Darmbakterien haben Einfluss auf Jetlag und Jo-Jo-Effekt

Die rasche Gewichtszunahme nach Diäten ist ein bekanntes Phänomen. Doch die Gründe für diesen sogenannten Jo-Jo-Effekt waren lange Zeit ein Rätsel. Dr. Christoph Thaiss hat am israelischen Weizmann Institute of Science den Mechanismus im Tierversuch entschlüsselt. Er stieß dabei auf Darmbakterien, die zudem auch die mit Jetlag und Schichtarbeit assoziierten Krankheiten beeinflussen. Diese Forschungserfolge brachten ihm 2017 den Innovationspreis der Deutschen Hochschulmedizin ein. „Tierversuche verstehen“ hat mit dem Wissenschaftler, der inzwischen ein eigenes Forschungslabor an der University of Pennsylvania in den USA betreibt, über den Einfluss der Darmbakterien, die Bedeutung von Tierversuchen für seine Forschung und den Tierschutz in Israel gesprochen.

Wie entstand bei Ihnen die Idee, den Einfluss von Darmbakterien auf unseren Körper zu untersuchen?

Dr. Christoph Thaiss: Die Idee, dass Bakterien im Darm essenziell für verschiedene Funktionen unseres Körpers sind, ist im Prinzip schon über 100 Jahre alt. Sie geht zurück auf die Arbeiten von Ilya Mechnikov. Allerdings sind erst in den vergangenen zehn Jahren die technologischen Fortschritte erzielt worden, die benötigt werden, um diese Hypothese genau zu untersuchen. Deshalb können wir jetzt Analysen zur Funktion von Darmbakterien durchführen, die noch vor kurzem unvorstellbar waren.

Darmbakterien scheinen bei so ziemlich jedem Körperprozess bei uns Menschen und auch bei Tieren mitzumischen. Wie schaffen es die Bakterien, auf den Körper ihres Wirts einzuwirken?

Thaiss: Darmbakterien produzieren eine sehr große Menge an Molekülen, die unser eigener Körper nicht synthetisieren kann. Diese Moleküle sammeln sich nicht nur im Darm an, sondern werden vom Körper aufgenommen und gelangen in den Blutkreislauf. Dadurch sind auch Organe dem Einfluss von Darmbakterien ausgesetzt, die nicht direkt von Bakterien besiedelt sind, wie zum Beispiel die Leber oder Fettgewebe.

Sie haben an Mäusen herausgefunden, dass Bakterien Phänomene wie den „Jo-Jo-Effekt“ nach einer erfolgreichen Diät oder die Jet-Lag-Müdigkeit nach längeren Reisen beeinflussen. Wieso fiel die Wahl auf diese Tierart?

Thaiss: Mäuse sind ideal geeignet, um komplexe Interaktionen wie die zwischen Darmbakterien und Umwelteinflüssen, zum Beispiel bei einer Diät, zu simulieren. Zwar gibt es einige Unterschiede zur Biologie des Menschen, wie zum Beispiel, dass Mäuse nachtaktiv sind, aber die meisten physiologischen Prozesse sind so ähnlich, dass sich die Ergebnisse aus Mäusen oft gut auf den Menschen übertragen lassen. Hinzu kommt, dass die Zusammensetzung der Darmbakterien zwischen Maus und Mensch zwar einige Unterschiede aufweist, aber prinzipiell ähnliche Bakterienstämme beinhaltet. Dadurch ist es möglich, Darmbakterien aus dem Menschen auf Mäuse zu übertragen, um so ihre Funktion zu untersuchen.

Wie beeinflussen Darmbakterien diese Prozesse?

Thaiss: Wir haben herausgefunden, dass Darmbakterien sowohl beim „Jo-Jo-Effekt“, also der Tendenz, nach einer erfolgreichen Diät wieder Gewicht zuzunehmen, als auch bei Stoffwechselkrankheiten, die durch chronischen Jetlag oder Schichtarbeit hervorgerufen werden, eine wichtige Rolle spielen. In beiden Fällen sind es kleine Moleküle, die von Darmbakterien produziert werden und wichtige Prozesse im Wirtsorganismus beeinflussen. Beim „Jo-Jo-Effekt“ sind es zum Beispiel sogenannte Flavonoide – das sind pflanzliche Nahrungsbestandteile, die von Darmbakterien abgebaut werden. Sie können dazu beitragen, dass auf erfolgreichen Gewichtsverlust nicht gleich wieder eine Gewichtszunahme folgt.

