Schadstoffe in der Luft – Spurensuche ohne Tierversuche

Luftschadstoffe sind seit langem Teil der öffentlichen Diskussion – nicht nur im Kontext der Automobilindustrie. Woher unser Wissen über die Gefährlichkeit von Luftschadstoffen stammt, wird in den Diskussionen jedoch meistens nicht thematisiert. Tierversuche spielen dabei tatsächlich bis heute eine wichtige Rolle. Am Fraunhofer-Institut für Toxikologie und experimentelle Medizin ITEM sucht Dr. Tanja Hansen nach neuen Methoden, die ohne Tierversuche auskommen. Über den aktuellen Stand der Forschung sowie die Chancen und Grenzen von Alternativmethoden sprach die Forscherin im Interview mit „Tierversuche verstehen“.

Wie wird die Wirkung von Luftschadstoffen auf einen Organismus üblicherweise getestet? 

Dr. Tanja Hansen vom Fraunhofer-Institut für Toxikologie und experimentelle Medizin ITEM sucht nach neuen Methoden, die ohne Tierversuche auskommen. Foto: Ralf Mohr

Dr. Tanja Hansen: Die klassische Testmethode, um die Wirkung von Luftschadstoffen zu untersuchen, ist der Tierversuch. Die ersten Erkenntnisse zur schädlichen Wirkung von Dieselruß stammen aus Versuchen an Nagetieren. Bereits in den 80er Jahren belegten Studien, dass das Einatmen von Dieselabgasen bei Ratten Krebs auslöst. Unter anderem diese Ergebnisse haben die Debatte über Feinstaub angestoßen, sie lösten letztlich die Einführung von Filtern für Dieselpartikel aus. Die Inhalationsversuche haben auch dazu beigetragen, dass der Mechanismus, wie Krebs bei Ratten entsteht, heute gut verstanden ist: Tief in die Lunge eingedrungene Partikel lösen dort eine chronische Entzündung aus. Dadurch sind die Zellen im entzündeten Gewebe ständig Botenstoffen ausgesetzt, die Entzündungen fördern.

Auch Sauerstoff-Radikale, das sind besonders reaktionsfreudige und aggressive Sauerstoff-Moleküle, wirken auf die entzündeten Bereiche ein. Sie schädigen Zellstrukturen, Eiweiße und die Erbinformation. Dies kann bei einigen Zellen zur Entartung in Richtung Krebszelle führen. Ob Dieselruß auch beim Menschen Lungenkrebs auslöst, konnte auf der Basis epidemiologischer Studien noch nicht eindeutig nachgewiesen werden. Auch ist noch nicht bekannt, ob der Wirkmechanismus von Dieselpartikeln in der menschlichen Lunge anders ist als bei der Ratte.

Zu was haben die Versuche mit Tieren noch geführt?

Hansen: Die Tierversuche waren auch relevant für den Arbeitsschutz. Parallel zu diesen Tierversuchen wurde zeitgleich versucht, Biomarker im Menschen zu identifizieren, die anzeigen, ob diese an ihren Arbeitsplätzen Dieselruß ausgesetzt sind, wie zum Beispiel bei Arbeitern in Tunnelanlagen und in Reparaturhallen – oder auch bei Polizisten auf Verkehrsinseln.

Welche Möglichkeiten, Luftschadstoffe sowie ihre Wirkung und Wirkmechanismen zu untersuchen, gibt es neben Tests mit Menschen oder Tieren?

Hansen: Wissenschaftler auf der ganzen Welt suchen nach Alternativmethoden zu Tierversuchen. Am Fraunhofer ITEM liegt der Schwerpunkt auf der Suche nach Alternativen zur Untersuchung von luftgetragenen Stoffen. Zellkulturen und Gewebeschnitte spielen hier eine zentrale Rolle. Neben ethischen Erwägungen spielt dabei auch der Bedarf an humanen Modellen eine Rolle. Denn letztlich soll ja nicht die Wirkung bei Ratten, sondern beim Menschen erforscht werden.

Gibt es in Ihrem Forschungsgebiet Fortschritte beim Einsatz von Alternativmethoden?

Hansen: Heute stehen unterschiedliche Zellkulturmodelle der menschlichen Lunge zur Verfügung. Am Fraunhofer ITEM wurde ein Testgerät entwickelt, mit dessen Hilfe Zellen – analog zu der realen Situation in der Lunge – an der Luft-Flüssigkeitsgrenze kultiviert und dann luftgetragenen Substanzen ausgesetzt werden. Eine direkte schädigende Wirkung auf die Lungenzellen kann man in diesem System gut analysieren. Verschiedene Beispiele zeigen, dass die Ergebnisse zur Wirkungsstärke mit den bereits vorhandenen Daten aus Inhalationsstudien an Ratten gut vergleichbar sind.

