Auch wenn Forscher*innen viel nach Alternativen in der Infektionsforschung suchen und Modelle entwickeln, um Tierversuche einmal zu ersetzen. Bei der Suche nach neuen Impfstoffen – wie aktuell in der Corona-Forschung – können Wissenschaftler*innen nicht auf Tierversuche verzichten. Prof. Luka Cicin Sain vom Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung erläutert im Interview mit Tierversuche verstehen, welche Bedeutung Tieren zukommt, wie die Chancen für Alternativmethoden in der Infektionsforschung stehen und spricht über administrative Hürden für Forscher*innen und die Bedeutung der Forschung an Corona-Spätfolgen wie Long Covid.
In welchen Abschnitten werden Versuchstiere bei der Entwicklung von Corona-Impfstoffen eingesetzt? Sind diese ersetzbar?
Prof. Luka Cicin Sain: Zunächst einmal: Tierversuche sind unersetzbar in der Corona-Forschung, da sie für die Entwicklung von Impfstoffen sogar gesetzlich vorgeschrieben sind. Diese Tierversuche dienen dazu, Daten zur Sicherheit der Impfstoffe für den Menschen zu gewinnen. Es gibt eine international vorgeschriebene Vorgehensweise, welche Versuchstiere in der vorklinischen Entwicklungsphase eines Impfstoffes, also bevor erste klinische Studien am Menschen durchgeführt werden dürfen, eingesetzt werden müssen. Tierversuche sind unersetzbar in der Impfstoff-Forschung. Ein Impfstoff muss unser Immungedächtnis, das uns bei wiederholenden Infektionen schützt, anregen, also die sogenannte adaptive Immunantwort. Das ist ein sehr komplexer Prozess im Körper, der gleich mehrere Organsysteme umfasst. Man muss sich das so vorstellen: Der Impfstoff beinhaltet Moleküle des Erregers, die sogenannten Antigene, und wird zunächst irgendwo in den Muskel oder unter der Haut verabreicht. Dort nehmen die Immunzellen die Antigene aus dem Impfstoff auf. Dann manchen sie sich auf den Weg vom Muskel oder von der Haut durch Lymphkapillaren zu den benachbarten Lymphknoten , wo sich die aufhalten. Diese ermöglichen, Krankheitserreger oder krankhaft veränderte Zellen im Körper zu erkennen. Sie kommen dort in Kontakt mit inaktiven, naiven Immunzellen. Die Antigen-präsentierenden Zellen regen die Lymphozyten, die wichtigste Gruppe unter den adaptiven Immunzellen, im Lymphknoten an. Die inaktiven, naiven Immunzellen werden aktiviert, man nennt das geprimt. Diese scharf geschalteten Zellen, die einen bestimmten Keim erkennen, können sich nun vermehren. Sie reagieren bei späteren Immunantworten als Gedächtniszellen. Das bedeutet: Sie erkennen den Krankheitserreger und seine Moleküle, die Antigene, unterdrücken seine Vermehrung und töten ihn schneller als bei der ersten Begegnung.
Würde so etwas auch ohne Tierversuche machbar sein?
Cicin Sain: Es wird tatsächlich versucht, dass wir in vitro-Priming-Systeme entwickeln. Einer meiner Doktoranden versucht gerade, ein solches System auf Basis einer aktuellen Veröffentlichung „nachzukochen“. Es handelt sich um keine etablierte Methode, um damit neue Impfstoffe zu testen. Ich gehe davon aus, dass sich dieses Verfahren als Test für das ein oder andere System sowie die eine oder andere Impfstoffvariante nicht eignen wird, aber es kann perspektivisch einen Mehrwehrt bieten.
Wäre es möglich, Impfstoffe in jedem Tier zu testen, oder gibt es da Unterschiede?
