Weltweit sind zahlreiche Impfstoffprojekte gegen SARS-CoV-2 angelaufen. Unterstützung kommt dabei aus einer ungeahnten Richtung. Ein weiterentwickelter Tuberkulose-Impfstoff namens VPM1002, soll auch vor schweren Verläufen von COVID-19 schützen können.

Ungeahnter Impf-Beistand: Immuntraining gegen Corona?

Weltweit sind zahlreiche Impfstoffprojekte gegen SARS-CoV-2 angelaufen. Unterstützung kommt dabei aus einer ungeahnten Richtung. Ein weiterentwickelter Tuberkulose-Impfstoff namens VPM1002, soll auch vor schweren Verläufen von COVID-19 schützen können. Dies wird bereits in einer klinischen Studie in Deutschland getestet.

Die Phase-III-Studie, in der ein Wirkstoff auf Wirksamkeit und Verträglichkeit an Menschen getestet wird, läuft an vier Kliniken in Hannover, München, Erfurt und Borstel. Zu den 1000 Teilnehmern der Phase-III-Studie gehören Mitarbeiter im Gesundheitswesen wie Ärzte und Pflegepersonal. Bei einer geplanten zweiten Studie soll der Impfstoff an 1800 Menschen im Alter von über 60 Jahren getestet werden.

„VPM1002 ist die gentechnologisch verbesserte Variante eines jahrzehntealten Impfstoffs, der in vielen Ländern zur Bekämpfung des Tuberkulose-Erregers eingesetzt wird. Im Idealfall verringert die Impfung die Wahrscheinlichkeit, an COVID-19 zu erkranken.
Studienleiter Prof. Dr. Christoph Schindler von der Medizinischen Hochschule Hannover

Seit fast 100 Jahren ist der Lebendimpfstoff „BCG“ gegen Tuberkulose weltweit im Einsatz. Dabei werden die abgeschwächten bakteriellen Erreger der Rinder-Tuberkulose in den Oberarm injiziert. Die Impfung wurde in den 1920er Jahren von den Franzosen Albert Calmette und Camille Guérin entwickelt. Die Abkürzung BCG steht für Bazillus Calmette-Guerin. Sie schützt Kinder vor frühen Formen der Tuberkulose, bietet jedoch bei Jugendlichen und Erwachsenen keinen Schutz vor der Lungentuberkulose, der häufigsten Form der Erkrankung und wird in Deutschland seit 1998 nicht mehr empfohlen.

Impfung mit VPM „sicher und wirksamer als eine Standard-Impfung mit BCG“

Forscher um Prof. Stefan Kaufmann am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie arbeiten seit Jahren an einer Weiterentwicklung des alten BCG Impfstoffs. VPM1002 ist die gentechnisch veränderte Variante von BCG. Die Veränderung beruht auf zwei Aspekten: Zum einen wurde in das BCG-Bakterien-Genom ein bestimmtes Gen des Bakteriums Listeria monocytogenes eingeschleust, das für die Produktion von Listeriolysin verantwortlich ist. Dieses Protein treibt infizierte Wirtszellen in den Zelltod (Apoptose). Zum anderen wurde das BCG-Gen für Urease C inaktiviert. Das Fehlen dieses Enzym ermöglicht eine Ansäuerung, die für die Aktivität von Listeriolysin optimal ist. Aufgrund dieser genetischen Veränderungen gilt VPM1002 als effektiver als der Impfstoff BCG. Studien mit Tieren und Menschen zeigen entsprechende Erfolge.

„Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass eine Impfung mit VPM1002 sicher und wirksamer als eine Standard-Impfung mit BCG ist.“
Prof. Stefan H.E. Kaufmann

Tuberkuloseimpfung als Allrounder

Die Idee, dass die Impfung gegen eine durch Bakterien hervorgerufene Krankheit (Tuberkulose) nun auch gegen das SARS-CoV-2 Virus wirken könnte, klingt ungewöhnlich. Die Hypothese ist aber nicht aus der Luft gegriffen: Studien an Mäusen zeigen, dass der BCG-Impfstoff nicht nur vor Tuberkulose, sondern auch vor Virusinfektionen der Atemwege schützen kann. An Grippe erkrankte Mäuse haben demzufolge weniger Influenza-A-Viren im Blut, wenn sie zuvor mit BCG geimpft wurden. Die Tiere wiesen dadurch weniger Schädigungen der Lungen auf. Eine Impfung mit BCG erhöht weiteren Studien zufolge auch die Resistenz der Tiere gegenüber anderen

Schützen BCG und VPM1002 vor Corona? Quelle: Pixabay

Viren wie zum Beispiel Herpesviren vom Typ 1 und 2. Aus den Niederlanden und Großbritannien gibt es zudem Hinweise darauf, dass BGC als sogenannter Bystander-Impfstoff gegen das neue Corona-Virus helfen könnte. Darunter versteht man eine Übergangslösung, bis ein vollumfänglicher, maßgeschneiderter Impfstoff gegen SARS-CoV-2 entwickelt worden ist.

