Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen hält Forderungen nach einem Fahrplan für den generellen Ausstieg aus Tierversuchen für wissenschaftlich nicht begründet. Diese Forderung „verkennt zentrale Grundprinzipien, wie Forschung neues Wissen und innovative Entwicklungen hervorbringt“, schreibt die Allianz in einer Pressemitteilung. Tierversuche seien nach wie vor erforderlich, um die Funktionsweise komplexer biologischer Systeme zu verstehen. Ebenso seien Tierversuche „die Grundlage für die ethisch vertretbare Durchführung klinischer Humanstudien“. Hintergrund ist die Anhörung der Europäischen Bürgerinitiative “Save Cruelty-Free Cosmetics – Für den Schutz kosmetischer Mittel ohne Tierquälerei und ein Europa ohne Tierversuche“ am 25. Mai 2023 im EU-Parlament.
Wissenschaftsorganisationen setzen auf Methodenmix
Zugleich unterstützen die Wissenschaftsorganisationen der Allianz die Entwicklung tierversuchsfreier Methoden. Diese „können bei spezifischen wissenschaftlichen Fragestellungen und in Prüfverfahren bereits jetzt Tierversuche ersetzen“, heißt es in der Stellungnahme der Allianz. Sie koordiniert auch die Initiative Tierversuche verstehen. Tierversuchsfreie Methoden seien weiter voranzutreiben und ihr Potenzial bestmöglich zu nutzen.
Dabei setzen die Wissenschaftsorganisationen auf einen Mix von Methoden, der in der Lage ist, die jeweiligen wissenschaftlichen Fragestellungen zu beantworten. Um Körperfunktionen und Krankheiten zu verstehen und eine hohe Innovationskraft bei medizinischen Entwicklungen zu gewährleisten, sei es wichtig, dass sich Tierversuche und tierversuchsfreie Methoden ergänzten, schreibt die Allianz. Die pauschale Forderung nach einem generellen Ausstieg aus Tierversuchen werde dieser komplexen Anforderung nicht gerecht.
Auch das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) wendet sich gegen eine pauschale Abschaffung von Tierversuchen. Die Forschenden dort nutzen auch heute schon alle verfügbaren Methoden und Modellsysteme. „Wir forschen an Molekülen und Proteinen, an Zell- und Gewebekulturen, an Gewebeproben, Organoiden und mit Computermodellen. Auch epidemiologische und bildgebende Untersuchungen liefern wertvolle Ergebnisse“, so das DKFZ in einer Pressemitteilung. Doch Krebs sei eine Krankheit, die den ganzen Körper betreffe. Die Erforschung der hohen Komplexität lasse sich nicht an einen festen Zeitplan binden und nur in einem intakten Organismus abbilden. Deshalb werde die Krebsforschung „nicht in absehbarer Zeit auf Untersuchungen an Tieren verzichten können“, so das DKFZ.
Sehr besorgt über die Forderungen der Bürgerinitiative nach einer Abschaffung von Tierversuchen in Europa zeigte sich auch die „Liga der europäischen Forschungsuniversitäten“ (LERU) in einer gemeinsamen Stellungnahme mit dem Forschungsverbund „EU-LIFE“. Das vergangene Jahrzehnt habe zwar deutliche Fortschritte bei tierversuchsfreien Technologien gebracht, solche Modellsysteme seien aber noch weit davon entfernt, die biologische Komplexität in der Erforschung von Gesundheit und Krankheit nachzubilden. In manchen Fällen seien Tierversuche vielleicht niemals ersetzbar. Sich einem festen Zeitplan zu unterwerfen sei daher unratsam und würde die europäische Wettbewerbsfähigkeit in der Forschung erheblich beeinträchtigen – gerade in einer Zeit, in der die technologische Souveränität für Europa entscheidend sei.