„Bedauerlich finden wir, dass es nur Negativbeispiele gab.“

Marion Weigel von der Laborbeaglehilfe e.V. vermittelt ehrenamtlich Beagle aus Tierversuchslaboren. In einem Interview mit der Initiative „Tierversuche verstehen“ äußert sie sich zu der NDR-Doku „Das Schicksal der Laborhunde“ vom 20.11.2023.

Beschreiben Sie die Arbeit, die die Laborbeagle-Hilfe leistet. Wie verläuft die Vermittlung von Laborhunden?

Marion Weigel

Marion Weigel: Laborbeaglehilfe e.V. vermittelt seit 2007 Beagle aus Tierversuchen an Privatleute. Wir betreiben keinen Aktivismus und machen keine Befreiungs“aktionen“. Anfangs haben wir bei den Einrichtungen nachgefragt, inzwischen kommen auch Institute auf uns zu. Wesentlicher Bestandteil der Kooperation ist Verschwiegenheit. In einer schriftlichen Erklärung verpflichtet sich der Verein, weder über die Herkunft, das Institut noch die Art der Verwendung Auskunft zu geben. Das heißt aber nicht, dass wir das nicht wissen – zum Teil können wir die Hundehaltungen besichtigen und die Hunde vor Ort kennenlernen.

Einige Wochen vor dem geplanten Abgabetermin erhalten wir Daten, Fotos und Beschreibungen der Hunde und stellen die Tiere auf unserer Homepage und in den sozialen Medien vor. Interessenten können sich dann bewerben, wobei wir nach gewissen Kriterien vermitteln. Hunde, die wir zum Abholtermin noch keine Endstelle gefunden haben, kommen auf unsere Kosten in Pflegestellen. Wir bezahlen nicht für die Hunde, erhalten aber auch keine Zuwendungen seitens der abgebenden Stellen. Alle Kosten tragen zunächst wir. Wie überall im Tierschutz zahlen die Adoptanten eine Schutzgebühr, die unsere Unkosten decken soll.

Über die Jahre ist eine gewisse Expertise entstanden. Inzwischen übernehmen wir auch Beagle aus anderer Herkunft. Die Tiere werden mit einem Tierschutzvertrag abgegeben, und man kann uns ein Hundeleben lang erreichen. Apropos Leben: Viele der von uns übernommenen Hunde wurden mit 14, 15 Jahren recht alt, einige wenige sogar um die 18. Ausnahmen mit vorzeitiger Sterblichkeit gibt es aber auch, wie bei jedem Tier.

Unsere Aufgabe ist es, den wenigen Hunden, die überleben, ein gutes Zuhause zu ermöglichen. Täten die Vermittlungsvereine das nicht, würden alle Hunde im Labor bleiben. Laborbeaglehilfe e.V. hat seit Bestehen rund 2800 Tierschutzhunde in passende Familien vermittelt.

Wir sehen unsere Aufgabe hauptsächich im Erreichen von Freigaben und in der Vermittlung, aber wir wollen auch informieren und aufklären, allerdings in einer versachtlichten Form.

Wie haben Sie auf die Darstellung der vermittelten Hunde in der NDR-Doku reagiert?

Zwei Beagle am Schlafen.
Foto: Privat

Weigel: Mit Ernüchterung. Wir hatten uns positive Effekte für die Versuchstiere und unsere Arbeit erhofft. Wir waren verwundert darüber, wie der Schwerpunkt gesetzt wurde, nämlich auf wirklich schwierige Fälle. Und darüber, mit Alf einen Hund wiederzusehen, den wir vermittelt haben, ohne die Gelegenheit zu erhalten, darüber etwas sagen zu können.

Bedauerlich finden wir, dass es nur Negativbeispiele und eine gewisse Sensationsgier gab. Natürlich existieren anfänglich oft Schwierigkeiten, aber das ist den veränderten Lebensumständen geschuldet und kann Ihnen mit jedem Tierschutzhund passieren. Der Hund kommt in eine komplett neue Welt. Wesentlich für das spätere Verhalten der Hunde ist die Unterbringung und der Umgang mit ihnen. Die meisten heutigen Laborhunde passen sich schnell und relativ unproblematisch an. Vor zehn Jahren war das anders: ein Zeichen dafür, dass sich die Hundehaltung in vielen Fällen verbessert hat.

Ungünstig ist, dass der Eindruck vermittelt wurde, dass 20 Prozent der Versuchshunde entlassen werden können. Das ist nicht korrekt: Es sind viel weniger, 2022 waren es etwa 2 Prozent.

