Tierschutz: „Meine Erfahrung hat mich gelehrt: Gesetze kann man ändern“

Dr. Beate Krämer vom Paul-Ehrlich-Institut (PEI) kann auf eine ungewöhnliche Karriere als Wissenschaftlerin zurückblicken. Vor fast 30 Jahren bestand ihr erstes Projekt am PEI darin, einen mehr als 100 Jahre alten Tierversuch auf seine Aussagekraft hin zu überprüfen. Am Ende wurde dieser Test aus dem Europäischen Arzneibuch gestrichen. Eine weitere Streichung eines Tierversuchs aus den Vorschriften gelang ihrem Team 2021 beim Tetanus-Irreversibilitätstest an Meerschweinchen. Krämer erhielt für ihre Arbeit im Laufe der Jahre insgesamt fünf Tierschutzpreise. Tierversuche verstehen hat mit ihr über ihre Forschungsarbeit gesprochen, darüber, wie sich Hürden überwinden lassen und warum sich Tests ohne Aussagekraft so lange im Europäischen Arzneimittelbuch gehalten haben.

Sie haben in ihrer Karriere insgesamt fünf Tierschutzpreise erhalten. Zweimal wurden auf Basis ihrer Arbeit bisher vorgeschriebene Tierversuche aus dem Europäischen Arzneibuch gestrichen, weil sie den Weg zu tierversuchsfreien Methoden geebnet haben. Gratulation zu dieser wirklich außergewöhnlichen Leistung! Was hat Sie bei ihrer Arbeit angetrieben?

Dr. Beate Krämer:  Im Grunde genommen hat mein allererstes Projekt den Ausschlag gegeben. Ich kam 1993 gerade von der Uni und wurde beim Paul-Ehrlich-Institut als Wissenschaftlerin für ein Projekt eingestellt. Es ging dabei darum, den Test auf anomale Toxizität (ATT) auf seine Sinnhaftigkeit zu überprüfen. Ich war zu diesem Zeitpunkt sehr offen und unbefangen. Zusammen mit einer Kollegin habe ich mich ganz frisch in die Arbeit gestürzt und schließlich haben wir festgestellt, dass dieser Test eindeutig keine Aussagekraft hat. Da habe ich gesagt: Dann schreiben wir das aber auch so in unseren Projektbericht, wenn das so ist. Am Ende wurde dieser Test tatsächlich abgeschafft. Das hat mich natürlich begeistert und war sehr motivierend. 1996 haben wir dafür den Tierschutz-Förderpreis der Internationalen Stiftung für Alternativ-Methoden zum Tierversuch (FISEA) erhalten.

Der ATT war immerhin ein Tierversuch, den es schon seit mehr als hundert Jahren gab.

Krämer: Unschädlichkeitsprüfungen an Mäusen und Meerschweinchen sind bereits zur Zeit des Immunologen Emil Behring (1854-1917) entstanden, um giftige Stoffe in Diphtherie- und Tetanus-Seren nachzuweisen. Die Prüfungen wurden später in das Deutsche Arzneibuch aufgenommen. Der daraus entstandene ATT war dann als Unschädlichkeitsprüfung für jede hergestellte Impfstoff- bzw. Serumcharge vorgeschrieben.

Dr. Beate Krämer

Ich bin zu dieser Zeit zum ersten Mal mit dem Europäischen Arzneibuch in Kontakt gekommen. Darin sind in den sogenannten Monographien die verschiedenen Produkte beschrieben und wie sie getestet werden. Irgendwann habe ich gemerkt, wie viel Spielraum diese Monografien bieten und wie wenig präzise viele Tests darin beschrieben sind. Uns sind sogar Fehler aufgefallen. Normalerweise hat man ein Gefühl, dass solche Normen und Gesetze immer stimmen müssen. Meine Erfahrung hat mich gelehrt: Gesetze kann man ändern. Und das war dann noch einmal eine zusätzliche Motivation für meine weitere Arbeit.

Wie hilfreich war das Paul-Ehrlich-Institut als Arbeitgeber?

Krämer: Man hat dort eine große Nähe zu vielen Experten. Das Paul-Ehrlich-Institut hat enge Verbindungen zu den Expertengruppen der Europäischen Arzneibuch-Kommission in Straßburg. Irgendwann gehörte ich auch einer Expertengruppe an. Dort knüpft man wichtige Kontakte, die dabei helfen, mit der eigenen Forschung etwas bewirken zu können.

