Faktencheck-Reihe:
„Sorry, aber wir sind einfach zu verschieden!“

Nicht alle Tierversuche sind gleichwertig auf den Menschen übertragbar und führen am Ende zur Entwicklung neuer Therapien. Als Gründe hierfür werden oftmals fehlende Gemeinsamkeiten zwischen Mensch und Tier, Zahlen oder Statistiken genannt. Die Initiative Tierversuche verstehen prüft in der „Faktencheck-Reihe“ vier Behauptungen zur Übertragbarkeit von Ergebnissen aus Tierversuchen auf ihre Stichhaltigkeit.

Behauptung 1:

Wenn Tiere so sind wie wir, sind Tierversuche moralisch untragbar. Wenn sie nicht so sind wie wir, sind Tierversuche sinnlos.

Im ersten Teil der Faktencheck-Reihe prüft die Initiative „Tierversuche verstehen“ die Behauptung „Sorry, aber wir sind einfach zu verschieden!“. Im frühen 19. Jahrhundert wurde der Mensch noch als „Krone der Schöpfung“ gesehen. Mit Charles Darwin und seiner Evolutionstheorie änderte sich das. Darwin war sich der ethischen Tragweite seiner Entdeckung für das Verhältnis zwischen Mensch und Tier bewusst: Während die Tierversuchsgegner dieser Zeit vor allem die Stärkung der Tierrechte aus der Evolutionstheorie ableiteten, offenbart Darwin eine für diese Zeit überraschend differenzierte Sicht auf das Thema. Beteiligte er sich einerseits unmittelbar an der Entstehung des englischen Gesetzes zur Regulation von Tierversuchen, dem Cruelty against Animals Act 1876, war er sich gleichzeitig zeitlebens der kritischen Bedeutung verantwortungsvoller Tierversuche für die Wissenschaft der Physiologie bewusst. So schrieb er 1881 in einem Brief an einen schwedischen Wissenschaftler:

„On the other hand, I know that physiology cannot possibly progress except by means of experiments on living animals, and I feel the deepest conviction that he who retards the progress of physiology commits a crime against mankind.” (Darwin, C. R. 1881. Mr. Darwin on Vivisection. The Times (18 April): 10)

Heute lautet die Kritik häufig: „Sorry, aber wir sind einfach zu verschieden.“ Dennoch ist es für uns mittlerweile selbstverständlich, dass alle Tiere eine gemeinsame Abstammungsgeschichte haben und dass die auf der DNA codierten Gene die Erbinformation beinhalten. So finden sich für mehr als 80% unserer menschlichen Gene passende Gegenstücke (Orthologe) in der Maus. Eine der wichtigsten Entdeckungen der Biologie, für die Darwin den Grundstein legte, ist also: alles Leben auf der Erde und speziell bei den Tieren prinzipiell ähnlich aufgebaut. Dies gilt vor allem für die zelluläre und noch stärker für die molekulare Ebene.

Eine 1:1-Übertragung von Erkenntnissen zwischen zwei Arten ist in der biomedizinischen Forschung nicht immer oberstes Ziel, denn in den ersten Schritten geht es vor allem um das Verständnis von grundlegenden Zusammenhängen in der Biologie. So werden zum Beispiel neue Vorgänge entdeckt, die in späteren Schritten des Forschungsprozesses für die Human- und Tiermedizin nutzbar gemacht werden können. Beispiele für dieses explorative Forschen sind etwa die Epigenetik oder die Erforschung des Mikrobioms, aber auch Aufbau und Funktion der Nervenzellen.

Hierbei kommen sogar oft Modellorganismen zum Einsatz, die sich in bestimmten Funktionen explizit von den entsprechenden menschlichen Funktionen unterscheiden. Denn durch Untersuchen von Unterschieden zwischen Säugetieren kann nützliches Wissen gewonnen werden. So können beispielsweise Stachelmäuse ihr Hautgewebe ohne Narben heilen, Nacktmulle zeigen im Vergleich zu anderen Nagetieren gleich eine ganze Reihe von Unterschieden, die enormes Potenzial für die biomedizinische Forschung bergen.

Die evolutionäre Verbindung zwischen den Organismen erlaubt uns, aus Beobachtungen an Tieren Rückschlüsse auf den Menschen zu ziehen, ob durch Gemeinsamkeiten oder durch Unterschiede. Deshalb ist es irreführend zu behaupten, dass nur Forschung am Menschen oder an menschlichen Zellen die Medizin voranbringen.

Weitere Beiträge, in denen die Initiative andere Behauptungen auf Stichhaltigkeit prüft und die Bedeutung von Ergebnissen aus Tierversuchen für die Humanmedizin beleuchtet, finden Sie hier.

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