Cicin Sain: Es gibt Impfstoffe, die wir in Mäusen oder Hamstern testen können. Andere dagegen müssen in anderen Tiermodellen wie, Primaten oder Frettchen und ähnliches getestet werden. Damit ist auch klar, dass diese in vivo-Modelle vorsichtig für die Impfstoffforschung ausgesucht werden müssen. Ein Impfstoff ist immer ein Impfstoff gegen einen bestimmten Erreger – gegen Influenza, gegen Corona oder Hepatitis. Wir benötigen für den Impfstoff immer ein System, das sich an das Virus anpasst. Ein Hepatitis-C-Virus zum Beispiel kann keine Mäuse infizieren. Das Corona-Virus vermehrt sich in Hamstern oder unter bestimmten Bedingungen in Mäusen. Wir können aber nicht flächendeckend irgendeine Maus nutzen, um einen Corona-Impfstoff zu entwickeln. Hamster sind da eher geeignet, da sie auf eine Art krank werden, die dem Menschen ähnlich ist.
Wie zuverlässig wäre die Aussage über den Immunschutz in solchen in vitro-Versuchen?
Cicin Sain: Wenn wir durch in vitro-Versuche ein System entwickeln, das die Immunzellen aktiviert, haben wir noch nichts gewonnen. Wir wissen immer noch nicht, ob diese Immunantwort am Ende einen Immunschutz bietet. Es gibt Beispiele, da haben wir zwar eine messbare Immunreaktion, doch die Tiere besitzen nicht ausreichend Antikörper gegen das Virus. Sie erkranken dann trotzdem. Somit besteht immer noch die Notwendigkeit zu testen, ob ein Impfstoff das Entstehen einer Krankheit bekämpft oder nicht. Eine Krankheit ist immer ein komplexer Prozess im Körper. Die Leber kann durch die Infektion mit Hepatitis-Viren beschädigt werden. Man kann auch eine Lungenentzündung durch Influenza oder eine Gehirnentzündung durch Frühsommer-Meningoencephalitis-Viren bekommen. Wir müssen uns dann anschauen, ob die geimpften Tiere einen Schutz gegen die entsprechende Krankheit entwickelt haben. In einer Zellkultur lässt sich dies im Augenblick nicht herausfinden.
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Mehr InformationenKönnten Sie sich vorstellen, dass ein Body on a Chip das mal leisten könnte?
Cicin Sain: Das ist der Traum. Wenn wir das aber noch ein Stück weiterdenken: Tiere empfinden Schmerzen, und das ist der wesentliche ethische Grund, um Tierversuche zu vermeiden. Wann haben wir einen Body on a chip oder Multi-Organ-Chip so komplex gestaltet, dass er am Ende ebenfalls Leiden empfinden kann? Er müsste alle komplexen Bestandteile beinhalten, die wir in einem Nervensystem haben. Damit würde er am Ende ein Wesen sein, das leidet und empfindet. Daraus resultiert ein neues ethisches Problem. Man hätte eine Kreatur wie im Roman „Frankenstein“, die so leidensfähig ist wie ein Tier. Wir entwickeln bereits seit vielen Jahren Systeme, die versuchen, das Tierleid zu minimieren. Da gibt es jedoch immer noch Grenzen in den aktuellen Technologien. Ich sehe derzeit noch nicht, dass die Technologien von morgen alle diese Probleme aus dem Weg räumen können.
Es tauchen immer wieder neue Virusvarianten auf, die eine Veränderung des Impfstoffs erfordern. Warum lassen sich solche Anpassungen nicht allein in vitro austesten?
Cicin Sain: Die neuen Varianten sind nicht nur durch ein Umgehen der Immunerkennung gekennzeichnet, sondern auch durch andere biologische Fähigkeiten. Sie verbreiten sich schneller und sind ansteckender. Sie erreichen somit auch mehrere Zellen in der Lunge –und das viel schneller. Dann muss man auch mit neuen Varianten austesten, ob der Impfstoff in der Lage ist, sie überhaupt zu kontrollieren, und dafür brauchen wir ein Krankheitsmodell.
Die Covid-19-Forschung endet vermutlich nicht, sobald das erste Medikament zur schnelleren Heilung von Patienten auf dem Markt ist. Wie geht es mit der Forschung weiter? Welche Fragen bleiben vermutlich weiterhin offen?
Cicin Sain: Derzeit sind es die Virusvarianten und wie wir diese kontrollieren können. Es gibt viele Bemühungen, universelle Corona-Impfstoffe zu entwickeln. Sie sollen einerseits sämtliche Varianten genauso gut kontrollieren und anderseits versuchen zu erkennen, wie zukünftige Varianten aussehen. Wenn wir eine Herdenimmunität erreichen wollen, dann wird es darunter auch Menschen geben, bei denen die Impfung nicht funktioniert hat und die sich trotzdem infizieren und krank werden. Für die brauchen wir auch Medikamente.
