Bremer Gericht bestätigt Hirnforschung an Affen

Der Bremer Hirnforscher Prof. Andreas Kreiter darf seine Versuche an Primaten vorerst weiterführen. In einem Eilverfahren entschied das Bremer Verwaltungsgericht, dass das Team um Kreiter das Projekt „Raumzeitliche Dynamik kognitiver Prozesse des Säugetiergehirns“ vorerst weiterführen darf. Dazu dürfen wie beantragt 17 Rhesusmakaken aus einen vorherigen Versuch eingesetzt werden. Ebenso darf Kreiter weitere 10 Makaken trainieren und nicht-invasive Untersuchungen durchführen. Vorbereitende chirurgische Kopf-Operationen für die Versuche hält das Gericht für zunächst nicht erforderlich. Das Gericht legte der Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard die vollständigen Gerichtskosten auf und stellte in dem Beschluss fest, dass es Kreiters Antrag fast in vollem Umfang folgte.

Die Bremer Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke) hatte den Antrag am 13. November 2023, also gut zwei Wochen vor dem Ende dem Auslaufen der noch gültigen Versuchsgenehmigung am 30.November 2023, öffentlichkeitswirksam abgelehnt. Begründung: Die Belastung der Tiere sei im Verhältnis zum Erkenntnisgewinn zu hoch und der Tierversuch daher ethisch nicht gerechtfertigt. Zudem seien durch die Versuche, die der Grundlagenforschung zugerechnet werden, in absehbarer Zeit keine anwendbaren Erkenntnisse zu erzielen. Denn die Versuche seien kaum auf Menschen übertragbar. Dagegen hatte die beratende Bremer Tierversuchskommission empfohlen, das beantragte Versuchsvorhaben zu genehmigen.

Das Gericht prüfte ebenso, wie stark die Tiere belastet werden und ob andere Untersuchungsmethoden zur Verfügung stehen. Zu beiden Fragen hatte die Senatorin jeweils zwei Gutachten erstellen lassen, die das Gericht zum Teil mit deutlichen Worten bewertete.

Gutachten genügen nicht den Standards

Ein Gutachten zur Frage bestehender Ersatzmethoden war zu dem Ergebnis gekommen, dass es zu der wissenschaftlichen Fragestellung des Projekts direkt keine Alternativmethoden gebe. Allerdings würden Primaten in neurowissenschaftlichen Studien in wenigen Ausnahmefällen eingesetzt; somit sei anzunehmen, dass andere Methoden zur Verfügung stünden. Und es sei schwer zu argumentieren, dass der Forschungszweck nicht anders zu erreichen sei. Zu diesen Überlegungen schrieb das Gericht, es stelle „insgesamt keine taugliche Grundlage zur Beurteilung der aufgeworfenen Frage nach Alternativmethoden oder zur Bedeutung des Forschungsvorhabens dar. Das Gutachten genügt nicht den Standards, die von einem behördlichen Sachverständigengutachten zu erwarten sind.“

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), das die Behörden zu Alternativen zu Tierversuchen berät, kam zu dem Ergebnis, dass die beantragten Versuche nicht durch andere Methoden ersetzbar sind. Auch ein Gutachten eines Hirnforschers bestätigte dies. Diese Einschätzungen entsprechen einer Stellungnahme der renommierten US-amerikanischen Fachgesellschaft für Neurowissenschaften (Society for Neuroscience, SfN) vom 5. April 2024, die betont, dass Primaten in der neurowissenschaftlichen Forschung weiterhin unersetzbar bleiben.

Gericht stuft Belastungen als höchstens mittelgradig ein

Zudem stufte das Gericht die Belastungen der Versuchstiere als höchstens mittelgradig ein. Die beiden Gutachten, die die Gesundheitssenatorin dazu vorgelegt hatte, berücksichtigte das Gericht nicht; beide Gutachten gingen von schweren bzw. schwersten Belastungen aus. Bremens Landestierschutzbeauftragte Prof. Sybille Wenzel, die eines der Gutachten verfasst hatte, hatte eine besondere Methode der Belastungseinschätzung angewandt, ohne dieses wissenschaftlich fundiert zu erläutern. Zudem hatte die Landestierschutzbeauftragte selbst dargelegt, dass Kreiters Versuchsmethodik in Deutschland seitens der Wissenschaft als mittelgradig belastend eingestuft und in dieser Form von den Genehmigungsbehörden akzeptiert werde.