Wie muss man sich Ihre Untersuchungen zum ATT vorstellen?

Krämer: Wir haben unter anderem experimentelle Daten ausgewertet, Befragungen durchgeführt und alte Befunde gesichtet. Wir haben Testergebnisse gefunden, bei denen die Tiere eher auf die Impfstoffkomponenten als auf unerwünschte Inhaltsstoffe reagiert hatten. Wir konnten auch auf viele, sehr genaue Aufzeichnungen aus der ehemaligen DDR zurückgreifen. Das Resultat unserer Studie war: Wären Impfstoffe bedenklich gewesen, hätten es die Tiere gar nicht zeigen können. Ich habe das Gefühl, dass irgendwie alle ziemlich erleichtert waren, dass das endlich mal jemand ausspricht.

Wurde dieser Test gleich weltweit flächendeckend abgeschafft?

Krämer: Er wurde in Europa zunächst im Bereich der Tiermedizin abgeschafft, dann stufenweise beim Menschen und für Medizinprodukte. Verschiedene außereuropäische Länder haben dann nachgezogen, so konnte dieser Test allmählich in anderen Ländern abgeschafft werden und wurde schließlich auch aus den WHO Vorschriften gestrichen.

Haben Sie eine Idee, wie viele Tiere sie durch ihre Arbeit gerettet haben?

Krämer: Der anomale Toxizitätstest wurde an Mäusen und Meerschweinchen durchgeführt Wir haben das damals mal für Deutschland geschätzt und sind dabei auf etwa 10.000 Mäuse und 4.000 Meerschweinchen pro Jahr gekommen. Aber solche Schätzungen sind unglaublich unsicher, von daher sind sie auch nicht unbedingt repräsentativ.

Es gab keinerlei statistische Gründe für die gewählte Anzahl der Tiere.

Dr. Beate Krämer, Paul-Ehrlich-Institut

Wissen Sie, warum niemand auf die Idee gekommen ist, den Test zu streichen, wenn er jahrzehntelang völlig sinnlos war?

Krämer: Der Test war historisch bedingt. Wir haben das damals recherchiert. Damals zu Emil Behrings Zeiten wollte man schauen, ob die Tiere aufgrund „schädlicher Inhaltsstoffe oder Beimischungen“ Vergiftungserscheinungen zeigen. In ihren Anfängen wurden diese Tests noch an einzelnen Tieren durchgeführt, für den ATT waren dann fünf Mäuse und zwei Meerschweinchen vorgeschrieben. Es gab jedoch keinerlei statistische Gründe für die gewählte Anzahl der Tiere.  

Gab es denn vorher schon Bedenken gegenüber diesem Test?

Krämer: Die gab es sicherlich. Der Test war vorher schon seit Jahren sowohl von Herstellern als auch von Behörden kritisch betrachtet worden. Mir hat mal ein Hersteller bei einer Befragung gesagt: „Wissen Sie Frau Krämer, irgendwie ist es auch ein sicheres Gefühl, wenn man noch mal im Tier gewesen ist.“ Es herrschte damals wohl noch eine größere Unsicherheit vor. Das hat sich mittlerweile geändert, weil Impfstoffe heute unter hoch kontrollierten Bedingungen hergestellt und mit spezifischen Methoden getestet werden.   Der Test auf anomale Toxizität wurde in den 1950er-Jahren im Rahmen der Großproduktion von Penicillinen ins Arzneibuch aufgenommen. Als das Europäische Arzneibuch Mitte der 1970er-Jahre entstanden ist, hat man diesen Test als allgemeine Vorschrift mit reingenommen. Obwohl es keine Daten oder Belege über die Aussagekraft dieser Prüfung gab, hat sich wohl niemand getraut, sie rauszulassen. Auch wenn es später andere Test- und Herstellungsmethoden gab, so wurde dieser Test immer beibehalten.

2008 haben Sie Ihren zweiten Tierschutzpreis erhalten. Worum ging es da?