Welche Bedeutung haben Tierversuche, um Auswirkungen und Spätfolgen der Covid-19-Erkrankungen wie zum Beispiel Long Covid-Effekte zu erforschen? Sind sie bei der Erforschung sinnvoll?
Cicin Sain: Bei Long Covid gibt es großen Forschungsbedarf. Hier haben wir im Augenblick noch nicht verstanden, was da genau passiert. Hier können uns tatsächlich Tierversuche wieder helfen. Es ist wichtig zu verstehen: Ein Tierversuch ist grundsätzlich ein Experiment. Es ist die Bestrebung, in einer bekannten Umgebung die einzelnen Bestandteile einer komplexen Reaktion auseinanderzunehmen und dann zu untersuchen, welche konkret dafür verantwortlich sind, dass es zu einem Effekt kommt. Das bedeutet: Selbst wenn klinische Studien uns ganz gute Hinweise darüber liefern, was alles in einem Menschen passiert, so ist es unmöglich, die Ursache von der Folge zu trennen. Wir sehen nur, dass etwas gleichzeitig passiert. Ob Phänomen A das Phänomen B verursacht oder umgekehrt, wissen wir nicht. Wir können nur Phänomen C ausschließen.
Bei Long Covid gibt es großen Forschungsbedarf. Hier haben wir im Augenblick noch nicht verstanden, was da genau passiert. Hier können uns tatsächlich Tierversuche wieder helfen.
Ein gutes Beispiel hierfür ist: Wir wissen, dass Menschen, die rauchen, nach einigen Jahren gelbe Zähne bekommen. Und dann ungefähr 10 bis 20 Jahre später Lungenkrebs. Würde man jetzt eine klinische Studie machen, könnte man einen Zusammenhang zwischen gelben Zähnen und Lungenkrebs feststellen. Das bedeutet aber nicht, dass das Nikotin in den Zähnen Auswirkungen hat auf die Zellen vom Epithel in den Bronchien. Sondern es gibt etwas, was die beiden Sachen verursacht. Zu verstehen, woher das kommt, kann man nur unter experimentellen Bedingungen. Das ist etwas, was wir gerne ohne Tiere machen. Abgesehen davon, dass wir ungerne den Tieren Leiden verursachen, ist es viel, viel einfacher, in Zellkulturen zu arbeiten, weil die Bedingungen weniger komplex sind. Man kann auch schneller lernen, wie man mit Zellkulturen umgeht und es gibt viel weniger administrative Hürden. Ein Genehmigungsverfahren dauert tatsächlich mehrere Monate.
Gesetzlich vorgesehen ist eine Frist von 40 Tagen.
Cicin Sain: Bestenfalls bekommt man 40 Tage nach Einreichung des Antrages die erste Antwort von der Behörde. Das ist dann ein Katalog mit 30 bis 40 Fragen. Das dauert dann auch wieder ein paar Wochen, bis wir den Katalog abarbeiten können. Wir müssen mit unserem Tierschutzbeauftragten besprechen, welche Maßnahmen durchführbar sind. Und die Kollegen aus der Tierhaltung müssen mitentscheiden, ob die Anforderungen technisch und aufgrund von Kapazitäten möglich sind. Haben wir die Fragen beantwortet, reichte das früher aus. Doch inzwischen gibt es dann neue Rückfragen seitens der Behörde. Im Schnitt brauchen wir ab der Antragsstellung drei bis vier Monate, bis wir mit einem Tierversuch anfangen können.
Gilt dies auch für die Corona-Forschung, wo man erwarten würde, dass dort alles ziemlich schnell gehen soll?
