Alternativmethoden – ex-vivo Verfahren
Ex vivo bedeutet übersetzt „aus dem Lebenden“, außerhalb des Lebendigen. Bei diesen Verfahren entnehmen Forschende lebendes biologisches Material wie Zellen oder ganze Organe aus dem Organismus und untersuchen es außerhalb. Der Unterschied zu in vitro Verfahren liegt hier im engen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Entnahme des Materials und der Untersuchung unter möglichst lebensnahen Bedingungen. Die Entnahme von Organen oder Geweben aus einem Tier zählt formell nicht als Tierversuch, sofern das Tier ohne vorherige Eingriffe oder Untersuchungen schmerzfrei getötet wurde. Bei der ex vivo Stammzelltherapie therapieren Forschende Körperzellen von kranken Patient*innen außerhalb des Körpers, um sie anschließend dem Patient*innen zurück zu geben. Diese Art der Therapie wird beispielsweise zur Heilung bestimmter Formen von Leukämie angewendet.
Methode
Isolieren Wissenschaftler*innen Zellen unmittelbar aus einem Organismus, so spricht man von einer primären Zellkultur oder Primärkultur. Diese isolierten Zellen spiegeln das natürliche Verhalten der Zelle wider. Die Isolation erfolgt, um sie unter kontrollierten Laborbedingungen zu untersuchen und durch künstliche Nährmedien am Leben zu halten. Ihre natürlichen Eigenschaften wie Sauerstoffaufnahme und Teilungsfähigkeit nehmen mit der Zeit ab, so dass sich Primärkulturen nur für eine kurze Zeit untersuchen lassen. Wird eine primäre Zellkultur mittels gentechnischer Methoden über ihre normale Lebensdauer hinaus kultiviert, ändern sich ihre Eigenschaften. Sie bildet immer weniger das natürliche Verhalten der Zelle oder des Ursprungsorgans ab Die primäre Zellkultur entwickelt sich dadurch zu einer permanenten Zelllinie mit gleichbleibenden Eigenschaften und einer nahezu unbegrenzten Teilungsfähigkeit.
Anwendungsbeispiele
Primäre Zellkulturen dienen zum Beispiel dazu, frisch isolierte Tumorzellen zu untersuchen. Die Eigenschaften der Tumorzellen lassen sich dadurch genau charakterisieren und mögliche Therapien lassen sich testen. Neuronale Zellkulturen, also isolierte Gehirnzellen wie Nervenzellen (Neurone) und Helferzellen, helfen in der Neurobiologie, um zum Beispiel die Regeneration und das Wachstum von Neuronen zu untersuchen. Meist untersuchen Wissenschaftler*innen anhand von Zellkulturen grundlegende Mechanismen, um dann im Tierversuch weniger Tiere zu benötigen und gezielteren Fragestellungen nachzugehen.
Chancen und Grenzen
Der Vorteil von primären Zellkulturen gegenüber der Untersuchung in vivo, also im lebenden Organismus, ist, dass sich die äußeren Einflüsse kontrollieren lassen. Die Zellen sind besser zugänglich und lassen sich somit besser beobachten. Außerdem entsteht keine zusätzliche Belastung für Tier oder Mensch beim Testen verschiedener Therapiemöglichkeiten. Da die isolierten Zellen aber gleichzeitig von ihrem Organ und dem gesamten Organismus abgeschnitten sind, werden die Erkenntnisse meist noch im Tierversuch überprüft. Dennoch lassen sich die Tierzahlen reduzieren, da die Fragestellungen für die Tierversuche schon viel präziser formuliert werden können.
Methode
Ähnlich der primären Zellkultur isolieren Wissenschaftler*innen hier ganze Organe unmittelbar aus einem lebenden Organismus, um sie unter möglichst natürlichen Bedingungen zu untersuchen. Sie werden außerhalb des Körpers durch Nährmedien für eine begrenzte Zeit am Leben gehalten. Entnehmen Forschende ein Organ, um es für spätere Untersuchungen zu nutzen, wie zum Beispiel die Trocknung und Markierung von Organschnitten für mikroskopische Untersuchungen, ist dies ein in vitro Verfahren.
Anwendungsbeispiele
Isoliert ein Forschender ein Gehirn, so kann er zum Beispiel den so genannten Hippocampus, die Region die für Lernen und Gedächtnis verantwortlich ist, herauspräparieren und im Detail untersuchen. So können ohne Tierversuch Fragestellungen beantwortet werden wie: „Was passiert, wenn ein bestimmter Signalweg (beim Lernen) wiederholt aktiviert wird?“. Wenn Forschende Organe isolieren und direkt untersuchen, gilt dies als Ergänzungsmethode, um nach einem Tierversuch möglichst viele Daten zu sammeln. Diese Daten können dann zum Beispiel zum vollständigen Verstehen von Krankheiten beitragen.
Chancen und Grenzen
Der Vorteil eines isolierten Organs liegt darin, dass Forschende zielgenau die Region des Organs freilegen, die sie untersuchen wollen. Allerdings fehlen dabei die Erkenntnisse, wie umliegende Organe diese Region beeinflussen und welche Folgen das für den ganzen Organismus hat. Für die Grundlagenforschung, bei der einzelne Organfunktionen im Vordergrund stehen, sind isolierte Organe aber ein wichtiges Tool.
Methode
Eine spezielle Anwendung des ex vivo Verfahrens ist die so genannte ex vivo Stammzelltherapie oder auch ex vivo Gentherapie. Dabei werden Patient*innen kranke Zellen mit einem Gendefekt entnommen, diese mittels gentherapeutischer Verfahren in der Zellkultur geheilt und anschließend der Person zurücktransplantiert.
Anwendungsbeispiele
Diese personalisierte Therapie gewinnt immer mehr an Bedeutung. Durch die Entnahme, Korrektur und Rücktransplantation von Hautstammzellen konnte zum Beispiel eine blasenbildende Hauterkrankung erfolgreich geheilt werden. Ein weiterer Anwendungsbereich der ex vivo Stammzelltherapie findet sich bei verschiedenen Formen von Krebs. Eine verwandte Art der Anwendung ist die personalisierte Suche nach wirksamen Medikamenten. Wenn Forschende Wirkstoffe an Zellen von Patient*innen ex vivo testen, so lässt sich die direkte Auswirkung auf die betroffenen Zellen der individuellen Person vor der eigentlichen Behandlung untersuchen. Mit dieser Methode haben beispielsweise Wissenschaftler*innen der Charité in Berlin anhand der Stammzellen eines Leigh-Syndrom-Patienten ein Medikament gegen diese bislang unheilbare Muskelerkrankung angewendet.
Organtransplantationen – wussten Sie es?
Erkenntnisse darüber, wie Organe außerhalb des Körpers, also ex vivo, möglichst lange ohne Beeinträchtigung oder Verlust ihrer Funktionen gehalten werden können, sind ausschlaggebend für lebensrettende Organtransplantationen.
Seit 1963 (bis 2020) wurden in Deutschland ca. 142.000 Organtransplantationen durchgeführt. Mit Abstand am häufigsten waren Nierentransplantationen, gefolgt von Leber, Herz, Lunge und Pankreas (https://www.organspende-info.de).
Der Berliner Patient
In einem besonderen Fall wurde ein Leukämie-Patient („der Berliner Patient“) durch eine ex vivo Gentherapie gleichzeitig von Leukämie und AIDS geheilt.
Er verstarb im September 2020 – etwa 12 Jahre nach der Therapie – an einer weiteren Krebserkrankung.