EU-Flagge und Richterhammer

Referentenentwurf stößt auf deutliche Kritik

Empörung, Unsicherheit, mit mehrjährigen Haftstrafen bedrohte Wissenschaftler: Der am 1. Februar 2024 veröffentlichte Referentenentwurf für eine Reform des Tierschutzgesetzes schlägt in der Wissenschaft hohe Wellen. Mehrere Wissenschaftsorganisationen und medizinische Fachgesellschaften veröffentlichten Stellungnahmen mit teils deutlicher Kritik. Wie kam es zu dem Entwurf? Dokumente zeigen seine Vorgeschichte.

EU-Flagge und Richterhammer
Foto: iStock

Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) und die Deutsche Hochschulmedizin (DHM) sprechen von „mangelhaften Lösungen zur Auflösung der Rechtsunsicherheiten im Entwurf, insbesondere im §17“. Dieser Paragraph regelt die Strafbarkeit von Tierschutzverstößen wie etwa das Töten eines Wirbeltiers ohne vernünftigen Grund. Zunächst übernimmt der Referentenentwurf die aktuell schon geltenden Bestimmungen: „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet oder einem Wirbeltier aus Rohheit erhebliche Schmerzen oder Leiden oder länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zufügt.“ Im Referentenentwurf soll dieser Paragraph nun verschärft werden. Statt bisher drei Jahre Freiheitsentzug als maximales Strafmaß sollen nun einer Person mindestens sechs Monate bis zu maximal fünf Jahre Haft drohen, wenn sie eine strafbewährte Handlung (s.o.) „beharrlich wiederholt oder aus Gewinnsucht oder in Bezug auf eine große Zahl von Wirbeltieren begeht“. Eine Geldstrafe ist nicht vorgesehen, auch der Versuch soll mit Strafe bedroht werden. Für leichtfertiges Handeln droht eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe.

„Besonders fatal für Forschende“

Zahlen aus 2021.

Diese Regelung, so AWMF und DHM, werde sich „besonders fatal“ für alle tierexperimentell forschenden Einrichtungen auswirken, „da in allen Einrichtungen, in den Versuchstiere (v.a. Mäuse) gezüchtet werden, auch Tiere geboren werden, die z.B. auf Grund ihres Geschlechtes, ihres Genotyps oder ihres Alters nicht für die geplanten Versuche verwendet werden können und deshalb aus Kapazitätsgründen und im Rahmen eines Kaskadenmodells getötet werden müssen.“ Dies geschehe aufgrund des generationenübergreifenden Zuchtansatzes natürlicherweise „wiederholt“ und betreffe auch immer „eine große Zahl von Wirbeltieren“, wenn nach den Regeln guter, wissenschaftlicher Praxis eine statistische Absicherung von Versuchsstudien sicherzustellen ist.

Ob dabei das rechtlich nicht klar definierte Kriterium des „vernünftigen Grundes“ erfüllt ist, ist seit einigen Jahren Gegenstand juristischer Debatten. Rechtssicherheit oder eine orientierende Rechtsprechung durch ein Gericht gibt es bisher nicht. Auch im Referentenentwurf zur Änderung des Gesetzes sucht man eine Klärung des Sachverhalts vergeblich.

Genau diese Rechtsunsicherheit, in Verbindung mit der Verschärfung von möglichen Strafen, alarmiert die Wissenschaft. Brigitte Vollmar, Vorsitzende der Ständigen Senatskommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für tierexperimentelle Forschung, sagte gegenüber dem Informationsdienst Table.Media, sie befürchte eine Abwanderung von Forschenden ins Ausland. „Wir fordern Rechtssicherheit zu schaffen und erheblichen Schaden von der Gesellschaft und der Wissenschaft in Deutschland abzuwenden. Es ist anzunehmen, dass sich viele von strafrechtlicher Verfolgung bedroht fühlen und ihren Job oder ihr Amt aufgeben“, sagte Vollmar. „Damit behindern wir, oder verhindern sogar biomedizinische Forschung in Deutschland.“

Unbestimmter Rechtsbegriff weiter ungeklärt

Der Sprecher der Initiative Tierversuche verstehen, Stefan Treue, kritisierte die weiterhin ausbleibende Klärung des unbestimmten Rechtsbegriffs des vernünftigen Grundes. „Die geplanten Änderungen zum Tierschutzrecht sind ein Versuch, die biomedizinische Forschung mit Tieren in Deutschland zu verhindern, nicht durch eine Verbesserung des Tierschutzes, sondern durch die Androhung von hohen Geld- und Gefängnisstrafen für ‚Vergehen‘, für die der Gesetzgeber nicht einmal eine klare Definition hat.“

Die Deutsche Krebsgesellschaft spricht von einem „bis dato nicht gekannten Einschnitt in die Forschungslandschaft“. Sie befürchtet, dass die Gesetzesreform Deutschland isolieren und die Krebsforschung in Deutschland im internationalen Vergleich nur noch eine geringere Rolle spielen werde.

