränken.
Hier das komplette Intierview mit Dr. Michael Melzer nachlesen!
Das sogenannte Matrigel ist ein Hydrogel mit speziellen Eigenschaften. Es wird aus der extrazellulären Matrix von Engelbreth-Holm-Swarm-Sarkomen gewonnen. Diese Sarkom-Zellen bzw. kleinere Tumorstücke werden Mäusen implantiert. Sobald die Tumoren eine entsprechende Größe erreichen, werden sie wieder entnommen und die extrazelluläre Matrix aufgereinigt.
Neben anderen Matrizes, die auf ähnliche Weise gewonnen werden, stellt Matrigel eine weit verbreitete Formulierung dar. Matrigel ist dabei ein Hydrogel, das in gefrorenem Zustand gelagert wird. Durch seine spezielle proteinreiche Zusammensetzung ist es nur bei Temperaturen über dem Gefrierpunkt flüssig und nimmt bei höheren Temperaturen eine feste Form an. So eignet es sich als dreidimensionales Gerüst für Zellen, die in diesem Hydrogel sogenannte Organoide ausbilden können.
Das Engelbreth-Holm-Swarm-Sarkom ist ein Tumor, der in einer Maus heranwächst und aus dem anschließend das Matrigel hergestellt wird. Für die Berechnung der Menge an Matrigel, die pro Maus gewonnen werden kann, haben wir folgende Annahmen aufgestellt:
Bei einer Maus wird die Tumorgröße von Tumoren unter der Haut von bis zu 1 cm Durchmesser als mittelgradig belastend eingeschätzt, größer sollte ein Tumor daher nicht werden. Ein Tumor mit 1 cm Durchmesser hat ein Volumen von 0,52 Kubikzentimeter. Geht man sehr vereinfacht von einer Dichte von 1 aus, hat der Tumor 0,52 g. In einer älteren Publikation wurde einmal beschrieben, dass aus 1 g des Engelbreth-Holm-Swarm-Sarkoms ca. 1,5 ml Matrigel gewonnen werden können (Preparation of Basement Membrane Components from EHS Tumors – Kleinman – 1998 – Current Protocols in Cell Biology – Wiley Online Library). Aus 0,52 g würde man daher genau genommen 0,78 ml Matrigel erhalten. Zur vereinfachten Rechnung, und da die Gewinnung des Matrigels effizienter geworden ist, gehen wir daher grob von 1 ml Matrigel pro verwendeter Maus aus.
„Um ein Organoid der Bauchspeicheldrüse in einem Kulturgefäß wachsen zu lassen, benötigt Dr. Melzer in etwa 150 Mikroliter (μl) Matrigel. Auf der Schweineharnblase reichen ihm dagegen nur 30 μl Matrigel pro Organoid – ein Fünftel der Menge.“
Mit dem Matrigel, welches aus einer Maus gewonnen wurde, lassen sich mit Hilfe der Schweineharnblase 33 Organoide ansetzen (1000 ml geteilt durch 30 ml ergibt 33,3).
Braucht man statt den 30 ml aber 150 ml ohne die Nutzung der Schweineharnblase, so können aus dem Matrigel aus einer Maus nur 6,6 Ansätze erstellt werden (1000 ml geteilt durch 150 ml ergibt 6,6). Möchte man ebenfalls auf 33 Ansätze kommen werden also 5 Mäuse benötigt (5 mal 6,6 ergibt 33).
Video: Wie Forscher mit gezüchteten Mini-Gehirnen medizinische Rätsel lösen
Organoide sind bereits ein wichtiger Bestandteil der biomedizinischen Forschung. Aus einem flachen Zellverband wächst im Reagenzglas ein dreidimensionaler Körper heran. Aus Stammzellen entstehen Miniatur-Versionen von Organen wie Leber, Darm, Niere, Netzhaut oder Gehirn. Doch wie funktioniert das? Wie helfen Organoide der Forschung weiter? Werden sie Tierversuche einmal vollständig ersetzen?
Weiterführende Links
Video: Mein Wunder Punkt: Die Entwicklung von Cochlea-Implantaten