„Als die COVID-19-Krise hochkam, haben einige Wissenschaftler direkt geschaut, ob in Ländern, in denen die BCG-Impfung Pflicht ist, die COVID-Risiken geringer sind, ob also weniger Krankheitsfälle auftauchen als in Ländern ohne BCG-Impfung. In der Tat fand man hier einen Zusammenhang.“
Prof. Stefan H.E. Kaufmann

Neuste Studien haben sogar ergeben, dass die Weiterentwicklung VPM1002 auch bei Krebserkrankungen wirksam sein und eine Rückkehr von Blasentumoren verhindern kann.

Doch was macht BCG und VPM1002 zu solchen Allroundern? Offenbar löst der Tuberkuloseimpfstoff eine unspezifische Aktivierung des Immunsystems aus. Darunter versteht man eine allgemeine Aktivierung des Immunsystems, etwa durch eine Impfung mit Bakterien oder Viren, die als ein Nebeneffekt auch den Schutz vor anderen Infektionskrankheiten, oder auch veränderten Körperzellen, mit sich bringt.

Der Effekt basiert auf „trainierter Immunität“, einer besonderen Form des Immungedächtnisses, bei der die normalerweise nicht lernfähige angeborene Immunantwort durch die Impfung gewissermaßen trainiert wird, so dass sie etliche Erreger künftig besser bekämpfen kann.

Schützen BCG und VPM1002 vor Corona?

Um die Hypothese zu testen, nehmen auch im australischen Melbourne derzeit 4.000 Beschäftigte des Gesundheitswesens an einer sechsmonatigen Impfstudie teil. Geimpft wird nach dem Zufallsprinzip gegen saisonale Influenza, Tuberkulose (BCG-Impfstoff) oder eine Auswahl von Grippe-Erregern. Blutproben am Anfang und am Ende der Studie sollen Aufschluss über eine mögliche Infektion mit dem Coronavirus geben.

Da VPM1002 generell sicherer und wirksamer als BCG erscheint, erhoffen sich die Forscher am MPI für Infektionsbiologie nun, dass der neue Impfstoff die Symptome einer Infektion mit dem SARS-Co-2-Virus besser mildern kann als der bisherige. Das soll auch in der deutschen Studie untersucht werden, die unter anderem an der Medizinischen Hochschule Hannover durchgeführt wird.

„Wenn wir nur einen Arbeitsfehltag durch Atemwegsinfekte pro Person weniger messen, hätten wir mit unserer derzeitigen Analysemethode schon einen statistisch signifikanten Schutzeffekt“, sagt Christoph Schindler von der Medizinischen Hochschule Hannover. Der würde, davon ist der Forscher überzeugt, für alle Atemwegsinfektionen gleichermaßen gelten – auch für Infektionen mit dem neuen Coronavirus. Deshalb könne man bei einem positiven Ergebnis durchaus überlegen, mittelfristig Risikopopulationen wie Klinikpersonal und älteren Menschen über 60, den Impfstoff zu verabreichen.

Daten auch für Corona-Virus relevant

Doch auch wenn die Testergebnisse mit VPM1002 positiv ausfallen, müsse dennoch weiter an einem speziellen Corona-Impfstoff geforscht werden, gibt Kaufmann zu Bedenken.

Die deutsche Studie wird vom Unternehmen Vakzine Projekt Management (VPM) und dem Serum Institute of India durchgeführt. 2004 hatte die Max-Planck-Gesellschaft die Lizenz für den Impfstoff an VPM vergeben. Seit 2012 entwickelt das Unternehmen den Impfstoff zusammen mit dem indischen Unternehmen, einem der weltweit größten Impfstoffhersteller, der VPM inzwischen mehrheitlich übernommen hat. Sollte sich der Ansatz als erfolgreich erweisen, könnte VPM1002 so in kurzer Zeit in großen Mengen hergestellt und so die Zeit, bis ein wirksamer COVID-19-Impfstoff gefunden ist, überbrückt werden. „Wir sprechen da nicht von Millionen, sondern von zehn bis hundert Millionen Dosen in kurzer Zeit. Das ist auch deshalb sehr wichtig, weil der Tuberkulose-Impfstoff BCG recht knapp ist und die Weltgesundheitsbehörde nun Sorge hat, dass die Kleinkinder in Ländern mit TB nicht mehr geimpft werden können„, sagte Kaufmann in einem Interview mit der Deutschen Welle.

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