Die Corona-Pandemie verdeutlicht einmal mehr die tiefgreifende Bedeutung von Medikamenten und Impfstoffen für die Bevölkerung. Für die Entwicklung der jetzt eingesetzten Corona-Impfstoffe waren Tierversuche erforderlich. Das ist jedoch keine Besonderheit, sondern die Regel: Fast alle grundlegenden Fortschritte in der Medizin beruhen auf Ergebnissen, die zuvor durch Tierversuche erzielt worden sind. Gerade in der Erforschung von Krankheitserregern spielen diese eine entscheidende Rolle. Der Medizin-Nobelpreis wurde seit 1900 an etwa 70 Forschende verliehen, die ihre Erkenntnisse auf Basis tierexperimenteller Forschung gewonnen haben.
Die nachfolgende Liste zeigt einen Auszug aus bedeutenden Errungenschaften der Medizin, durch die bekannte Volkskrankheiten entweder gänzlich geheilt oder deutlich gelindert werden können. Jedem dieser Medikamente gingen wichtige Erkenntnisse im Tierversuch voraus.
Lepra ist eine chronische Infektionskrankheit mit einer langen Inkubationszeit, die durch Bakterien der Art Mycobacterium leprae ausgelöst wird. Die Krankheit führt zu einer auffälligen Veränderung an Haut, Schleimhäuten und Nervengewebe. Unbehandelt führt Lepra zu schweren körperlichen Behinderungen und schweren Haut-, Augen- und Nervenschädigungen. 1982 empfahl die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Einsatz einer Kombinationstherapie, die die Fälle von Lepra weltweit um 97% reduzierte.
Wichtige Erkenntnisse erlangten Forschende durch Tierversuche mit Mäusen und Gürteltieren. Die Kultivierung des Bakteriums in Mäusepfoten war eine entscheidende Voraussetzung, um Auswahl- und Prüfverfahren von Medikamenten gegen Lepra durchführen zu können. Auf diese Weise erlangten die Forschenden ein tieferes Verständnis der Wirkmechanismen antibiotischer Arzneistoffe, die seit den 1940er Jahren gegen Lepra eingesetzt wurden.
Die Lepra-verursachenden Bakterien sind bis heute nicht im Labor kultivierbar. Daher ist in der Impfstoffentwicklung das Neunbinden-Gürteltier zu der Hauptquelle der Bakterien für den Impfstoff und zu einem wichtigen Forschungsmodell geworden. Der Einsatz von Gürteltieren in der Lepraforschung reicht zurück bis in die 1970er Jahre. Durch ihren Einsatz konnten Wissenschaftler*innen einen experimentellen Impfstoff gegen Lepra entwickeln, das Verständnis der Krankheit verbessern und zur Entwicklung von Behandlungsmethoden beitragen.
Die Diabetes mellitus (dt. Zuckerkrankheit) bezeichnet eine Gruppe von Stoffwechselstörungen, die auf einem Mangel von Insulin beruhen und zu einer chronischen Überzuckerung führen. Die Zuckerkrankheit kann langfristig zu schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen. Unzähligen Menschen, die an der Zuckerkrankheit leiden, retten Insulin-Injektionen heute täglich das Leben. Es waren Tierversuche mit Hunden, die zur Entdeckung des Insulinhormons führten.
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Mehr InformationenBereits 1889 entdeckten Wissenschaftler*innen mit der Erforschung der Bauchspeicheldrüse von Hunden eine wichtige Ursache für Diabetes mellitus. In den 1920er-Jahren isolierten Forschende zum ersten Mal das Hormon Insulin aus der Bauchspeicheldrüse von Kälbern. Mit Unterstützung eines Chemikers schafften sie es schließlich, reines Insulin zu isolieren. So legten sie den Grundstein für die erste Therapie von Diabetes.
Die Spinale Muskelatrophie (SMA) ist eine sehr seltene Muskelschwund-Krankheit, die durch fortschreitendes Absterben von motorischen Nervenzellen im Rückenmark verursacht wird. SMA führt bei betroffenen Kindern häufig zu einem frühen Tod. Mit Hilfe des Wirkstoffes Nusinersen gelangen vor einigen Jahren nie zuvor gesehene Therapiefortschritte. Tierversuche ebneten den Weg zu der vielversprechenden Therapie.
Ursache für SMA ist ein Gen-Defekt. Fehlt das Produkt des Gens SMN1, entwickeln Betroffene die Muskelschwunderkrankung. In diesem Fall springt als Ersatz das Gen SMN2 ein und gleicht den Defekt aus – allerdings nur unzureichend. Im Normalfall wird in den Zellen nur sehr wenig funktionierendes SMN2-Produkt hergestellt. Diesen Prozess haben die Forschenden eingehender untersucht. Dafür haben sie Mäusen das defekte SMN1-Gen eingesetzt. Mit der Hilfe von Wirkstoff-Screenings fanden sie heraus, welche Substanz die körpereigene SMN2-Produktion verstärkt und somit den Gendefekt besser ausgleichen kann.
