Bei der Zucht von Versuchstieren entstehen auch immer Tiere, die nicht für Versuche verwendet werden können. Warum ist das so und was passiert mit diesen Tieren? Die Initiative Tierversuche verstehen hat in einem neuen Factsheet Wissenswertes zu diesen sogenannten nicht verwendbaren Tieren zusammengestellt. Sie wurden jüngst erstmalig in die jährliche deutsche Versuchstierstatistik aufgenommen. Wie der rechtssichere Umgang mit diesen Tieren aussieht, sorgt seit einiger Zeit für Verunsicherung bei Forschungseinrichtungen und Behörden. Auch die aktuelle Folge des Tierversuchs-Podcasts „Fabeln, Fell und Fakten“ befasst sich dem Thema.
Bei den nicht verwendbaren Tieren handelt sich um Tiere, die zu wissenschaftlichen Zwecken gezüchtet, aber nicht in Tierversuchen eingesetzt werden, weil ihnen zum Beispiel die genetischen Voraussetzungen für die Versuche fehlen. So entstehen bei der Zucht nach den jüngsten Erhebungen etwa genauso viele nicht verwendbare Tiere wie tatsächliche Versuchstiere. Das neue Factsheet der Initiative Tierversuche verstehen zeigt anhand eines leicht verständlichen Rechenbeispiels, wie es aufgrund biologischer Gesetzmäßigkeiten zu einer solchen Zahl von nicht verwendbaren Tieren kommt. Auch wird beschrieben, welche sinnvollen alternativen Verwendungszwecke möglich sind und welche Hürden es etwa bei der Verfütterung der Tiere in Zoos, Wildparks oder Greifvogelstationen gibt.
Unsichere Rechtslage
Unter welchen Umständen eine Tötung dieser Tiere rechtlich zulässig ist, darüber lässt die Rechtslage die Forschungseinrichtungen bisher im Unklaren. Das sorgt für große Verunsicherung bei Forschungseinrichtungen und Behörden. Das Factsheet erläutert, dass sich die Schwierigkeiten aus einem im Tierschutzgesetz verwendeten unbestimmten Rechtsbegriff ergeben: Ohne einen „vernünftigen Grund“ darf niemand einem Tier Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Wer ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet wird mit Geldstrafe oder sogar Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft werden. Ob für das Töten eines Tieres so ein vernünftiger Grund vorliegt, muss also grundsätzlich in jedem Einzelfall geprüft werden.
Dass für das Töten nicht verwendbarer Tiere vernünftige Gründe vorliegen können, wird nicht ernsthaft bezweifelt
Prof. Stefan Treue, Sprecher der Initiative Tierversuche verstehen
„Dass für das Töten nicht verwendbarer Tiere vernünftige Gründe vorliegen können, wird nicht ernsthaft bezweifelt“, sagt Prof. Stefan Treue, Sprecher der Initiative Tierversuche verstehen. „Denn klar ist: Wollten Forschungseinrichtungen diese Tiere bis zur Altersschwäche tiergerecht unterbringen und pflegen, würde das ihre Kapazitätsgrenzen ganz schnell sprengen und so die Forschung unmöglich machen.“
Der Auftrag der Gesellschaft an die Wissenschaft sei, leistungsfähige Forschung – auch mithilfe von Tierversuchen – mit hohen Tierschutzstandards zu verbinden. „Darum müssen diese Rechtsgüter verantwortungsbewusst gegeneinander abgewogen werden“, erklärt Treue. So sei wichtig, schon die Entstehung nicht verwendbarer Tiere wann immer möglich zu vermeiden.
Recherche: Staatsanwaltschaften sehen keinen Anfangsverdacht für illegale Tötung von Versuchstieren
Nach Strafanzeigen: Staatsanwaltschaften sehen kein Anfangsverdacht
Trotzdem bleiben eine unklare Rechtslage und die entsprechende Verunsicherung. So stellten 2021 Tierversuchsgegnervereine insgesamt 14 Strafanzeigen gegen Forschungseinrichtungen in Hessen wegen vermeintlich illegaler Tötung nicht verwendbarer Tiere. Die Staatsanwaltschaften haben jedoch entschieden, keine förmlichen Verfahren einzuleiten. Sie sahen keinen Anfangsverdacht für weitere Ermittlungen. Als Grund nennen die hessischen Ermittlungsbehörden unter anderem, dass die Anzeigen keine konkreten Fälle aufgeführt hätten. Die Staatsanwaltschaft Gießen etwa teilte auf Anfrage der Initiative Tierversuche verstehen mit, dass „die Vorwürfe in ihrer Pauschalität nicht für einen Anfangsverdacht gereicht“ hätten.
„Fabeln, Fell und Fakten“-Podcast greift Diskussion auf
Neben dem Factsheet widmet sich auch die aktuelle Folge des Tierversuche verstehen-Podcasts „Fabel, Fell und Fakten“ dem Thema. Die Gastgeber Dr. Roman Stilling, wissenschaftlicher Referent der Initiative Tierversuche verstehen, und Prof. Johannes Beckers vom Helmholtz Zentrum München beschreiben unter dem Titel „Wann ist es vernünftig, ein Tier zu töten?“ unter anderem die Auswirkungen, die die unklare Rechtslage für jene Forschende und Tierpfleger*innen hat, die letztlich im Auftrag der Öffentlichkeit mit der Tötung der nicht verwendbaren Tiere betraut sind.
„Fabeln, Fell und Fakten“ auch auf Spotify und in der Apple Podcast-App abrufbar!
EU-Zahlen bereits 2020 veröffentlicht
Dabei ist das Thema nicht verwendbarer Tiere selbst nicht neu. Die Europäischen Union hatte 2020 die Zahlen der nicht verwendbaren Tiere für 2017 veröffentlicht. Seitdem wird eine solche erweiterte Statistik europaweit alle fünf Jahre erhoben. Die Initiative Tierversuche verstehen hatte bereits damals auf die Problematik hingewiesen und erstmals umfangreiche Hintergrundinformationen geliefert. Das neue Factsheet erweitert aufgrund der Aktualität die bisherigen Informationen zum Thema.