Wie „Google Street View“ im Mäusekopf

Forschern ist es gelungen, das Gehirn der Wüstenrennmaus zu kartographieren. Dadurch könnten Patienten mit neurologischen Erkrankungen künftig besser behandelt werden.

Deutschen Forschern ist es gelungen, das gesamte Gehirn der Wüstenrennmaus zu kartographieren. Die Wissenschaftler um den Neurobiologen Eike Budinger vom Leibniz-Institut für Neurobiologie Magdeburg (LIN) haben dieses kleinteilige Puzzle in langjähriger Arbeit zusammengefügt. Durch ihre Ergebnisse könnten in Zukunft Menschen mit neurologischen Erkrankungen wie Demenz, Parkinson oder Taubheit gezielter behandelt werden.

 

Wüstenrennmaus, Foto: Leibniz-Institut für Neurobiologie (LIN)
Wüstenrennmaus, Foto: Leibniz-Institut für Neurobiologie (LIN)

Das Gehirn ist äußerst komplex aufgebaut und in viele Regionen mit unterschiedlichen Funktionen aufgeteilt – wie ein Puzzle aus Hunderten von Teilen. Wenn Neurologen die Funktionen des Gehirns analysieren, brauchen sie verlässliche Informationen, wo sich welche Strukturen befinden. Für die Wüstenrennmaus gab es dafür bisher kein vollständiges Nachschlagewerk. Der Neurobiologe Eike Budinger vom LIN hat gemeinsam mit seinen Kollegen Susanne Radtke-Schuller und Gerd Schuller aus München sowie Frank Angenstein, Oliver Grosser und Jürgen Goldschmidt aus Magdeburg daher mit der Kartographie des Gehirns der Wüstenrennmaus Pionierarbeit geleistet. Das Team hat eine Art „Google Street View“ eines Mäusekopfs geschaffen. Dieser digitale Atlas bildet mehr als 700 Gehirnstrukturen ab, die sich nun gezielt ansteuern lassen – ähnlich wie bei dem Internet-Kartendienst.

 

Die Wissenschaftler haben dafür eine neuartige Methode angewendet. Sie verknüpften histologische, computertomographische (CT) und kernspintomographische (MRT) Bilder vom Gehirn der Wüstenrennmaus. Mit Hilfe von Landmarken auf dem Schädel der Maus konnten sie die Strukturen schließlich eindeutig lokalisieren und zu einem Gehirn-Atlas zusammenfassen. „Die Bereitstellung solch einer präzisen Karte ermöglicht anderen Forschern eine genauere Platzierung von Ableitelektroden oder Stimulatoren“, erklärt Prof. Dr. Tobias Moser, Direktor des Instituts für Auditorische Neurowissenschaften der Universität Göttingen. Auch die Auswertung der elektrischen Ableitungen sei ohne eine genaue Karte nur unzureichend möglich. „Die Erstellung einer Karte des Rennmausgehirns ist daher ein wichtiger Beitrag nicht nur für die Grundlagenforschung, sondern auch für die angewandte Neurowissenschaft“, so Moser. Bisher hätten sich Wissenschaftler auf den Atlas des Rattengehirns und auf gesammelte Erfahrungen aus eigener Tätigkeit oder Arbeiten anderer Forscher bezogen.

 

Foto: Understanding Animal Research
Wüstenrennmaus, Foto: Understanding Animal Research

 

Die Bedeutung der Wüstenrennmaus für die Forschung

 

Moser hat sich unter anderem darauf spezialisiert, an der Wüstenrennmaus Schwerhörigkeit zu erforschen. Er entwickelt neue diagnostische und therapeutische Ansätze oder verbessert sie. Zum Beispiel beim Cochlea-Implantat – einer Hörprothese. „Für die Entwicklung eines optischen Cochlea-Implantats verwenden wir die Wüstenrennmaus“, sagt Moser. Gegenüber dem aktuell verwendeten elektrischen Cochlea-Implantat verspreche es viele Vorteile. „Bei der Erforschung müssen wir die Aktivierung der Hörrinde untersuchen. Die topographischen Informationen von Budinger und seinem Team sind hierfür sehr wichtig“, unterstreicht Dr. Astrid Klinge-Strahl, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Göttinger Institut.

 

Die Wüstenrennmaus ist seit Jahrzehnten ein wichtiges Tiermodell in den Neurowissenschaften, insbesondere für die Erforschung des Hörens, aber auch von Demenz und Schlaganfällen. Außerdem lässt sich der Verlauf von Tremor- und Parkinsonerkrankungen an den Tieren gut beobachten. Der Grund dafür liegt darin, dass die kleinen Tiere zahlreiche Ähnlichkeiten zum Menschen besitzen.

 

Wichtiger Beitrag zur Umsetzung des 3R-Prinzips

 

Neurologische Krankheiten sind äußerst komplex. Forschung mit alternativen Methoden stößt in diesem Bereich daher schnell an ihre Grenzen. Die Wissenschaft ist daher auf Versuche an Tieren angewiesen, gleichzeitig aber sehr engagiert das sogenannte 3R-Prinzip bestmöglich umzusetzen. Budinger und seine Kollegen haben auch an dieser Stelle einen wichtigen Beitrag geleistet: Durch die Kartographie des Gehirns der Rennmaus können in Zukunft aufwendige Voruntersuchungen entfallen und so die Zahl der Versuchstiere in diesem Bereich der Forschung gesenkt werden.

 

Weitere Informationen darüber, wie Cochlea-Implantate den Alltag von Patienten erleichtern, finden Sie hier im Video:

 

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