Das unabhängige Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen stellte Anfang 2021 einen „erheblichen Zusatznutzen bei Kindern mit frühem Krankheitsbeginn“ fest: „Die Behandlung zögert eine dauerhafte Beatmung der Kinder hinaus und verlängert das Leben. Zudem entwickeln die Kinder mehr motorische Fähigkeiten.“
Die Parkinson-Krankheit oder Morbus Parkinson ist eine der weltweit häufigsten Erkrankungen des Nervensystems. Die Gesamtzahl der Parkinson-Kranken in Deutschland wird auf 250.000 bis 400.000 geschätzt. Die ersten Parkinson-Symptome treten meistens im Alter zwischen 50 und 60 Jahren auf. Die Erkrankung schreitet danach immer weiter fort und geht einher mit Zittern, Muskelsteifigkeit, Gedächtnisstörungen und Verlangsamung in den Bewegungen bis hin zum völligen motorischen Stillstand des Körpers. Die Erforschung der Parkinson-Krankheit von ihren Anfängen bis heute wird von Experimenten mit Tieren begleitet. Vor allem Kaninchen, Mäuse, Ratten und Affen kamen und kommen dabei zum Einsatz.
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Mehr InformationenDurch Versuche mit Kaninchen in den 1950er-Jahren kam man der möglichen Ursache näher. Mit der Substanz Dopamin konnten die Forschenden Tiere, die an einer Art Schlafkrankheit litten, davon befreien. Später gelang dies auch mit Levodopa, einer Vorstufe des Dopamins, die im Hirn zu Dopamin umgewandelt wird. Levodopa ist heute ein wichtiges Medikament zur Behandlung von Parkinson-Patienten.
Brustkrebs ist weltweit die zweithäufigste Krebsart. Jährlich werden 1,6 Millionen neue Fälle registriert. Rund eine halbe Millionen Patient*innen sterben jedes Jahr an Brustkrebs. Früherkennung und gute Behandlungsmethoden haben in höher entwickelten Regionen zu Überlebensraten von bis zu 80% geführt. Bereits in den 1930er Jahren haben Forschende im Tierversuch den Wirkstoff Tamoxifen entdeckt.
Als weiterer Meilenstein in der Brustkrebsforschung gilt der Antikörper Trastazumab, der an das Brustkrebs-fördernde Protein HER2 bindet. Die Entdeckung von HER2 gelang Forschenden in der 1980er Jahren, nachdem sie an Ratten neurologische Tumore untersucht hatten. Der Erfolgs von Trastazumab im Frühstadium des Brustkrebses war der größte, von dem seit der Einführung von Tamoxifen berichtet wurde.
Mit der Entdeckung des HIV-Erregers im Jahr 1983 geriet die HIV / AIDS-Pandemie ins Bewusstsein: Heute sind weltweit etwa 40 Millionen Menschen mit dem HI-Virus infiziert, jährlich stecken sich zwischen 1 und 2 Millionen Menschen neu damit an. AIDS schwächt das Immunsystem, sodass andere Infektionen oder Krebserkrankungen zum Tod führen können. Heute lässt sich der Ausbruch von AIDS trotz einer HIV-Infektion mit Medikamenten unterdrücken.
Vor allem durch Azidothymidin (AZT), ein Medikament gegen die sogenannten Retroviren, können Ärzt*innen HIV bei Patient*innen unter Kontrolle bringen. Forschende setzten das Mittel bereits vor der AIDS-Epidemie bei Mäusen ein. Die Wirkung von AZT gegen HIV konnte an Versuchstieren rasch bestätigt werden. Im Jahr 1987 wurde es zum ersten Mittel gegen Retroviren zur Behandlung von AIDS und HIV injiziert.
Asthma bronchiale (Asthma) ist eine chronische Lungenerkrankung, bei der die Atemwege chronisch entzündet sind. Die Lunge reagiert gleichzeitig gegenüber verschiedenen Reizen übermäßig empfindlich. Asthma ist in der heutigen Gesellschaft über alle Altersgruppen hinweg eine der häufigsten chronischen Erkrankungen. Tierversuche sind von zentraler Bedeutung für das Verständnis von Asthma und für die Bewertung neuer Medikamente.
So führten etwa Studien an Meerschweinchen und später an Primaten zur Entwicklung sogenannter Leukotrien-Rezeptor-Antagonisten. Sie können die Verengung der Bronchien sowie die übermäßige Sekretbildung und Reizbarkeit verringern und werden als Tablette bevorzugt von Kindern und Jugendlichen eingenommen.
Depressionen gehören zu den psychischen Erkrankungen. Sie lassen sich typischerweise charakterisieren durch eine negative Stimmung und Antriebslosigkeit. Obwohl diese Erkrankung unter anderem durch den Einsatz von Antidepressiva gelindert werden kann, erhalten rund 50 Prozent der Patient*innen überhaupt keine Behandlung.