Entwurf hat eine lange Vorgeschichte

Foto: Boris Jerchow / MDC

Der aktuelle Gesetzentwurf wird seit Jahren maßgeblich vorangetrieben von der Grünen-Politikerin und ehemaligen Landwirtschaftsministerin Renate Künast. Sie hatte bereits im März 2021 gemeinsam mit anderen Mitgliedern der Grünen-Fraktion einen Gesetzentwurf „zur Änderung des Strafgesetzbuches und des Tierschutzgesetzes“ (Bundestags-Drucksache 19/27752) vorgelegt. Ausgangspunkt: „Der Schutz von Tieren in gewerblicher und landwirtschaftlicher Tierhaltung, bei Schlachtung und bei Transporten in einer großen Zahl von Fällen“ sei nicht gewährleistet. Das Tierschutzstrafrecht führe „ein Schattendasein im Nebenstrafrecht“. Deshalb solle § 17 des Tierschutzgesetzes „zwecks Erhöhung der Sichtbarkeit und Beachtung der Strafbarkeit sowie als Beitrag zu effektivem Vollzug geltenden Rechts“ in das Kernstrafrecht überführt werden. Zu den Absichten heißt es: „Für die Praxis der Strafverfolgungsorgane ist die Vorschrift präsenter und wird eher in die Überlegungen über die Verfolgung von Straftaten einbezogen.“ Die Beispiele, die als Vergehen gegen Tierschutzbestimmungen angeführt werden, beziehen sich in dem Grünen-Entwurf ausschließlich auf die Landwirtschaft.

Die Bundestagsfraktion der Grünen hatte dazu zwei Gutachten in Auftrag gegeben: beim Mannheimer Strafrechtler Jens Bülte sowie bei der „Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht“; beide Gutachten wurden Anfang 2022 öffentlich vorgestellt. Bültes Gutachten hatte als Grundlage für den Gesetzentwurf der Grünen aus dem Frühjahr 2021 gedient.

Beide Ausarbeitungen schlagen neben Verschärfungen ebenfalls vor, die Strafandrohungen des Parapgraphen 17 des Tierschutzgesetzes in das Strafgesetzbuch zu überführen. Die Strafen sollen für Vergehen bis zu drei Jahre Gefängnis ausmachen, die Strafen für Amtsträger:innen im Tierschutz und Tierhalter:innen bis zu fünf Jahre. Für bandenmäßiges Vorgehen soll es bis zu zehn Jahre Haft geben, für leichtfertiges Handeln bis zu zwei Jahre.

Koalitionsvertrag nimmt Strafverschärfung auf

Den Gedanken der Strafverschärfung nimmt auch der Koalitionsvertrag der Bundesregierung vom Dezember 2021 auf. Darin taucht das Vorhaben der Strafverschärfung erstmals im unmittelbaren Kontext des Themas Tierversuche auf. Zu den Zielen in diesem Bereich heißt es: „Wir überführen Teile des Tierschutzrechts in das Strafrecht und erhöhen das maximale Strafmaß. Wir legen eine Reduktionsstrategie zu Tierversuchen vor. Wir verstärken die Forschung zu Alternativen, ihre Umsetzung in die Praxis und etablieren ein ressortübergreifendes Kompetenznetzwerk.“

Der Referentenentwurf steht zumindest in einem Spannungsverhältnis zu den Zielen, die im Koalitionsvertrag für die Wissenschaftspolitik gelten sollen. Die Ziele dort lauten: „Durch bessere Rahmenbedingungen für Hochschule, Wissenschaft und Forschung wollen wir den Wissenschaftsstandort kreativer und wettbewerbsfähiger machen. Wissenschafts- und Forschungsfreiheit sind der Schlüssel für kreative Ideen, die dazu beitragen, die großen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen“.

Weitere unbestimmte Rechtsbegriffe

Auch wenn der aktuelle Referentenentwurf seinen Hintergrund möglicherweise nur darin hat, Missstände und Vergehen in der Landwirtschaft zu bekämpfen: Er trifft damit auch zentrale Elemente der biomedizinischen Forschung in Deutschland. Dabei lässt er den unbestimmten Rechtsbegriff des „vernünftigen Grundes“ weiter unklar und führt weitere unbestimmte Begriffe ein („beharrliche Wiederholung“, „sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden“, „große Zahl von Wirbeltieren“). Für diese unklaren Tatbestände verschärft der Gesetzentwurf die Strafandrohung zugleich erheblich. Für Forschende würde die Orientierung für ihr Handeln damit deutlich erschwert. Im Raum steht auch die Frage, warum die Abschreckungswirkung eines erhöhten Strafmaßes Forschende treffen soll. Denn die biomedizinische Wissenschaft hat sich nicht durch ständig wiederkehrende Verstöße gegen das Tierschutzgesetz hervorgetan.

„Übergriffig und voll von Misstrauen gegenüber der Wissenschaft“

Inzwischen äußerten sich auch Bundespolitiker der Grünen und der CDU zum Gesetzentwurf des Landwirtschaftsministeriums. Dieser sei „übergriffig und voll von Misstrauen gegenüber der Wissenschaft“, sagte Steffen Bilger, Vizechef der Unionsfraktion. Dem Forschungsstandort Deutschland drohe „ein irreparabler Schaden“. Laura Kraft, Obfrau der Grünen im Forschungsausschuss, kündigte Medienberichten zufolge an: „Auswirklungen auf die Forschung schauen wir uns genau an.“ Trotz des Bemühens, die Zahl der Tierversuche zu reduzieren, sei es „wichtig, dass die Forschung weiterhin unter klaren Vorgaben arbeiten kann“. Im parlamentarischen Verfahren würden eventuelle Rechtsunsicherheiten aufgelöst.

Frau und Fragezeichen

Dialog

Fragen Sie uns

Unsere Experten beantworten gerne Ihre Fragen.

Kontaktformular Bestellen
Tierversuche verstehen-Podcast
"Fabeln, Fell und Fakten":