Drei Beagle beim Spielen.
Foto: Privat

Wir waren überrascht, dass der Film sich hauptsächlich auf ein bestimmtes Institut stützte und denken, dass die Auswahl der vorgestellten Hunde nicht repräsentativ war. Es erweckt den Anschein, als hätten alle entlassenen Hunde gesundheitliche oder psychische Schäden, die mit den Möglichkeiten normaler Hundehalter nicht in den Griff zu bekommen sind. Es wurde so dargstellt, als hätte man mit einem Laborhund die Garantie auf lebenslange Probleme und unendliche Kosten erworben. Das entspricht nicht unseren Erfahrungen.

Es sind immer auch mal ängstliche, schüchterne Hunde dabei oder solche, die länger zur Eingewöhnung brauchen. Entsprechend des Hundecharakters versuchen wir, die Vermittlung entsprechend zu steuern. Es gibt Hunde, die vorzeitig erkranken und nicht alt werden, aber das sind die Ausnahmen, nicht die Regel.

Wir haben nach dem Beitrag hunderte von Nachrichten bekommen, fast alle schockiert und empört. Teils von Hundehaltern, die uns wissen lassen wollten, dass ihr Beagle nicht so ist und die größte Bereicherung überhaupt ist. Teils aber auch von Leuten, die sich durchaus für einen Laborhund interessiert hätten, nun aber zurückschrecken und uns vorwerfen, offenbar wesentliche Mängel zu verschweigen. Die Vergangenheit eines Laborhundes lässt sich eigentlich ziemlich gut einschätzen, im Gegensatz zu Hunden anderer Herkunft.

Wie würden Sie das Verhalten der Beagle-Gruppe am Anfang deuten?

Weigel: Die Hundegruppe im Garten machte auf mich einen vorsichtigen, aber keinen übermäßig verstörten Eindruck. Die frisch entlassenen Hunde werden allerdings sehr vielen Eindrücken auf einmal unterworfen und wirken daher verunsichert.  Laborbeaglehilfe e.V. vermittelt die Hunde einzeln. Wir legen Wert auf einen ruhigen, begrenzten Raum, man muss die Hunde einfach ankommen lassen. Die Hunde haben allein durch die Übergabe im Labor, den stundenlangen Transport und die neue Umgebung schon so viel zu verarbeiten, da halten wir es für sinnvoll, den Umzug so stressfrei wie möglich zu gestalten.

Ist es nach der Vermittlung schon häufiger vorgekommen, dass ein Hund von seinem neuen Halter wegläuft?

Weigel: Ja, kommt vor, aber nicht nur in der Anfangszeit. Meist ist es menschliches Versagen (ohne jemandem zu nahe treten zu wollen). Die Hunde kommen aus dem sehr strukturierten, berechenbaren Institut in eine laute, für sie uneinschätzbare Welt. Man kann im Vorfeld nicht sagen, worauf ein Hund so stark reagiert, dass er entläuft und dann möglicherweise außer Kontrolle gerät. Hunde entlaufen, wenn der Mensch nicht bei der Sache ist. Es genügt ein locker sitzendes Geschirr, eine nicht ganz geschlossene Tür, fehlende Schleusen, eine Schrecksituation, Jagdtrieb, eine falsche Reaktion vom Hundeführer. Die Vereine übergeben die Hunde daher entsprechend gesichert und sensibilisieren die neuen Halter sehr sorgfältig. Das ein Beagle entläuft, kann jederzeit passieren, selbst langjährigen Besitzern. Es gibt auch dafür einen Verhaltens- und Maßnahmenkatalog.

Sehen Sie das Vermischen von regulär vermittelten ehemaligen Laborhunden und den damals unter besonderen Umständen geretteten Hunden in der Doku als problematisch an?

Beagle mit Spielzeug.
Foto: Privat

Weigel: Nein, eigentlich nicht: Es sind einfach Hunde, die bisher in Forschungseinrichtungen gelebt haben. Aus dem genannten Institut wurden zuvor noch keine Hunde entlassen und die Situation war voller Zeitdruck. Ich denke nicht, dass der Film ohne diese Erwähnung und möglicher Missstände vollständig wäre, aber dieses Institut wurde behördlich geschlossen. Dass man negative Entwicklungen und Missstände zeigt, ist richtig. Es sollte aber bitte auch die andere Variante dargestellt werden, die die weitaus häufigere ist. Wir haben dort jahrelang genauso um Hunde gebeten wie wir von Zeit zu Zeit die anderen Institute anschreiben.

Anfang 2020 haben wir innerhalb kürzester Zeit viele Hunde übernommen. Bis auf einen sind alle davon noch am Leben. Soweit wir wissen, sind die anderen bei normaler Gesundheit.

