Alternativmethoden – in-vivo Verfahren
In vivo bedeutet übersetzt „am lebenden Objekt“. Tierversuche selbst gehören also auch zu den in vivo-Verfahren. Um Untersuchungen am lebenden Objekt durchzuführen, müssen Wissenschaftler*innen nicht zwingend auf Tiere zurückgreifen. Zahlreiche so genannte nicht-invasive Verfahren, bei denen kein direkter Eingriff in den Körper stattfindet, können direkt am Menschen angewendet werden, um neue Erkenntnisse für die medizinische Forschung zu erlangen. Beispiele für solche nicht-invasiven Verfahren sind unter anderem moderne bildgebende Methoden (EEG, MRT). Eine weiteres in vivo Verfahren ist die Untersuchung von wirbellosen Tieren, Larven und Embryos. Solche Untersuchungen, z.B. an der Fruchtfliege, gelten nicht als Tierversuch.
Methode
Bei der Mikrodosierung handelt es sich um Experimente am Menschen. Dabei werden freiwilligen Proband*innen Wirkstoffe in so geringen Mengen verabreicht, dass sie keinen gesundheitlichen Schaden verursachen. Die Dosierung beträgt dabei etwa ein Hundertstel von der wirksamen Dosis. Mit hochempfindlichen Methoden können Wissenschaftler*innen messen, wie sich ein Wirkstoff im Körper bei der Aufnahme, Verteilung, Verstoffwechselung und Ausscheidung der Substanz verhält. Positive oder heilende Effekte auf den Menschen lassen sich bei der Mikrodosierung allerdings nicht bestimmen.
Anwendungsbeispiele
Die Pharmakokinetik, also das Wissen darüber, wie die Konzentration eines Wirkstoffs im Organismus verläuft, kann durch die Mikrodosierung direkt im Menschen untersucht werden. Außerdem können auch bereits vor den Tierversuchen (zum Beispiel zur Giftigkeit) durch Mikrodosierung ungeeignete Wirkstoffe ausgeschlossen werden, sodass an dieser Stelle Tierversuche eingespart werden können.
Chancen und Grenzen
Die Wirkstoffe, die bei der Mikrodosierung getestet werden, müssen trotzdem zunächst entwickelt werden. Die Entwicklung von Wirkstoffen findet noch größtenteils mit Hilfe von Tierversuchen statt. Insofern ist die Mikrodosierung eher als erster Schritt vom Versuch im Tier zur Anwendung am Menschen zu verstehen. Man bezeichnet sie daher auch gern als Phase-0-Mikrodosierungstudie- also als eine Studie, die vor den klinischen Studien angesiedelt ist. Dennoch ist es das Ziel, durch die Mikrodosierung einige Studien an Tieren zu ersetzen.
Methode
Nicht-invasive Verfahren gibt es zahlreiche. Dazu gehören alle Methoden, die keinen direkten Eingriff an Tier oder Mensch erfordern, sondern durch äußerliche Beobachtung Ergebnisse liefern. Dazu zählen auch Methoden, die einen Tierversuch zwar nicht ersetzen, aber ihn für das Tier weniger belastend machen. Bildgebende Verfahren sind dabei eine vielversprechende Alternativmethode, da sie direkt beim Menschen zum Einsatz kommen können. Sie liefern dreidimensionale Darstellungen von Geweben und Organen – schmerzfrei und in Echtzeit. So können Forschende die Leistungen bestimmter Hirnareale oder das Verhalten von Wirkstoffen bei Gesunden und Patient*innen beobachten und miteinander vergleichen. Somit lassen sich auf diese Weise auch krankhafte Veränderungen beobachten. Bildgebende Verfahren unterliegen verschiedenen physikalischen Methoden. Hierzu zählen Kontrastmittel (Positronen-Emissions-Tomografie (PET)), Strahlungen (Röntgenaufnahmen, Computertomografie (CT)), Schallwellen (Ultraschall) sowie Magnetfelder (Magnetresonanztomografie (MRT) und funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT)).
Anwendungsbeispiele
In der Hirnforschung helfen bildgebende Verfahren Forschenden zum Beispiel zu erkennen, welche Hirnregionen bei bestimmten Verhaltensweisen aktiv sind. Die PET nutzt dabei ein schwach radioaktives Kontrastmittel, um den Stoffwechsel (Sauerstoffverbrauch) und somit die Aktivität im Gehirn zu beobachten. Das MRT macht hingegen über ein starkes Magnetfeld die Struktur des Gehirns sichtbar. Das fMRT, eine Weiterentwicklung des MRT, kann neben der Struktur auch die Aktivität des Gehirns einfangen. Bildgebende Verfahren bieten außerdem die Möglichkeit, die Aufnahme von Substanzen und deren Wirkung zu verfolgen. Daher kommen sie bei der Risikobewertung und Sicherheitsprüfung von Medikamenten und chemischen Substanzen zum Einsatz oder als Ersatzmethode, um Tierversuche zu vermeiden.
