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Botox-Tierversuche: Hoffnung auf vollständigen Ersatz

Mit einem einzigen Gramm Botulinum Neurotoxin (BoNT, „Botox“) könnte man mehr als eine Million Menschen töten. Trotzdem wird der Stoff in Medizin und Schönheitsindustrie täglich Menschen injiziert. Weil Botox so extrem giftig ist und biotechnologisch hergestellt wird, muss für jede Produktionscharge die genaue Wirksamkeit neu bestimmt werden. Obwohl Alternativen schon lange bekannt sind, wurden die dafür erforderlichen Tierversuche mit zehntausenden Mäusen allein in Deutschland von Herstellern erst in den letzten Jahren ersetzt. Doch einige Hersteller verwenden auch heute noch den Tierversuch. Warum?

Das stärkste bekannt Gift, die Substanz Botulinum Neurotoxin (BoNT), lähmt die Muskulatur, indem sie den elektrischen Impuls zwischen Nerv und Muskel unterbricht. Dennoch kann der besser unter dem Handelsnamen „Botox“ bekannte Giftstoff aufgrund seiner Wirkweise auch zum Guten eingesetzt werden: in der Medizin. Für medizinischen Zwecke, etwa zur Behandlung von spastischen Lähmungen, unwillkürlichen Muskelkontraktionen oder Blasenfunktionsstörungen, ist BoNT auch offiziell zugelassen. Es könnte sogar eingesetzt werden, um Depressionen zu behandeln oder vorzubeugen, vermuten einige Wissenschaftler*innen. Viel häufiger findet man es jedoch in einer Art Zweitverwertung in der Schönheitsindustrie als Anti-Faltenmittel – denn auch Falten entstehen durch Muskelkontraktionen.

Schwer belastende Tierversuche für jede Charge Botox

Wäre BoNT ein rein kosmetisches Mittel, wären Tierversuche zur Sicherheitsprüfung nicht erlaubt. Da es jedoch als Arzneimittel zugelassen ist und auch eingesetzt wird, greift das Verbot hier nicht. Will man die Wirksamkeit einer neuen BoNT-Produktionscharge bestimmen, gibt es einen hochstandardisierten Test. Bei diesem wird Mäusen eine Verdünnung des Gifts in die Bauchhöhle gespritzt. Das wird bei verschiedenen Mäusen wiederholt, bis die Konzentration gefunden ist, bei der 50 % der Tiere sterben. Dieser sogenannte „Lethal Dose 50“ (LD50)-Test ist ein schwer belastender Tierversuch. Aufgrund der lähmenden Wirkung von BoNT wird auch die Atmung gelähmt. Die Tiere ersticken schließlich, wenn eine tödliche Dosis erreicht ist.

Da jede neue Produktionscharge getestet werden muss, ergeben sich große Tierzahlen. Allein in Deutschland werden jedes Jahr zehntausende Mäuse für verschiedene Chargenprüfung eingesetzt, ein Großteil davon mit Schweregrad „schwer“. Diese machten im Jahr 2019 knapp die Hälfte aller schwer belasteten Versuchstiere über alle Versuchszwecke hinweg aus.

Es gibt Alternativen

Es gibt inzwischen einige Alternativmethoden zum Mausversuch. Tatsächlich haben laut Wissenschaftlichem Dienst des Deutschen Bundestages alle Hersteller, die ihre BoNT-Präparate in Deutschland vertreiben, ihre Produktionskette zum Großteil auf tierversuchsfreie bzw. -reduzierte Methoden umgestellt. 2012 hat das Unternehmen Allergan die EU-Zulassung für einen zellbasierten Test erhalten. Die Firma Merz zog 2016 nach. 2018 folgte mit Ipsen das dritte Unternehmen mit einer auf Zellkulturen basierenden Alternativmethode zum LD50-Test. Entsprechend erwarten die Zulassungsbehörden in Europa, dass beim Einreichen eines neuen Zulassungsantrages für ein BoNT-Präparat bereits ein Alternativtest zum Maus-LD50-Test etabliert ist. Dies geht aus dem Tierschutzbericht 2019 der Bundesregierung hervor.

So konnten durch die Alternativen bereits Tierversuche deutlich reduziert werden. Weil aber bei verschiedenen Schritten des aufwändigen Produktionsprozesses Wirksamkeitstests erforderlich sind, sind Tierversuche dennoch auch bei den Herstellern nicht vollständig abgeschafft, die bereits Alternativen einsetzen.

Wo liegen die Probleme?

Das aus Bakterien der Art Clostridium botulinum gewonnene Nervengift ist ein Protein und damit durch Mutationen biologisch variabel – BoNT ist nicht gleich BoNT. Acht Untergruppen (A-H), so genannte Serotypen, sowie mehr als 40 Subtypen und Mosaikvarianten, sind heute bekannt. Dabei unterscheiden sich die Varianten nicht nur in der Proteinsequenz, sondern greifen auch verschiedene Zielstrukturen an den Nervenzellen an. Alternativmethoden müssen daher mit dieser Variabilität zurechtkommen oder spezifisch auf eine Variante angepasst werden. Eine für einen bestimmten Hersteller zugelassene Alternativmethode kann daher nicht direkt auf einen anderen Hersteller übertragen werden, da jeweils eine produktspezifische Eignungsprüfung (Validierung) erforderlich ist.

