Im Stall quieken die Ferkel. Ein Mann im roten Arbeitsanzug nimmt eines der Tiere bei den Hinterbeinen und gibt eine Spritze mit Eisen in den Ferkelpopo, um einer Anämie vorzubeugen. Über den zahlreichen Gebäuden aus rotem Backstein liegt der zarte Duft tierischer Ausscheidungen. Bauernhofatmosphäre. Aber das Gut Mariensee bei Hannover ist kein klassischer Bauernhof. Im Gut residiert das Institut für Nutztiergenetik – eines von elf Friedrich-Loeffler-Instituten (FLI). Hier werden Spermaproben ausgestorbener Tierrassen aufbewahrt, die Entwicklung der Eizellen und Embryonen bei Kühen und Schweinen untersucht und an der Zukunft der Medizin geforscht. Die Tiere im Stall sind Versuchstiere.
Von Annett Zündorf
Professor Heiner Niemann, rotes T-Shirt, helle Hose, zupackender Typ, sitzt in seinem Büro. Der Veterinärmediziner kam vor über 30 Jahren als Doktorand ans Institut. Mittlerweile leitet er es. Sein Spezialgebiet ist die Xenotransplantation. Klingt fremd? Ist es auch. Bei einer Xenotransplantation werden einer Tierart Teile einer anderen Tierart übertragen; ein artfremdes Organ wird übertragen.
Für manche klingt das nach Frankenstein, Anmaßung des Menschen über das Tier. Für Niemann ist es Forschung, die den engen Transplantationsmarkt entlasten könnte. „In der EU warten mehr als 60.000 Menschen auf ein geeignetes Spenderorgan. In Deutschland sterben jeden Tag statistisch gesehen drei Patienten, während sie auf eine neue Niere, eine Leber oder ein Herz warten“, sagt Niemann. Organe von Tieren könnten diesen Menschen ein längeres Leben ermöglichen.
Im Fokus der Versuche steht das Schwein. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht – das Schwein ähnelt dem Menschen. Sein Herz ist ähnlich aufgebaut, Teile des Nierenapparates funktionieren genauso, die Retinazellen im Auge sind nahezu identisch. Auch das Genom zeigt viele Gemeinsamkeiten. Gute Voraussetzungen für eine Übertragung. Wäre da nicht die Reaktion des menschlichen Körpers. Jeder fremde Eindringling wird erkannt und vom Immunsystem heftig bekämpft. Egal, ob es sich um Bakterien oder ein neues Herz handelt.
In Mariensee erforscht Heiner Niemann mit seiner Arbeitsgruppe, wie sich diese natürlichen Abstoßungsreaktionen überlisten lässt. Nur genetisch veränderte Tiere – so genannte transgene Schweine – kommen dafür in Frage. Sie müssen gleich mehrere Bedingungen erfüllen. So sitzen auf der Zelloberfläche von Schweine-Organen Zuckermoleküle. Als würde jemand Fähnchen schwingen und rufen „Hier bin ich, ich gehöre nicht hierher“, ziehen diese Moleküle das menschliche Immunsystem unweigerlich an. Die menschlichen Antikörper attackieren das Organ erbarmungslos. Das Gen für die Zuckermoleküle konnten die Forscher inzwischen ausschalten. Das bedeutet, die Moleküle werden im genetisch veränderten Tier gar nicht erst gebildet. Ebenfalls ein Problem: Tierische Keime dürfen auf keinen Fall auf den Menschen übertragen werden. Aber in der DNA der Schweine lauert ein weiterer Feind. So genannte Retroviren haben sich im Verlauf der Evolution ins Erbgut geschlichen. Das ist bei Schweinen so. Und bei Menschen auch. Theoretisch sind sie kein Problem und schaden dem Organismus nicht. Aber niemand weiß, was passieren würde, wenn sie gemeinsam mit einem Organ auf den Menschen übertragen würden. Die Forscher müssen Sie aus dem Erbgut herausschneiden. „Wir brauchen also mehrere genetische Veränderungen gleichzeitig, um diese Reaktionen zu verhindern“ erklärt Niemann. Trotz genetischer Veränderungen muss eine Aufzucht unter normalen Bedingungen möglich sein. Nur dann sind die Voraussetzungen für eine Transplantation geschaffen.
Aber das reicht nicht. So reagiert auch das menschliche Blut sofort auf Eindringlinge. Es gerinnt im neuen Organ, das Gewebe schwillt an. Auch hier müssen die Forscher eine bestimmte Stelle im Erbgut so verändern, dass das Blut nicht gerinnt.
