DFG verleiht Ursula M. Händel-Tierschutzpreis
für Alternativmethoden

Wie können  aus wissenschaftlichem Erkenntnisinteresse preiswürdige Alternativen zum Tierversuch entstehen? Prof. Ellen Fritsche vom Leibniz-Institut für umweltmedizinische Forschung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und PD Dr. Dr. Hamid Noori vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen haben es gezeigt. Für die Ergebnisse ihrer Forschung erhielten sie am 23. November  aus den Händen von  Prof. Katja Becker, Vizepräsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, den Ursula M. Händel-Tierschutzpreis 2018. Die Preisverleihung fand im Rahmen der Eröffnung des neuen Forschungszentrums „Charité 3R – Replace, Reduce and Refine“ im Friedrich-Kopsch-Hörsaal der Charité in Berlin statt.

Organähnliche Zellkulturen, mit deren Hilfe sich die Giftigkeit von Stoffen auf die Entwicklung des Gehirns testen lässt. Riesige Datenbanken, die die Erkenntnisse aus tausenden neurobiologischen Forschungsprojekten an Ratten bereitstellen. Dies sind nur zwei Beispiele für Methoden, die dabei helfen können, Tierversuche in der Forschung zu reduzieren. Im Gespräch mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft erklären die Preisträger Ellen Fritsche und Hamid Noori wie ihre Arbeit dabei helfen kann, Tierversuche zu vermeiden, zu verringern oder die Situation der Tiere zu verbessern und mit welcher Motivation sie an Alternativmethoden forschen.

Als Ellen Fritsche vor etlichen Jahren die Effekte von PCBs, das sind giftige, oft krebsauslösende organische Chlorverbindungen, auf die Gehirnentwicklung untersuchen wollte, stellte sich ihr als Humanmedizinerin die Frage, warum sie die Auswirkungen dieser Stoffe an damals gängigen tierischen Zellen des Nagers testen solle. Sie begann stattdessen einen Test zu entwickeln, mit dessen Hilfe sie die Effekte von PCBs direkt an menschlichen Zellen analysieren konnte: „Ich bin aus wissenschaftlichem Interesse dazu gekommen, Ersatzmethoden für Tierversuche zu entwickeln. Etwas so Komplexes wie einen In-vivo-Versuch in die Kulturschale zu bringen – das hat mich wirklich gereizt.“

Möglichst realitätsnahe In-vitro-Methode

Die Forscherin fragte sich immer wieder, wie man eine In-vitro-Methode, die nicht in einem lebenden Organismus, sondern in einer künstlichen Umgebung abläuft, so gestalten kann, dass sie möglichst realitätsnah ist. Dabei setzt sie bis heute auf ein simples Prinzip: Vereinfachung. „Wie komplex ist die Entwicklung eines Organismus? Jedenfalls zu komplex, um sie 1:1 in einer Petrischale nachzustellen. Deshalb zerlegen wir die komplexen Vorgänge in einfachere Prozesse“, erklärt Fritsche und nennt ein Beispiel: Wenn sich ein Gehirn entwickele, müssten die Zellen wandern – wenn die Zellwanderung jedoch behindert werde, komme es zu Entwicklungsstörungen: „Ich nehme also den Prozess der Zellwanderung – wir sprechen auch von Migration – und setze diesen Prozess in die Kulturschale. Dann untersuche ich dort, welche Stoffe die Wanderung der Zellen hemmen.“

So einfach diese Vorgehensweise zunächst klingt – es gilt auch einige Schwierigkeiten zu überwinden: „Zellen benehmen sich anders, wenn sie sich nicht in einem Verbund aus Zellen bewegen, sondern einzeln auf einer Plastikoberfläche sitzen. Die Signalwege funktionieren ganz anders, wenn man die Zelle von ihren natürlichen Nachbarn trennt“, so Fritsche. „Deshalb arbeiten wir mit sogenannten 3-D-Kulturen – diese haben trotz der Petrischale den Zellkontakt und verhalten sich möglichst natürlich.“ Eine weitere Problematik lässt sich nicht so einfach umgehen: „Wir können in vitro zwar erforschen, wie eine Substanz auf eine einzelne Zelle wirkt – aber was bewirkt eine Substanz im Organismus? Gelangt sie überhaupt in den gesamten Organismus? Entstehen Abbauprodukte oder werden sekundäre Botenstoffe freigesetzt? Solche Vorgänge kann man in vitro noch nicht zufriedenstellend untersuchen“, sagt Fritsche.