Was können solche Methoden besonders gut zeigen?

Mit dem P.R.I.T. ExpoCube können kontinuierlich Daten über den Zustand von Zellen bzw. des Gewebes ermittelt werden. Foto: Ralf Mohr

Hansen: Versuche an Zellkulturen sind auch sehr gut dazu geeignet, um die Wirkmechanismen in einzelnen Zelltypen zu untersuchen. In vielen Fällen entsteht aber eine toxische Wirkung nicht in einem einzigen Zelltyp, sondern es ist dazu ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Zelltypen oder Organe erforderlich. Aus diesem Grund werden am Fraunhofer ITEM auch Präzisions-Lungenschnitte, sogenannte Precision-Cut Lung Slices (PCLS) eingesetzt, um die toxischen Effekte zu charakterisieren. PCLS sind lebende, dreidimensionale Gewebeschnitte der Lunge; sie enthalten nahezu alle Zelltypen, die in der menschlichen Lunge vorkommen. Dazu zählen Epithelzellen, Endothelzellen, Fibroblasten, glatte Muskelzellen, Makrophagen und Mastzellen. Die Gewebeschnitte von Tieren oder Menschen[1] werden in einem speziellen Verfahren hergestellt und leben funktionsfähig mehrere Tage in Kultur. Durch den Erhalt der dreidimensionalen Gewebe-Architektur eignen sich die PCLS insbesondere zur Erforschung toxischer Mechanismen, die eine Kommunikation verschiedener Zelltypen erfordern.

Um auch in anderen Organen eine toxische Wirkung zu entfalten, müssen eingeatmete Stoffe zunächst ins Blut übergehen, man spricht von der systemischen Bioverfügbarkeit. Das Epithelgewebe der Lunge stellt dabei die Hauptbarriere für die Aufnahme inhalierter Stoffe und Partikel in den Blutkreislauf dar. Auch dieser Schritt lässt sich anhand von Zellkultur-Modellen gut nachstellen. Allerdings ist die Übertragbarkeit von der Zellkultur auf den Menschen immer noch ein großes Problem.

Eine weitere Schwierigkeit ist es, anhand tierversuchsfreier Testverfahren Langzeiteffekte vorherzusagen. So dauert beispielsweise die Entstehung von Tumoren mehrere Monate bis Jahre. Ein solch komplexer und langwieriger Vorgang lässt sich im Zellkulturmodell nicht nachstellen. Eine vielversprechende Alternative ist die Bestimmung von körpereigenen Stoffen im Blut, sogenannter Biomarker, die bereits zu einem frühen Zeitpunkt die Entstehung von Tumoren.

Welche Tendenzen zeichnen sich ab? Woran wird geforscht, um die Aussagekraft von Alternativmethoden zur Untersuchung von Luftschadstoffen zu erhöhen oder ihre Möglichkeiten zu erweitern?

Der sogenannte P.R.I.T. ExpoCube ist ein System, mit dem Zell- und Gewebekulturen gegenüber luftgetragenen Substanzen – seien es Arzneimittel oder Chemikalien in Form von Gasen, Aerosolen oder auch Nanopartikeln – exponiert werden können. Foto: Ralf Mohr

Hansen: Alternativmethoden zu Tierversuchen gewinnen zunehmend an Bedeutung. Zudem wächst der politische Druck, weniger Tierversuche auch im Bereich der gesetzlich vorgeschriebenen Giftigkeits-Tests durchzuführen. Ein großes Problem bereiten aber nach wie vor die Schwierigkeiten bei der Dosisextrapolation, also der Ableitung von Grenzwerten. Die Übertragung der Beziehung zwischen Dosis und Wirkung von der Zelle auf den Organismus ist ein Problem, welches in den aktuellen Diskussionen häufig auch mit dem Stichwort qIVIVE (quantitative In-vitro-/ In-vivo-Extrapolation) benannt wird. Dies bedeutet, dass nach wie vor eine Wissenslücke zwischen den Erkenntnissen aus Alternativmethoden und ihrer Übertragbarkeit auf den menschlichen Organismus besteht. Diese Lücke muss geschlossen werden, damit Alternativmethoden besser akzeptiert werden. Am Fraunhofer ITEM arbeiten wir zurzeit in verschiedenen Forschungsprojekten genau daran. Wir entwickeln Methoden, um eine realistische Dosis zu bestimmen, der die Zellen ausgesetzt werden müssen, um die Erkenntnisse zuverlässig auf den auf den Menschen zu übertragen.

 

[1] Menschliches Gewebe stammt von Lungenkrebspatienten, denen die Tumoren zusammen mit kleinen Stücken von gesundem Gewebe entnommen wurden.

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