Diagnose von Botulismus

Tierversuche kommen auch bei der Diagnose der seltenen, aber schweren Krankheit Botulismus zum Einsatz. Die Erkrankung kann durch den Verzehr von Lebensmitteln ausgelöst werden, die mit den Nervengift produzierenden Bakterien verunreinigt sind. Eine am Robert-Koch-Institut neu entwickelte Methode soll auch diese Tierversuche nun ersetzen. Die Methode wurde im Juni 2021 mit dem Hamburger Forschungspreis für Alternativen zum Tierversuch ausgezeichnet.

Auch wenn es in beiden Fällen um den Nachweis von BoNT-Aktivität geht: Die Chargenprüfungen bei BoNT-Medikamenten und die Diagnostik von Botulismus unterscheiden sich deutlich. Und damit auch die Anforderungen für Alternativmethoden. Bei der Diagnostik ist der entsprechende Sero- oder Subtyp, der die Erkrankung auslöst, zunächst unbekannt. Es geht allein darum, herauszufinden, ob das Gift vorliegt oder nicht – egal in welcher Variante. Die Diagnose muss schnell erfolgen, um eine entsprechende Therapie einleiten zu können. Die Chargenprüfung ist hingegen weniger zeitkritisch. Der Sero- oder Subtyp ist bereits aufgrund des Herstellungsprozesses bekannt. Hier kommt es darauf an, sehr präzise die biologische Aktivität des Nervengiftes Botox und den biologischen Mechanismus zu verfolgen.

Hoffnung auf vollständigen Ersatz

Prof. Gerhard Püschel vom Institut für Ernährungswissenschaft der Uni Potsdam hat mit seiner Arbeitsgruppe ein Kontrollverfahren entwickelt, das sich ohne Tierversuche auf alle Varianten und Produkte gleichermaßen anwenden ließe. Der Clou: Püschels Methode misst statt der enzymatischen Wirkung des Nervengifts die daraus resultierenden Folgen. Sie schaut also, wie die Freisetzung der Botenstoffe an den Toxin-empfindlichen Stellen unterdrückt wird. 2015 erhielt der Biochemiker dafür einen Forschungspreis vom Land Berlin.

„Wir haben mit einem Partner aus der Industrie zeigen können, dass unser Testverfahren geeignet ist, die Aktivität von BoNT in pharmakologischen Zubereitungen zu messen“, erklärt Püschel. Der Partner habe sich am Ende jedoch entschieden, auf ein bereits lizensiertes Verfahren zurückzugreifen. „Es bedeutet für die Firmen einen erheblichen zeitlichen und finanziellen Aufwand, ein im Labor voll funktionstüchtiges Testsystem so weiterzuentwickeln, dass es als Routineverfahren zur Testung von Arzneimitteln eingesetzt werden kann. Zudem ist die Zulassung des dann neu etablierten Verfahrens eine große Hürde“, gibt Püschel zu bedenken.

Neue Methoden

Der Potsdamer Forscher versucht mit seinem Team derzeit das Nachweisverfahren mit Hilfe von induzierten pluripotenten Stammzellen weiter zu verfeinern. Dazu hat er sich mit Prof. Bettina Seeger an der Tierärztlichen Hochschule Hannover zusammengetan. Humane Motoneurone, also Nervenzellen, die unsere Muskeln kontrollieren, sollen dabei helfen. „Die Motoneurone sind wesentlich empfindlicher gegenüber dem BoNT und man hätte das Nachweisverfahren damit verfeinern können“, so Püschel. Mit Hilfe der Genschere CRISPR/Cas9 sei es gelungen, das neue Nachweissystem in die Stammzellen einzubauen und sie im Anschluss in Motoneuronen zu verwandeln. Teile dieser Arbeiten sind bereits publiziert. „Allerdings konnte der BoNT-Test bislang in diesen Zellen noch nicht erfolgreich etabliert werden“, sagt Püschel.

Auch am Paul-Ehrlich-Institut wurde 2018 mit einem sogenannten BINACLE Assay eine Alternativmethode entwickelt, die auf den beiden wichtigsten spezifischen Charakteristika des Botulinumtoxins aufbaut und deren Aktivität misst. Das in vitro Verfahren kommt ohne Tierversuche aus und hat in Studien gezeigt, dass es die Wirksamkeit verschiedener, relevanter Botox-Produkte bestimmen kann. Ziel aktuell noch laufender Studien ist derzeit die Aufnahme der Alternativmethode in das Europäische Arzneibuch.

Fazit

In den vergangenen Jahren sind einige weitere Alternativmethoden entwickelt worden, die Zuversicht geben, dass die Zahl der LD50-Tests und somit die schwer belastenden Versuche an Mäusen bei allen Herstellern in Europa und weltweit weiter reduziert werden können. Hierfür sind noch einige Hürden zu meistern – sowohl in der Forschung als auch bei den Zulassungsbehörden. Ein Trend zum Fortschritt bei der Entwicklung und Zulassung von Methoden, die Tierversuche wo immer es möglich ist ersetzen, ist jedoch deutlich erkennbar.

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