Der Test, den die Toxikologin in jahrelanger Forschungsarbeit entwickelt hat, um die Giftigkeit von Stoffen auf die Entwicklung des Gehirns zu testen, ist deshalb Teil einer umfassenden Testbatterie: „So können wir viele Informationen auf einen Schlag liefern – und müssen nicht dutzende Tests gleichzeitig aufsetzen“, erklärt sie, betont jedoch, dass auch in Zukunft ein Tierversuch nicht einfach durch einen singulären Test ersetzt werden könne und warnt vor zu hohen Erwartungen. Immerhin: „Der von uns entwickelte Test führt bereits viele Einzelprozesse zusammen.“

Mit Big Data zum Schaltplan des Rattenhirns

Einen ganz anderen Ansatz verfolgt Hamid Noori. Er ist Mathematiker, Mediziner und Physiker und entwickelt mathematische Methoden, um mit ihrer Hilfe neurochemische Prozesse im Gehirn besser zu verstehen: „Ich begann ursprünglich damit, mathematische Modelle zur Beschreibung psychischer Erkrankungen zu entwerfen – das war die Initiation hin zu meinem jetzigen Forschungsgebiet.“

„Wenn Sie ein mathematisches Modell für die chemischen und neuronalen Prozesse im Gehirn aufsetzen möchten, dann müssen Sie dafür insbesondere die Netzwerkstrukturen im Gehirn kennen“, erklärt Noori. Um an diese Kenntnisse zu gelangen, extrahierte er alle verfügbaren Daten zu Netzwerkstrukturen des Rattenhirns aus bereits vorhandenen Publikationen. „Die Daten zu den neuronalen Netzwerken sind in den einzelnen Papers natürlich nicht in einer standardisierten Form angegeben“, sagt Noori, „sondern in den unterschiedlichsten Formen dargestellt. Deshalb mussten wir die Daten wirklich manuell aus den Publikationen herauslesen.“ Auf diese Weise gelang es Noori und seinen Kolleginnen und Kollegen in einer kleinteiligen Puzzlearbeit, ein mehrskaliges, neurochemisches Konnektom, also quasi einen Schaltplan, des Rattenhirns abzubilden.

Doch Noori gab sich damit noch nicht zufrieden: „In einem zweiten Schritt haben wir die Effekte von neuropsychiatrischen Medikamenten in den Blick genommen, weil es keine systematische Untersuchung dazu gab.“ Auch hier wertete der Forscher wieder tausende Studien zum Thema aus und extrahierte die benötigten Informationen. „Die solcherart zusammengefügten Datenmengen haben wir schlussendlich in Open Access-Datenbanken veröffentlicht – sie können weltweit genutzt werden“, sagt Noori.

Datenbanken sollen Reproduzierbarkeit der Experimente verbessern

Wer immer die Wirkung eines Medikaments testen möchte, kann über diese Datenbanken herausfinden, ob bereits eine Studie dazu existiert und welche Ergebnisse sie erbracht hat. „Unsere Datenbank hilft also vor allem dabei, redundante Studien zu reduzieren“, erläutert Noori, „aber auch, bessere Studiendesigns zu entwerfen, weil sie zeigt, welche Parameter besonders wichtig sind, um Resultate hervorzubringen, und welche Parameter weniger wichtig sind und deshalb vernachlässigt werden können.“ Zudem könnten neue Experimente mithilfe der Datenbanken verfeinert und optimiert werden und erlangten damit auch eine bessere Reproduzierbarkeit.

„Je einfacher sich Experimente reproduzieren lassen, desto mehr Tierversuche können eingespart werden“, erklärt Noori, „weil wir auf viele Reproduktions- und Widerholungsstudien verzichten können.“ Der Mathematiker, Mediziner und Physiker hatte zunächst gar nicht erwartet, mit seiner Arbeit zur Vermeidung von Tierversuchen beitragen zu können. Auch heute noch denke er weniger an die Rettung der Tiere als an die der Menschen: „Ich wollte von Anfang an einfach gute Wissenschaft machen.“

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