Cicin Sain: Wir hatten hier Anträge, die im Oktober 2020 eingereicht und erst im Dezember 2020 genehmigt wurden. Vielleicht waren es jetzt zwei Monate anstatt vier Monaten. Wir haben einen Antrag Anfang März 2021 gestellt, der im Juni genehmigt wurde. Es ging in dem Antrag darum, dass wir mit den neuen Varianten arbeiten dürfen. Es ging dabei nicht konkret um einen Impfstoff, sondern eher um die Grundlagenforschung. Und das hat wieder drei, vier Monate gedauert. Grundsätzlich ist das Problem für deutsche Forscher, die mit Tieren arbeiten, dass das System so ausgelegt ist, dass es auch nicht viel schneller gehen kann. Ich möchte hierbei aber nicht mit dem Finger auf die Mitarbeiter*innen der Behörden zeigen. Die versuchen uns schon entgegenzukommen. Doch die Gesetzeslage ist leider so. Da fragt man sich schon, ob es sich noch lohnt, mit Tieren zu arbeiten oder ob wir nicht einen Ausweg finden sollten und opportunistisch klinische Studien machen, weil das einfacher wäre? Das wäre schlecht, weil wir die Daten, die unter experimentellen Bedingungen gewonnen werden, brauchen. Es ist am Ende ein Wettbewerbsnachteil für den Standort Deutschland. In anderen EU-Ländern sind die Genehmigungsverfahren nicht so kompliziert. Dort kommen die Wissenschaftler*innen schneller mit ihrer Forschung weiter. Nehmen wir den erwähnten Antrag zu den Varianten, den wir im März gestellt haben: Wir haben einige Wochen im Februar gebraucht, um alles zusammenzuschreiben. Ende März hatte eine Gruppe aus Frankreich Teile der Ideen veröffentlicht, die wir in unserem Antrag hatten. Sie konnten somit schneller mit ihrer Arbeit loslegen.
Das klingt sehr ärgerlich …
Cicin Sain: Wir befinden uns nicht in einem Vakuum. Deutschland ist Teil der Welt. Wenn es so bleibt, dann könnten am Ende viele Wissenschaftler*innen in Deutschland ihre Tierversuche zum Beispiel nach Russland oder in andere EU-Länder mit einer eher laschen Regulation auslagern. Dort würde es den Tieren vermutlich erheblich schlechter gehen als hierzulande. Das kann ja auch nicht gerade im Sinne des Tierschutzes sein. Eine Maus in Russland ist nicht weniger wert als eine Maus in Deutschland. Sie können beide leiden, wenn man mit ihnen schlecht umgeht. Wir hatten ja bereits vor den Reformen des Tierschutzgesetzes im Jahr 2013 ziemlich strikte Regularien und Kontrollen. Und jetzt ist das richtig schwierig .
Eine Maus in Russland ist nicht weniger wert als eine Maus in Deutschland. Sie können beide leiden, wenn man mit ihnen schlecht umgeht.
Tiere spielen seit jeher eine wichtige Rolle in der Infektionsforschung. Wird die Infektionsforschung auf absehbare Zeit auf Tiere verzichten können – wie zum Beispiel durch die Entwicklung eines künstlichen Lymphknotens?
Cicin Sain: Wir sind gerade dabei, einen solchen humanen künstlichen Lymphknoten zu entwickeln. Er kann aber nicht alles ersetzen. Wir können sehen, ob ein Impfstoff humane Lymphzellen anregt. Das besagt aber nicht, ob ein Impfstoff eine ausreichende Immunantwort liefert. Um das herauszufinden, brauchen wir wieder den Organismus. Eine solche Methode wird Tiere nicht ersetzen, weil die Infektionskrankheiten im Körper geschehen. Sie betreffen gewisse Organe und man muss im Experiment sehen, ob das Krankheitsbild sich verändert hat. Es reicht nicht aus, zu wissen, dass wir ein paar funktionierende Immunzellen haben.
Gibt es überhaupt Fragen in der Corona-Forschung, die sich ohne Tiere beantworten lassen?
Cicin Sain: Wenn wir von den Dingen reden, die auf der molekularen Ebene geschehen, da sind Tierversuche eigentlich gar nicht nützlich. Wenn wir wissen wollen, welche Eiweiße des Corona-Virus mit welchen Eiweißen der menschlichen Zellen in Kontakt kommen, um in der Zelle Prozesse anzustoßen, sind menschliche Zellen in Zellkulturen viel besser geeignet. Wenn ich wissen möchte, wo die Aminosäuren liegen, also die Zielscheiben für ein antivirales Medikament, dann brauchen wir dafür auch nicht unbedingt Tierversuche.
