Zwei Rhesusaffen

Überwindung von Lähmungen zeigt sich im Versuch mit Affen

Tests mit Chips als Prothesen für beschädigte Nervenbahnen waren erfolgreich. Versuche mit der Gehirn-Computer-Schnittstelle beim Affen zeigen, dass dieser Ansatz Potenzial für Menschen mit Lähmungen birgt.

Mit Gehirn-Computer-Schnittstellen – englisch „Brain-Machine-Interface“ (BMI) – haben Neurowissenschaftler und -technologen erste Erfolge an gelähmten Affen erzielt. Künstlich erzeugte Querschnittlähmungen durch beigebrachte Rückenmarksverletzungen ließen sich im Tierexperiment bereits überbrücken. Das Zeitalter der Cyberborgs, die Verbindung von Mensch und Maschine – im Labor hat es schon begonnen.

Höher entwickelte Säugetiere verfügen über die Möglichkeit, (mit ihren Extremitäten) ausgesprochen vielfältige und koordinierte Bewegungen auszuführen. Diese Fähigkeit ist bei Affen und beim Menschen besonders stark entwickelt. Sie setzt ein hohes Maß an Koordination verschiedener, aufeinander abgestimmter Bewegungsabläufe voraus. Diese steuert eine zentrale Steuerungseinheit, das Zentrale Nervensystem (ZNS). Es besteht aus Gehirn und Rückenmark.

 

Gute Vergleichbarkeit

Das ZNS von Affen, Menschenaffen, aber vor allem vom Menschen ist das am stärksten differenzierte und leistungsfähigste Nervensystem unter allen Wirbeltieren. Die Grundstruktur und die Funktionen sind bei allen Primaten aufgrund ihrer engen biologischen Verwandtschaft sehr ähnlich und daher gut vergleichbar.

Grafik mit zehn Fakten zu Affen.
Zehn Fakten zu Affen.

 

Die Forschung arbeitet nun daran, die biologische Kette von der Reizerregung bis zur Bewegung des Muskels technologisch durch Neuroprothesen zu imitieren. Zentrales Element ist ein Computerchip, der in das Großhirn implantiert wird und als Messfühler fungiert. Seine zahlreichen Elektroden registrieren die Spannungsunterschiede, die zwischen den aktiven Neuronen im Hirn entstehen, und senden die Daten an einen externen Computer. Dieser errechnet dann ein Reizmuster für die Bewegung und sendet es drahtlos zu einem weiteren Chip, der zuvor an die zerstörte Stelle im Rückenmark gepflanzt wurde. Die Elektroden geben die Informationen als elektrische Signale an die sogenannten Motoneuronen weiter, die wiederum die Muskeln aktivieren: Das Bein bewegt sich.

 

Hohes Forschungstempo

Genau dieser Ansatz liegt einer Reihe von erfolgreichen Experimenten an Rhesusaffen zugrunde, deren Ergebnisse kürzlich von einer Schweizer Forschungsgruppe veröffentlicht wurden. Damit konnte erstmals bei einem gelähmten Primaten die Bewegungsfähigkeit eines Beins durch die BMI-Technologie wiederhergestellt werden. Bislang sind solche Erfolge auf relativ einfache Bewegungsabläufe beschränkt. Schwieriger ist dagegen die Überwindung einer vollständigen Querschnittlähmung per Neurotechnik. Doch Fortschritte hat die Forschung auch auf diesem Gebiet gemacht.

Rhesusaffe im Freigehege des Deutschen Primatenzentrums. An den Tieren werden Lähmungen erforscht.
Rhesusaffe im Freigehege des Deutschen Primatenzentrums. Foto: Anton Säckl

Die Geschwindigkeit, mit der leistungsfähigere Hirn-Computer-Schnittstellen entwickelt werden, ist beträchtlich. Zur Rehabilitation von Schlaganfallpatienten werden bereits nicht-invasive BMI-Neuroprothesen eingesetzt, zum Beispiel von Prof. Niels Birbaumer an der Universität Tübingen. Die notwendigen Daten liefert dabei ein Elektroenzephalogramm (EEG), das von der Kopfhaut der Patienten abgeleitet wird. Damit lässt sich die Aktivität des Gehirns messen. Auch das Verfahren fMRT (funktionelle Magnetresonanztomographie), das Bilder von den physiologischen Abläufen im Gehirn herstellt, kann dazu herangezogen werden.

An invasiver Neurotechnologie für den Menschen wird ebenfalls gearbeitet. Durch die Arbeiten der Forschungsgruppe um John Donoghue konnte 2012 eine gelähmte Frau erstmalig per BMI einen Roboterarm steuern. Querschnittgelähmten Versuchspersonen mit implantieren BMI-Sensoren ist es kürzlich gelungen, ein Exoskelett mit den eigenen Gedanken zu steuern und darin wieder aufrecht zu gehen. Derzeit entwickeln die Wissenschaftler und Techniker Chips mit Zehntausenden Elektroden für anspruchsvollere Anwendungen.

 

Grafik: Wrelchen Anteil haben die verschiedenen Tiergruppen an Tierversuchen?
Anteil der verschiedenen Tiergruppen an Tierversuchen.

Prognose

Wie mag die Entwicklung weitergehen? Prof. Miguel Nicolelis von der Duke University in den USA gibt sich betont optimistisch: „Innerhalb von einer Generation könnten Rollstühle überflüssig werden.“ Prof. Hansjörg Scherberger, Leiter der Abteilung Neurobiologie am Göttinger Primatenzentrum, ist da zurückhaltender. Mit seiner Arbeitsgruppe geht er Fragen nach wie: Wie werden Handbewegungen im Gehirn geplant? Wie werden von dort verschiedene Greifbewegungen gesteuert? Die Entwicklung von BMI sei eine langwierige und komplexe Angelegenheit. „Erste spezielle Anwendungen der Technologie in der Praxis erwarte ich in etwa fünf Jahren – wenn bis dahin die Probleme mit der Kabelfreiheit und der Energieversorgung der eingesetzten Schnittstellen ausreichend geklärt sind.“

Frau und Fragezeichen

Dialog

Fragen Sie uns

Unsere Experten beantworten gerne Ihre Fragen.

Kontaktformular Bestellen
Tierversuche verstehen-Podcast
"Fabeln, Fell und Fakten":