Nur ein Teil aller dort entlassenen Hunde tragen das Telemetrie-Gerät oder zumindest verbleibende Drähte. Alle Halter wurden darüber aufgeklärt, sie haben sich für diese Hunde entschieden. Alf war zunächst bei der Halterin in Pflege und wurde nach kurzer Zeit von ihr übernommen.

Außer uns hat niemand die Telemetrie-Hunde übernehmen wollen. Wir übernehmen auch von anderen Stellen Hunde mit Defiziten oder alte Hunde, bringen die aber dann entweder in Dauerpflegestellen unter oder erklären, was auf den Halter zukommen kann. Wir sind unter Wahrung der Verschwiegenheitsverpflichtung so transparent wie möglich, alles andere wäre nicht seriös.

Wie ist die Übernahme des Telemetrie-Hundes Alf, der in dem Film zu sehen ist, damals verlaufen?

Weigel: Alfs Halterin wandte sich etwa 6 Wochen nach der Vermittlung an uns und berichtete von Anfällen. Zuvor war davon nichts bekannt. Hunde mit bekannten neurologischen oder anderen Auffälligkeiten werden nur nach vorheriger, genauer Absprache entlassen. Es tut uns leid, dass Alf offenbar eine epileptiforme Erkrankung hat, aber Beagle – und einige andere Hunderassen – sind prädestiniert dafür. Krampfanfälle können durch alles Mögliche ausgelöst werden und treten unabhängig von der Herkunft auf. Dagegen stehen hunderte von Hunden ohne epileptische Anfälle, und die Mutmaßungen, die die Halter äußerten, können von uns nicht belegt werden.

Wie häufig kommt es (ungefähr) vor, dass ein ehemaliger Laborhund in seinem neuen Zuhause ersthafte gesundheitliche Probleme hat oder kein Futter zu sich nehmen möchte?

Beagle bei sozialer Interaktion.
Foto: Privat

Weigel: Es kommt oft vor, dass die Hunde nicht mit den vorhandenen Näpfen oder Unterlagen klarkommen. Sie müssen diese Dinge erst lernen. Einem meiner Pflegehunde habe ich Wasser per Einwegspritze zugeführt, aber dieser Hund saß auch drei Tage lang auf dem Boden und hat Löcher in die Luft gestarrt. Wir fanden dann heraus, dass es die Spiegelung in der Wasserschüssel war, die die Hündin ängstigte, offenbar trank sie bisher aus Wasserspendern, wie man sie von Nagerkäfigen kennt. Man kann in den Instituten nachfragen, wenn sich Probleme ergeben, die Pfleger kennen ihre Hunde sehr genau. Den Pflegern ist daran gelegen, dass es den Hunden gut geht, und dass die Umstellung leicht fällt. Wir haben das mit unserer Pflegehündin spielerisch gelöst, nach kurzer Zeit war alles in Ordnung.

Normalerweise akzeptieren die Hunde das neue Futter. Es sind aber gelegentlich Hunde dabei, die die neue Nahrung nicht annehmen wollen, vielleicht, weil es sich natürlich nicht um die gewohnte Futtermischung handelt. Wir fragen bei Bedarf im Institut nach und beschaffen das Basisfutter. Oft wird auch schon für die ersten Tage etwas mitgegeben, was dann nach und nach ersetzt wird. Den Hunden immer neue Buffets zu kredenzen führt nach unserer Erfahrung nur zu noch mehr Problemen.

Es gibt auch Hunde, die sich nicht lösen wollen, weil die Umgebung sie verunsichert. Auf die Tiere stürzt so viel ein, die haben einfach Stress.

Ernsthafte gesundheitliche Probleme in der Anfangszeit entstehen oftmals durch Parasiten oder schlechte Zähne. Wir nennen den Haltern Hilfsmöglichkeiten und bitten um Abklärung innerhalb eines kurzen Zeitraums. Probleme entstehen auch durch Überforderung oder einer falschen Einschätzung seitens der Halter, etwa lange Spaziergänge in sommerlicher Hitze.

Wir reden über Hunde, die in reizarmen Umgebungen gelebt haben, dies betrifft auch Wetter, Immunsystem und Kondition. Das Problem ist häufig nicht die Verwendung als Laborhund, sondern die Rasse Beagle an sich, und die Erwartungen der neuen Besitzer. Die Hunde haben die bisherige Zeit nicht so verbracht, wie wir uns das wünschen, aber sie haben jetzt eine Chance. Wir möchten, dass man ihnen diese Chance nicht auch noch nimmt, indem man ein einseitiges Bild zeichnet.

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