Krämer:  Es ging um die Testung der Konzentration von Tollwut-Impfstoffen an Mäusen. Dabei erhalten die Mäusegruppen unterschiedliche Impfstoffverdünnungen. Nach zwei Wochen werden die Tiere dann mit dem Tollwutvirus infiziert und es wird geschaut, welche Tiere erkranken. Anhand dieser Zahlen wir die Konzentration der Impfstoffe bestimmt. Der Test ist gesetzlich vorgeschrieben und als Laborleiterin musste ich ihn natürlich durchführen. Wir haben dann 2004 eine serologische Methode entwickelt und etabliert. Mit dieser Methode wird das Blut der Tiere auf anti-Tollwut-Antikörper untersucht. Die Tiere werden zwar auch mit dem Impfstoff immunisiert, doch da keine anschließende Belastungsinfektion mehr notwendig ist, erkranken die Mäuse nicht mehr. Wir untersuchen dann in-vitro, welche Menge an Tollwut-Impfstoff gerade noch eine biologische Reaktion hervorruft. Dadurch benötigen wir deutlich weniger Tiere und die Versuche sind nicht mehr so belastend.

Wie viele Tiere konnten durch die serologische Methode eingespart werden?

Krämer:  In den Laboren, in denen der Test angewendet wurde, konnten tatsächlich 90 Prozent der Tiere eingespart werden. Der Test wurde auch ins Europäische Arzneibuch aufgenommen. Aktuell wird in der Veterinärmedizin eine komplette in-vitroVariante für diese Methode getestet. Im Humanbereich wird der Belastungstest in Mäusen bis heute angewendet. Doch auch hier ist inzwischen eine vollkommen tierfreie Alternativmethode in der Prüfung.

2021 wurde der so genannte Tetanus-Irreversibilitätstest an Meerschweinchen aus dem Europäischen Arzneibuch entfernt. Hier hatten Sie mit Ihrer Kollegin Dr. Heike Behrensdorf-Nicol die fehlende Relevanz des Tests nachgewiesen.

Krämer: Bei Tetanus-Impfstoffen wird das Gift eines bestimmten Bakteriums benutzt. Bei der Herstellung des Impfstoffs wird das Toxin so behandelt, dass es seine giftige Wirkung verliert, jedoch noch eine Immunantwort auslösen kann. Hierzu musste bis 2020 im Tierversuch bestätigt werden, dass während einer längeren Lagerung des Tetanus-Impfstoffs die Giftwirkung nicht zurückkehrt. Dafür wurde jede produzierte Impfstoff-Charge mit zehn Meerschweinchen überprüft. Der Test war seinerzeit vorgeschrieben worden, obwohl für Tetanusimpfstoffe, im Gegensatz zu Diphtherie-Impfstoffen, nie irgendwelche Vorfälle sicher nachgewiesen werden konnten. Er stand über viele Jahre im Europäischen Arzneibuch und wurde nie auf seine Relevanz hin überprüft.

Wie wichtig war für Sie die Arbeit im Team?

Krämer: Sehr wichtig! Heike Behrensdorf-Nicol ist nun seit fast 18 Jahren dabei. Sie übernimmt jetzt meinen Job in der 3R Forschung und macht das auch sehr gut. Die Preisgelder habe ich immer auf meine ganze Forschungsgruppe aufgeteilt, weil auch diejenigen, die nicht namentlich genannt werden, einen wichtigen Beitrag zum Erfolg geleistet haben. Ohne die Arbeit unserer technischen Mitarbeiterinnen und Doktorandinnen hätten wir das ja niemals machen können.

Beate Krämer und die Forschungspreise
1996: Tierschutz-Förderpreis der Internationalen Stiftung für Alternativ-Methoden zum Tierversuch (FISEA): „„Ist der Test auf anomale Toxizität immer noch relevant für die Sicherheit von Impfstoffen, Seren und Antikörper?“; Preisgeld: 2.000 DM

2008: Hessischer Tierschutz-Forschungspreis:„Alternative Testmethode für die Wirksamkeitsprüfung von Tollwutimpfstoffen (für Tiere)“; Preisgeld: 15.000 Euro

2010: Tierschutzforschungspreises des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV): „Entwicklung einer In-vitro-Methode zur Bestimmung von Resttoxizität in Tetanusimpfstoffen“; Preisgeld: 15.000 Euro

2016: Ursula M. Händel-Tierschutzpreis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)
„Verfahren zur Testung von Botulinum-Neurotoxinen“; Preisgeld: 100.000 Euro

2022: Forschungspreis zur Förderung der Erforschung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden für Tierversuche“ des Landes Rheinland-Pfalz: „Untersuchungen zur Relevanz des Irreversibilitätstests für Tetanustoxoide“; Preisgeld: 20.000 Euro

Gibt es Beispiele für weitere erfolgreiche Streichungen von Tests mit Tierversuchen?