Seit der Medizin-Nobelpreis 2017 für die Entdeckung der molekularen Mechanismen des Zeitempfindens vergeben wurde, ist die „innere Uhr“ in aller Munde. Die ersten Entdeckungen wurden dabei mit Hilfe von Fruchtfliegen gemacht. Woher kam die Idee, sich die Rolle von Darmbakterien in diesem Prozess genauer anzuschauen?

Thaiss: Störungen in der „inneren Uhr“ sind ein Phänomen unserer modernen Gesellschaft – hervorgerufen durch Schichtarbeit, Jetlag oder künstliches Licht während der Nacht. Diese Störungen sind mit vielen weit verbreiteten Krankheiten assoziiert, wie zum Beispiel Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. Genau diese Krankheiten werden oft mit einer veränderten Zusammensetzung der Darmbakterien in Verbindung gebracht. Dies war der Ausgangspunkt für uns, in unserer Studie die Interaktion zwischen Darmbakterien und dem Tag-Nacht-Rhythmus anzuschauen.

Was genau haben Sie dabei herausgefunden?

Thaiss: Wir haben entdeckt, dass auch Darmbakterien eine Art „innere Uhr“ besitzen, also einen täglichen Rhythmus durchlaufen, der genau 24 Stunden dauert. Das bedeutet, dass die Darmflora je nach Tageszeit unterschiedliche Funktionen ausführt. Diese täglichen Rhythmen sind für einen gesunden Stoffwechsel wichtig und sind beispielsweise bei chronischem Jetlag oder Schichtarbeit gestört.

Wie und wann könnten wir Menschen von Ihrer Forschung profitieren?

Thaiss: Wir arbeiten im Moment an einer klinischen Studie, die auf unseren Ergebnissen aus dem Mausmodell basiert. Unsere Hoffnung ist, dass wir ähnlich wie im Tierversuch kleine Moleküle identifizieren können, die dem „Jo-Jo-Effekt“ therapeutisch entgegen wirken können. Solche Moleküle könnten dann langfristig in Patienten eingesetzt werden, die eine klinische Therapie zur Gewichtsreduktion durchlaufen.

Sie haben am renommierten Weizmann-Institut in der Nähe von Tel-Aviv geforscht. Welche Tierschutzregelungen gelten in Israel?

Thaiss: Die Tierschutzregelungen in Israel sind mit denen in Deutschland vergleichbar. Es gelten generell die gleichen Richtlinien zum Tierschutz. Die Strukturen zur Beantragung, Begutachtung und Überprüfung von Tierversuchen funktionieren sehr ähnlich.

Nehmen Sie Unterschiede in der Art und Weise war, wie mit dem Thema Tierversuche im Vergleich zu Deutschland umgegangen wird?

Thaiss: Das Thema Tierversuche wird in Israel ähnlich kontrovers diskutiert wie in Deutschland. Einen Höhepunkt erlebte die Diskussion vor etwa sieben Jahren, als es teilweise öffentliche Debatten und sehr viel Aufklärungsarbeit gab. Seitdem ist die öffentliche Aufmerksamkeit etwas gesunken.

Gibt es dabei eventuell kulturelle Unterschiede, möglicherweise aus der jüdischen Tradition heraus?

Thaiss: Die jüdische Tradition basiert stark auf dem Alten Testament. Die am weitesten verbreitete Auslegung beinhaltet, dass Tierleiden im generellen Sinne nur dann gerechtfertigt sind, wenn sie zum direkten Nutzen einer Person beitragen. Wenn ein Tierversuch dazu führen kann, dass ein Menschenleben gerettet werden kann, ist es laut moderner jüdischer Auslegung ein Vergehen, ihn nicht durchzuführen.

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