Die Medikamente können vor allem dabei helfen, den Serotonin- und Noradrenalin-Spiegel im Gehirn wieder zu erhöhen. Dies sind zwei Signalmoleküle im Gehirn, die nachweislich an der Ausbildung von Emotionen beteiligt sind und bei einem zu niedrigen Level Depressionen begünstigen können. In den 50er und 60er Jahren lieferten Experimente an Menschen und Tieren (Ratten, Mäusen und nicht-menschlichen Primaten) bereits die ersten Beweise dafür, dass Veränderungen der Konzentration dieser chemischen Botenstoffe im Gehirn den emotionalen Zustand eines Menschen verändern können. Nagetiermodelle für Depressionen waren entscheidend für Erkenntnisse zur Ursache und Behandlung und ermöglichten es den Forschenden, neuere und effektivere Therapien zu entwickeln.
Heute rückt in der Forschung verstärkt ein Zusammenhang zwischen Enzündungsreaktionen im Körper, insbesondere im Gehirn, und depressiven Episoden in den Fokus. Auch dieser Zusammenhang wurde durch Versuche mit Tieren herausgearbeitet.
Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronische Entzündung des Nervensystems. Aufgrund ihrer sehr unterschiedlichen Verlaufsformen wird sie auch als „Krankheit der tausend Gesichter bezeichnet“. Durch die Entzündung verschiedener Nervenstrukturen kommt es oft zu Symptomen wie Sehstörungen, Schmerzen oder Lähmungen. Durch die langfristige Zerstörung der Nerven lässt auch die Denkfähigkeit bei einigen Patienten nach.
MS kann derzeit nicht geheilt werden. Verschiedene Medikamente wie der Antikörper Tysabri (Natalizumab) können die Häufigkeit und Intensität der in Schüben auftretenden Erkrankung allerdings verringern.
1994 wurde gezeigt, dass Antikörper die Entwicklung der Krankheit bei transgenen Mäusen aufhalten können. Da diese Antikörper von Mäusen stammten, konnten sie nicht ohne weiteres bei menschlichen Patienten eingesetzt werden. Dieses Problem wurde durch die Verwendung humanisierter Antikörper überwunden und führte zur Entwicklung des monoklonalen Antikörpers Natalizumab (Handeslname Tysabri), der mithilfe von Mäuse-Myelomzellen produziert wird.
Die Diagnose Hepatitis bezeichnet Leberentzündungen, die durch Viren hervorgerufen werden. Ärzt*innen unterscheiden dabei zwischen verschiedenen Hepatitis-Varianten, die von A bis E durchbuchstabiert sind. Die Varianten A und E heilen meist ohne chronischen Verlauf folgenlos aus. Hepatitis B und C können hingegen chronische Entzündungen der Leber hervorrufen. Von Hepatitis D wiederum sind ausschließlich Menschen mit vorliegender B-Infektion betroffen, denn das D-Virus kann sich nur mit Hilfe des vom B-Virus stammenden Oberflächenproteins HBsAg vermehren. Häufige Ursachen für eine Erkrankung sind Infektionen durch Blut oder Blutprodukte sowie Körperflüssigkeiten (z.B. beim Geschlechtsverkehr) oder durch den Gebrauch von intravenösen Drogen.
Durch effiziente Therapien können heute 95% der Erkrankten geheilt werden. Eine große Rolle spielte bei der Entwicklung auch der Tierversuch. So war es der Forscher Charles M. Rice, der das Hepatitis-C Virus mit Hilfe von Versuchen an Schimpansen beschrieb. Dabei verabreichte er den Schimpansen RNA-Kopien des Virus und konnte beobachten, dass die Schimpansen daraufhin eine Hepatitis entwickelten, die der des Menschen ähnelte. Er fand dadurch heraus, dass dieses Virus allein ausreicht, um die Lebererkrankung Hepatitis auszulösen. Auf Grundlage dieser Erkenntnis konnten Forschende nun gezielt Therapien entwickeln.
So hat die EU-Arzneimittelbehörde EMA zum Beispiel im Jahr 2014 das Medikament Sovaldi zugelassen, das in Verbindung mit anderen Arzneimitteln Hepatitis C bei den meisten Erkrankungstypen innerhalb von zwölf Wochen vollständig heilen kann. Im Jahr 2020 erhielt ein Virusblocker von Heidelberger Forschenden gegen Hepatitis D die Zulassung – ein gutes Beispiel für die Übertragung von Erkenntnissen jahrelanger Grundlagenforschung mit Tierversuchen in die tatsächliche Anwendung. Das Medikament hindert Hepatitis D- und auch B-Viren (HDV und HBV) daran, in die Zellen einzudringen. Für rund 25 Millionen Hepatitis-D-Infizierte weltweit bedeutet die Entwicklung des Wirkstoffs neue Hoffnung, denn bislang gab es kein zugelassenes Medikament gegen diese Infektionserkrankung.
2020 erhielt Rice zusammen mit seinen Kollegen Harvey J. Alter und Michael Houghton für ihre Hepatitis-Forschung den Medizin-Nobelpreis.