Krämer: Da fallen mir als erstes die Unbedenklichkeitsüberprüfungen ein, die gewährleisten sollen, dass keine krankmachenden Erreger oder Teile von Erregern im Impfstoff enthalten sind. So wird beispielsweise der Ausschluss von Fremdviren heutzutage nicht mehr im Tier, sondern auf Zellen oder mittels PCR getestet. Auch im Bereich der Wirksamkeitsprüfung von Impfstoffen gibt es bereits viele Alternativen, wie beispielsweise ELISA-Methoden, um die Konzentration von Antigenen oder Antikörpern zu bestimmen. Es tut sich also einiges in diesem Bereich.

Warum dauert eine Streichung aus dem Europäischen Arzneibuch so lange?

Krämer: Zunächst müssen die Alternativmethoden entwickelt werden. Das kann allein schon Jahre dauern. Bei dem Tollwuttest hat es ungefähr fünf Jahre gedauert, weil wir den Test neben unseren eigentlichen Aufgaben und ohne eigene Forschungsgruppe entwickelt haben. Nach der Entwicklung der Alternativmethode sind Transferstudien notwendig, um zu sehen, ob die Methode auch in anderen Laboren durchführbar ist. Es sind kleinere Studien, die allerdings ebenfalls viel Zeit in Anspruch nehmen. Bis man die Materialien und die Leute zusammen hat und am Ende alles an die anderen Labore verschickt hat, kann schnell ein Jahr vergehen. Des Weiteren folgen dann größere internationale Ringstudien, die meist vom Europäischen Direktorat für die Qualität von Arzneimitteln (EDQM) in Straßburg organisiert werden. Geschätzte Dauer: mindestens anderthalb Jahre. Wenn man danach die Transferdaten und die Ringstudiendaten zusammen hat, sieht man ob andere Labore in unterschiedlichen Ländern zu ähnlichen Ergebnissen kommen.

Wer bewertet am Ende diese Ergebnisse?

Man stellt die Ergebnisse den entsprechenden Expertengruppen des Europäischen Arzneibuchs vor. Diese tagen, meines Wissens, nur drei Mal im Jahr. Die Empfehlungen dieser Gremien werden schließlich in der Arzneibuch-Kommission diskutiert, wobei die Kommission auch nicht so oft tagt. Nimmt die Kommission die Empfehlung an, müssen die geplanten Änderungen zur Kommentierung an die fachliche Öffentlichkeit gegeben werden. Das dauert auch wieder ein halbes Jahr. Und sollte jemand aus der Öffentlichkeit oder ein Hersteller einen Kommentar abgeben, geht dieser wieder zurück an die Expertenkommission, die dann wieder über die Einlassungen berät …

Wie wirken sich die Änderungen der Vorschriften in Europa oder auf die anderen Teile der Welt aus?

Krämer: Es gibt in Europa seit geraumer Zeit das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung. Das spart viele Tierversuche ein. Man muss sich das so vorstellen: Jede produzierte Impfstoffcharge muss geprüft werden, was die große Anzahl der Tests in diesem Bereich erklärt. Wird nun in einem Land eine Charge geprüft, erkennen alle anderen europäischen Länder das Testergebnis an. Wird eine Prüfvorschrift aus dem Europäischen Arzneibuch gestrichen, kann es im außereuropäischen Raum auch Länder geben, die sich melden und sagen: Wir wollen diesen Tierversuch auch abschaffen! Das ist nicht zwingend, passiert aber immer wieder. Doch gibt es auch Fälle, bei denen das nicht so funktioniert. So ist in den USA zum Beispiel der Tollwut-Belastungstest noch in seiner Ursprungsform vorgeschrieben. Es dürfte dort aufgrund zahlreicher Bedenkenträger noch einige Zeit dauern, bis dieser Test auch dort ersetzt wird.

Gibt es noch Tests, die sie gerne abschaffen würden? Gibt es im Gegenzug auch Tests an Tieren, die sinnvoll sind oder die sich auf absehbare Zeit nicht schnell ersetzen lassen?

Krämer: Nein, ich habe das ja lange genug gemacht, jetzt überlasse ich das Feld jüngeren Kolleginnen. Es hat sich viel bewegt. Im Bereich der Veterinär-Impfstoffe werden zum Beispiel die einzelnen Monografien im Hinblick auf die Notwendigkeit von Tierversuchen stetig überprüft. Man fragt sich dabei: Wie weit ist die Forschung? Gibt es möglicherweise Alternativmethoden? Wie sinnvoll sind diese? Das finde ich sehr positiv. Ich habe das Gefühl, dass das heute einfacher geht. Vielleicht war unser „Komm, wir schreiben das jetzt: „Der ATT hat keine Aussagekraft!“ damals wirklich Pionierarbeit.