Hinsichtlich des zweiten Gutachtens einer Mitarbeiterin eines Vereins, der die sofortige Abschaffung aller Tierversuche zum Ziel hat, äußerte das Gericht sogar die Besorgnis der Befangenheit. „Das hat die Unverwertbarkeit des von ihr erstatteten Belastungsgutachtens zur Folge“, heißt es in dem Beschluss. Es sei „zu befürchten, dass diese Ergebnisse in erheblichem Maße durch die tierversuchsablehnende Haltung der Sachverständigen beeinflusst sind“. Das Gericht äußert weiter die Besorgnis, „dass die Belastung möglichst hoch eingestuft wird, um so ein Abwägungsergebnis herbeizuführen, bei dem die Belastung den Nutzen des Vorhabens überwiegt. Damit steht zu befürchten, dass die Gutachtenerstattung nicht mit der nötigen Distanz, Unvoreingenommenheit und Objektivität erfolgt.“ Zur Erforschung des Sachverhalts sei das Gutachten „in Gänze ungeeignet“.

Grundlagenforschung an Primaten rechtlich zulässig

Auch wurde von Behörde eingewandt, dass es einen „deutlichen Wertewandel in der Gesellschaft“ gebe, der für die Beurteilung der ethischen Vertretbarkeit relevant sei. Diesem Ansatz erteilte das Gericht eine klare Absage. Umfrageergebnisse seien für eine rechtssichere Abwägungsentscheidung von vornherein ungeeignet. Außerdem habe der Gesetzgeber Grundlagenforschung unter Verwendung von Primaten trotz der von der Behörde vorgebrachten Umfrageergebnisse nicht grundsätzlich verboten. Tatsächlich gelte für die Beurteilung des Forschungsprojekts, dass der Gesetzgeber ausdrücklich Grundlagenforschung als zulässigen Zweck nennt. Dieser habe damit „unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass kein Rangverhältnis zwischen dem Versuchszweck der Grundlagenforschung und den übrigen […] aufgeführten Zwecken besteht.“

Weil weder die Behörde selbst, noch die beauftragten Gutachten nachvollziehbare Beurteilungen des wissenschaftlichen Werts des Projekts durchgeführt haben, sah sich das Gericht außerstande, eine abschließende Abwägung zwischen der Belastung für die Versuchstiere einerseits und der Bedeutung des Forschungsvorhabens andererseits durchzuführen. „Deshalb hat das Gericht anhand einer Folgenabwägung entschieden“, heißt es in einer begleitenden Pressemitteilung des Gerichts. Dabei hat es den Schaden einer Beendigung des Forschungsvorhabens als gravierender eingestuft als die höchstens mittelgradigen Belastungen der Versuchstiere.

Erneuter Erfolg für Prof. Kreiter und die Universität Bremen

Damit hat sich Hirnforscher Kreiter und die Universität Bremen erneut gerichtlich gegen die Bremer Behörde durchgesetzt. Hinsichtlich zukünftiger Entscheidungen hält das Gericht fest: „Die Entscheidung sollte der rechtlichen Klärung im Hinblick auf künftige Genehmigungsanträge des Antragstellers dienen. Unter Berücksichtigung dessen ist es der [Behörde] bisher nicht gelungen, die Genehmigungsfähigkeit des Versuchsvorhabens aufgrund von Änderungen der Sach- und Rechtslage durchgreifend in Frage zu stellen.“ Ob dieser Hinweis auf das Hauptsacheverfahren zu beziehen ist, dessen Entscheidung noch ansteht, ließ das Gericht offen.

Das Team um Kreiter darf nun so lange weiter auf Basis dieses Beschlusses forschen, bis die Gesundheitssenatorin einen Widerspruch Kreiters gegen die Ablehnung der Versuche bescheidet – das ist bisher noch nicht erfolgt. Und ab dem Zugang dieses Bescheids weitere zwei Monate. In diesem Eilverfahren kann die Gesundheitssenatorin nun innerhalb von 14 Tagen Beschwerde einlegen und das Eilverfahren somit vor dem Oberverwaltungsgericht weiter führen. Nach diesem Eilverfahren steht eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren an.

Weiterführende Links:

Vollständiger Beschluss des Verwaltungsgerichts Bremen

Stellungnahme der Allianz der Wissenschaftsorganisationen

Frau und Fragezeichen

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