Spinale Muskelatrophie SMA

Hoffnung für junge Patienten – Therapiedurchbruch bei SMA

Die in den meisten Fällen tödlich verlaufende Muskelschwund-Erkrankung Spinale Muskelatrophie (SMA) kann bei sehr jungen Mädchen und Jungen offenbar aufgehalten werden. Mit Hilfe des Wirkstoffes Nusinersen gelingen nie zuvor gesehene Therapiefortschritte bei betroffenen Kindern. Tierversuche ermöglichten den Weg zu einer vielversprechenden Therapie, die 2017 zugelassen wurde.

Es ist noch nicht lange her, da hatten junge Patienten mit der Diagnose Spinale Muskelatrophie (SMA) Typ 1 nur eine geringe Lebenserwartung. Viele von ihnen erlebten nicht mehr ihr zweites Lebensjahr. Doch nachdem ein Wirkstoff zunächst im Versuch mit Mäusen vielversprechende Ergebnisse erzielte, wird sich die Welt für die betroffenen Mädchen und Jungen in Zukunft möglicherweise verändern. Denn die Behandlung mit Nusinersen in klinischen Studien hat so gute Ergebnisse erzielt, dass junge Patienten in mittlerweile zehn deutschen Kliniken mit dem Wirkstoff therapiert werden.

Erstmalig Verbesserungen bei SMA-Patienten

Dr. Inge Schwersenz von der Selbsthilfegruppe Initiative SMA.
Dr. Inge Schwersenz von der Selbsthilfegruppe Initiative SMA. Foto: privat

In der Uniklinik Freiburg behandelt Prof. Janbernd Kirschner, Leitender Oberarzt der Klinik für Neuropädiatrie und Muskelerkrankungen am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, die jungen Patienten mit dem neuen Wirkstoff. Er sieht bei einigen Patienten Entwicklungsfortschritte, die sonst bei der Krankheit nicht zu erwarten sind. „Während einst Kinder mit SMA immer schwächer wurden, können wir bei einigen Patienten jetzt erstmalig eine Verbesserung beobachten“, sagt er. Besonders vielversprechend ist die Therapie, wenn sie schon sehr früh nach Diagnosestellung begonnen wird. Zwar bremsen Fachärzte wie Kirschner allzu euphorische Erwartungen, doch die Freude über den ersten Meilenstein in der SMA-Behandlung ist allgemein groß.

Für betroffene Familien ist der erste Wirkstoff gegen SMA eine bahnbrechende Entwicklung, die ihnen Mut macht. Dr. Inge Schwersenz von der Selbsthilfegruppe Initiative SMA berichtet von außergewöhnlichen Fortschritten, zum Beispiel bei der einjährigen Lisa. „Zu Therapiebeginn konnte sie sich überhaupt nicht bewegen“, sagt Schwersenz. Mittlerweile jedoch könne sich das Mädchen aus eigener Kraft drehen. Auch der Fall eines zweieinhalbjährigen Jungen lässt aufhorchen. Ärzte hatten den Eltern empfohlen, die lebenserhaltenden Maßnahmen einzustellen, ihren Sohn sterben zu lassen. Die Mediziner sagten: „Lassen Sie ihn gehen.“ Doch Mutter und Vater kämpften um das Leben ihres Kindes. Mittlerweile befindet es sich in der Therapie und macht sichtbare Fortschritte: Der Junge kann Arme und Beine wieder bewegen. Bis vor kurzem eine noch undenkbare Entwicklung. „Das mit einer SMA-Diagnose einhergehende Todesurteil ist erst mal abgewendet“, meint Schwersenz, die lange Zeit als Anästhesistin gearbeitet hat.

Gendefekt Ursache für Muskelschwunderkrankung

Ursache für SMA ist ein Gen-Defekt. Dabei sind die beiden Gene SMN1 und SMN2 entscheidend. Fehlt das SMN1, entwickeln Betroffene die Muskelschwunderkrankung. In diesem Fall springt als Ersatz das Gen SMN2 ein und gleicht den Defekt aus – allerdings nur unzureichend. „Man muss sich dieses Gen wie eine schlechte Kopie vorstellen“, sagt Kirschner. Doch diese Kopie besitzt hilfreiches Potenzial. Je mehr SMN2-Gene sich im Körper befinden, desto weniger prägt sich die Erkrankung aus. Dieses Grundprinzip haben die Forscher eingehender untersucht. Dafür haben sie das defekte SMN-Gen in einer transgenen Maus eingesetzt. Mit der Hilfe von Wirkstoff-Screenings fanden sie heraus, welche Substanz die körpereigene SMN2-Produktion auslöst und somit den Gendefekt teilweise ausgleichen kann.

Grafik: Warum forschen Wissenschaftler an Mäusen?
Warum forschen Wissenschaftler an Mäusen?

Allein mit Ersatzmethoden wie Zellkulturen wäre die Entwicklung der Therapie nicht möglich gewesen. Dafür ist ein vollständiger Organismus nötig. Davon ist auch die Medizinerin Schwersenz überzeugt. „Die Aussage ,die Maus ist kein Mensch’ ist schon richtig“, sagt sie. Sie schränkt jedoch ein, dass diese Methoden nur begrenzt eingesetzt werden können. „Nur mit der Forschung mit Zellkulturen wären wir bei SMA noch lange nicht da angekommen, wo wir jetzt sind“, ist die Medizinerin überzeugt. Eine Blut-Hirn-Schranke zum Beispiel ließe sich mit Hilfe von Zellen nicht simulieren. Die biomedizinische Erprobung hat im Fall der SMA-Arznei überdies wichtige Erkenntnisse für ihre Anwendung gebracht. „Tierversuche haben auch gezeigt, wie wichtig es für das Überleben der Patienten ist, so früh wie möglich mit der Behandlung zu beginnen“, so Kirschner. Je eher die Therapie beginne, desto besser schlage die medikamentöse Behandlung an. Er und die Selbsthilfegruppe fordern daher ein Neugeborenen-Screening.

Nach dem ersten Meilenstein mit Nusinersen sind weitere Wirkstoffe auch für andere Ausprägungen von Muskelschwunderkrankungen in der Entwicklung. Grundlagenforschung ebnete den Weg für diesen Durchbruch. Versuchstiere wie die Maus werden dabei auch künftig eine wichtige Rolle spielen.

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