Um das nochmal klar zu sagen: All diese Aussagen beziehen sich auf die Chargenprüfung bei der Produktion von bereits zugelassenen Impfstoffen. In der Grundlagenforschung und bei der Entwicklung von neuen Impfstoffen sind Tierversuche sicherlich immer noch von Nöten, um zu sehen, wie diese sich im lebenden Organismus auswirken.

2010 und 2016 erhielten Sie weitere Tierschutzpreise. Handelte es sich dabei um die gleiche Methode?

Krämer: 2010 sind wir für die Entwicklung der so genannten BINACLE-Alternativmethode ausgezeichnet worden. Dabei geht es darum, eine mögliche verbleibende Giftwirkung in Tetanus-Impfstoffen zu bestimmen. Diese Methode haben wir dann für die Aktivitätsbestimmung von Botulinumtoxin A und B angepasst, weil die Wirkweise ähnlich wie bei Tetanus funktioniert. Ziel war es, eine patentfreie Methode zu entwickeln, damit alle Unternehmen in Europa nach dem gleichen Standard testen können. Bei Botulinum-Präparaten besteht die Schwierigkeit, dass sich die Methoden verschiedener Hersteller nur schwer vergleichen lassen, unter anderem weil dabei unterschiedliche Einheiten gemessen werden. Für die Entwicklung dieser Methode wurden wir dann 2016 mit dem Ursula M. Händel-Tierschutzpreis der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgezeichnet. Zum tatsächlichen Ersatz eines Tierversuchs und der Aufnahme der Alternativmethode in die entsprechenden Monographien muss in der Regel auch noch einmal bewiesen werden, dass die in vitro-Methode mindestens so gut ist, wie der Tierversuch. Das dauert auch wieder seine Zeit, weil man  Tierversuche natürlich erst genehmigen lassen muss.

Diesen Test dürfte es dann in Europa gar nicht mehr geben?

Krämer: Das wäre schön, doch ist er noch vorgeschrieben. In Deutschland wird er jedoch nicht mehr durchgeführt, da die behördlichen Auflagen zur Durchführung dieser Tierversuche hier so streng sind, dass die Hersteller diese Tests ins Ausland ausgelagert bzw. selbst Alternativmethoden für ihre Produkte entwickelt haben. Allerdings sind diese Methoden alle patentiert. Das ist dann halt die andere Seite der Medaille. Wir haben unsere Methoden nicht patentieren lassen, weil wir wollten, dass alle Zugang dazu bekommen. Zudem werden patentierte Methoden in der Regel nicht ins Europäische Arzneibuch aufgenommen. Dass Interesse an unserem BINACLE Test besteht, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass inzwischen Anfragen von mehreren außereuropäischen Ländern dazu bei uns eingegangen sind.

Wie sehen Sie denn die Zukunft von Tierversuchen bei neuen Medikamenten? Glauben Sie, da ist noch Luft nach oben hinsichtlich einer Umstellung auf tierversuchsfreie Technologien?

Krämer: Ich war mal Gutachterin beim Bundesforschungsministerium für die Vergabe von Mitteln für die Forschung zu Alternativmethoden zu Tierversuchen. Dort sind mir viele Anträge untergekommen, bei denen es darum ging, Tierversuche im medizinischen Bereich zu ersetzen. Da war ich schon erstaunt, was alles geht – und auch, was ich alles nicht weiß. Aber einen wirklichen Überblick habe ich ehrlich gesagt nicht.

Sehr hilfreich bei der Planung von Versuchen sind Datenbanken, die dazu entwickelt wurden, dass man darin nach Ergebnissen anderer Forschungsgruppen suchen kann. So könnte man beispielsweise darin nachschauen, ob ein Tierstamm für eine bestimmte Fragestellung womöglich nicht geeignet ist. Auch gibt es in der medizinischen Forschung inzwischen Datenbanken, in denen man nach tierischen Organen oder Zellen suchen kann. Oft werden für Forschungsfragen nur einzelne Organe benötigt, sodass die übrigen Organe oder Gewebe entnommen und für andere Gruppen zugänglich gemacht werden können. Man muss einfach mehr teilen, sich mehr für andere Forscher öffnen – da gibt es viele tolle Ansätze, finde ich.


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