Chancen und Grenzen
Bildgebende Verfahren gibt es schon sehr lange. Durch immer bessere Technik wird die Aussagekraft detaillierter und verlässlicher. Aber genau hier liegt die Grenze solcher Verfahren. Eine Auswertung der aufgenommenen Daten durch einen Computer erfordert hohe Rechenleistungen. Möchte man diese Methode weiterentwickeln, hängt dies nicht zuletzt vom aktuellen Stand der Technik und der Datenauswertung ab. Auf der einen Seite zählen solche nicht-invasiven Verfahren zu den Ersatzmethoden, wenn bildgebende Studien am Menschen Tierversuche ersetzen. Auf der anderen Seite dienen diese Verfahren auch der Verbesserung von Tierversuchen (Refine) und der Reduzierung von Tierzahlen (Reduce). Durch die Bildgebung können Wissenschaftler*innen die Tiere schmerzfrei unter Narkose untersuchen, anstatt einen operativen Eingriff vornehmen zu müssen. Außerdem können sie die verwendeten Tiere über einen längeren Zeitraum untersuchen. Dies bietet bessere Erkenntnisse und es werden weniger Versuchsgruppen benötigt.
Methode
Die grundlegenden Lebensfunktionen und der Aufbau des Erbguts sind in der gesamten Tierwelt sehr ähnlich. Daher können für einige wissenschaftliche Fragestellungen auch wirbellose Tiere und Frühstadien wie Larven und Embryonen verwendet werden. Laut Tierschutzgesetz gelten Versuche an wirbellosen Tieren wie der Fruchtfliege Drosophila Melanogaster nicht als Tierversuch. Ebenfalls nicht als Tierversuch zählen Versuche mit Larven oder Embryonen. In der Tierschutzversuchstierverordnung ist festgelegt, dass Versuche mit Larven erst als Tierversuch gelten, wenn die Tiere eigenständig Nahrung aufnehmen können. Versuche mit Embryonen von Säugetieren sind erst dann als Tierversuch anzusehen, wenn das letzte Drittel ihrer embryonalen Entwicklung begonnen hat.
Anwendungsbeispiele
Fruchtfliegen sind sehr leicht zu halten und ihre genetische Ausstattung ist vollständig bekannt. Sie sind ein guter Modellorganismus, um die Embryonalentwicklung und die Genetik im Allgemeinen zu erforschen. Viele Gene, die beim Menschen Krankheiten erzeugen, finden sich bei Drosophila wieder und können dort genauestens untersucht werden. Ein anderes, für die Forschung wichtiges, wirbelloses Tier ist der Fadenwurm, auch Nematode genannt. Dieser besteht zu gut 80% aus Stammzellen und wird daher oft in der Regenerationsforschung verwendet. Embryonen und Larven werden vor allem in der Entwicklungsbiologie eingesetzt. Ihre sehr vereinfachten Gefäß- und Nervensysteme sind in der Grundlagenforschung vorteilhaft. Möchten Forschende die Eigenschaften einzelner Zellen untersuchen, ziehen sie sogar kleinste Strukturen wie Eizellen oder Spermien für die Forschung heran.
Chancen und Grenzen
Jeder Modellorganismus hat spezielle Anwendungsgebiete, aber auch klare Grenzen (Siehe Infobox). Die Fruchtfliege ist aus der Grundlagenforschung zur Genetik nicht wegzudenken. Da sie sich aber strukturell deutlich vom Menschen unterscheidet, zum Beispiel durch das Fehlen eines geschlossenen Blutkreislaufs, sind komplexe Fragestellungen damit nicht zu beantworten. Embryonen und Larven sind ideal geeignet um die Entwicklung des Lebens nachzuverfolgen, sie stellen jedoch zu keinem Zeitpunkt einen fertigen Organismus dar.
Dabei ist ebenfalls zu berücksichtigen, dass die Muttertiere vorher schmerzfrei getötet werden müssen, um die Embryonen zu gewinnen. Somit ist die Forschung an Embryonen zwar tierversuchsfrei, aber nicht tierfrei.
Modellorganismen und ihre Grenzen
Weitere nicht-invasive Verfahren
Ebenfalls zu den nicht-invasiven Verfahren gehören zum Beispiel Atemgasanalysen. Dadurch können Wissenschaftler*innen unter anderem Abbauprodukte von Medikamenten beim Tier oder auch beim Menschen in der Atemluft messen.
Außerdem gibt es die Möglichkeit, solche Abbauprodukte, aber auch Hormone, im Kot oder Urin von Tieren zu untersuchen, anstatt Ihnen Blut abzunehmen.