Wenn ich wissen möchte, wo die Aminosäuren liegen, also die Zielscheiben für ein antivirales Medikament, dann brauchen wir dafür auch nicht unbedingt Tierversuche.
Wenn wir über die Immunantwort – und das bedeutet auch Impfung – oder Pathogenese, also wie die Krankheit entsteht und sich entwickelt, reden, oder darüber, welchen Schaden das Virus zum Beispiel in der Lunge oder in einem anderen Organ auslöst, wird es äußerst knifflig, ohne Tierversuche zu arbeiten. Wir bemühen uns zwar, mit Organoiden oder dem bereits erwähnten künstlichen Lymphknoten Antworten zu finden. Doch es besteht immer noch die berechtigte Frage, ob das entsprechende Organoid überhaupt alles vollständig abdeckt. Es handelt sich schließlich nur um eine vereinfachte Form des Organs.
Das wäre dann eine Frage der Übertragbarkeit, die ja bei Tieren zum Menschen hin oft bemängelt wird.
Cicin Sain: Das ist eine tiefe, philosophische Frage. Jedes experimentelle Modell ist wie ein Sandkasten, in dem wir etwas versuchen nachzubauen. Keines ist eine perfekte Darstellung der Realität. Experimente mit Wirbeltieren sind dem menschlichen Körper näher als mit Fruchtfliegen und mit Primaten näher als mit Nagern. Das führt aber zu ethischen Spannungen, weil Wirbeltiere mehr als Fruchtfliegen empfinden und Primaten mehr als die Nager. Experimente mit Menschen wollen wir sicherlich nicht machen, auch wenn gewisse Testmöglichkeiten in Zentren für klinische Studien mit freiwilligen Menschen möglich sind. Aber da gibt es auch ethische Grenzen. Ethische Überlegungen verbieten uns, ein völlig ungetestetes Mittel einfach in einen Menschen zu spritzen und zu schauen, was passiert. Wenn dabei eine schlimme Nebenwirkung auftritt, ist es auch nicht besser, als wenn einem Tier so etwas passiert. Die Frage ist grundsätzlich: Welchen Wert hat das Leben eines Menschen, eines Rhesusaffen oder einer Maus? Da sind wir uns auch alle einig, dass ein Mensch nicht vergleichbar ist mit einer Maus. Das sind dann auch die sehr triftigen Gründe, warum Tierversuche immer noch ethisch vertretbar sind.
Ethische Überlegungen verbieten uns, ein völlig ungetestetes Mittel in einen Menschen zu spritzen und zu schauen, was passiert. Wenn dabei eine schlimme Nebenwirkung auftritt, ist es auch nicht besser, als wenn einem Tier so etwas passiert.
Wie bewerten Sie denn die Frage der Übertragbarkeit in der Corona-Forschung?
Cicin Sain: Wir gehen manchen Fragen in den Mäusen nach, wo es sinnvoll ist. Andere Fragen versuchen wir in anderen Modellen zu beantworten, weil wir schon verstehen, dass das Mausmodell nicht zu 100% übertragbar ist. Ich finde es heuchlerisch, wenn jemand sagt, dass Tierversuche in Mäusen nicht auf den Menschen übertragbar sind, man sie deswegen verbieten soll und gleichzeitig sagt: Die Tierversuche in den Primaten brauchen wir auch nicht. Ich denke, da muss man sich schon logisch entscheiden. Man kann sagen: Ich glaube nicht an Tierversuche in Mäusen, weil die von ihrer Stammesgeschichte zu weit entfernt sind von den Menschen. Stattdessen bevorzuge ich Tierversuche in Primaten. Oder man lehnt Tierversuche in den Primaten ab und bevorzugt Mausversuche, weil Primaten sehr viel verstehen und empfinden. Es sind auch Wesen, in deren Emotionen man sich viel mehr hineinversetzen kann. Deswegen ist es meiner Meinung nach auch in Ordnung, dass wir die Tierversuche mit den Primaten den Mäusen nachlagern und nur dort, wo die Übertragbarkeit unter Zweifel steht.