Das ist der Arbeitsgruppe jetzt erstmals gelungen. „Ein großer Schritt“, schätzt Niemann ein. Bis zu diesem Punkt war sehr viel Arbeit notwendig. Die Forschung zur Xenotransplantation ist sehr langwierig, teuer und aufwändig. In einem Sonderforschungsbereich der Deutschen Forschungsgemeinschaft (TR-SFB 127) arbeiten Gruppen aus ganz Deutschland zusammen, um klinisch verwendbare Xenotransplantate zu entwickeln, damit bald Menschen mit diesen Organen leben können. In dem großen, neuen Laborbau aus roten Backsteinen sitzt Maren Ziegler vor einem Mikroskop. Darunter liegt eine Eizelle. Sie stammt vom Schlachthof, wäre dort wertloser Abfall gewesen. Nun wird sie Teil der Forschung. Gerade hat die technische Assistentin aus Glasstäben hauchdünne Pipetten gezogen. Damit spritzt sie eine gentechnisch veränderte Zelle mit den gewünschten Eigenschaften in die Eizelle. Ein kleiner elektrischer Impuls und schon sitzt das neue Genom in der Eizelle. Die wird dann später einer Sau eingepflanzt und dann werden hoffentlich viele kleine Ferkel mit den gewünschten Eigenschaften geboren. Niemann interessiert sich besonders für das Herz und die Herzklappen. Bereits seit einigen Jahren werden von den Herzchirurgen Herzklappen von Schaf, Rind oder Schwein beim Menschen eingepflanzt. Aber dabei handelt es sich nur um ein Gerüst aus Bindegewebe, von dem jede tierische Zelle entfernt wurde. Stattdessen werden die tierischen Herzklappen mit menschlichen Zellen des Empfängers, besiedelt. Dieses Verfahren wurde in der Klinik von Professor Axel Haverich an der Medizinischen Hochschule Hannover entwickelt, mit der die Gruppe von Niemann eng kooperiert. „Diese Herzklappen verkalken schnell. Wir wollen eine längere Lebenszeit erreichen“, erklärt Niemann.
Vielen Menschen bereiten diese Versuche Unbehagen. Darf man ein Tier nutzen, nur damit Menschen länger leben können? „Ich habe ein anthropozentrisches Weltbild. Bei mir kommt der Mensch vor dem Tier“, sagt Niemann. „Medizinischer Fortschritt ist immer mit Tierversuchen verbunden“ Das heißt nicht, dass er Tiere missachtet. Seine Herde wird nach den neuesten Standards der Schweinehaltung gezüchtet und gehalten. Nur ein bisschen steriler, damit Keime aus der Umwelt nicht ans Tier gelangen. Deshalb wohnen die Schweine in einem Stall, der nur über eine Schleuse zu betreten ist. Bevor ein Tier für Versuche genutzt wird, werden alle anderen Untersuchungsmöglichkeiten genutzt. Als erstes sind die Zellen im Labor (in vitro) an der Reihe. An ihnen können die Forscher herausfinden, ob die gewünschten genetischen Eigenschaften bei dem Tier auch wirklich vorhanden sind. Sind die Ergebnisse positiv, werden tierische Organe vier Stunden lang mit menschlichem Blut gespült. Auf diese Weise verstehen die Forscher immer besser, wie menschliches Blut auf das artfremde Organ reagiert. Erst wenn alle Tests erfolgreich absolviert sind, steht die nächste Stufe an. Das Organ eines Schweines wird einem Primaten übertragen. Meist sind Paviane die Empfänger der Organe. Doch davor steht ein strenges Zulassungsverfahren. Nur dann, wenn alle anderen Bedingungen erfüllt sind, darf der Schritt zum Primaten folgen. Niemann und seine Forschungsgruppe sind soweit. Sie können den nächsten Schritt wagen.
Wird der Traum vom nie versiegenden Ersatzteillager für menschliche Organe tatsächlich Wirklichkeit? Niemann ist zuversichtlich. Als er ein Kind war, transplantierte der südafrikanische Herzchirurg Christiaan Barnard das allererste Mal ein Herz. Eine Sensation, die jeden Abend eine Meldung in der Tagesschau wert war. Der Patient starb nach 18 Tagen. Aber heute leben Transplantierte im Durchschnitt zehn bis 15 Jahre mit dem neuen Organ. Ein Mann mit Spenderherz brachte es sogar auf 25 Jahre. Auch die Übertragung vom Tier auf den Mensch ist schon gelungen. Eine australische Forschergruppe pflanzte Patienten mit Diabetes I Inselzellen des Schweines ein. Versteckt in einer Kapsel aus Algen werden sie vom menschlichen Immunsystem nicht erkannt. Sie produzieren Insulin und ermöglichen den Patienten ein Leben ohne Spritzen. Doch Insulinzellen sind keine komplexen Organe. Ob vom Mensch oder Tier – fremde Organe werden nach einer Transplantation vom Empfänger immer abgestoßen. Patienten müssen ihr gesamtes Leben Medikamente nehmen, die das Immunsystem unterdrücken. Könnten genetisch veränderte Tiere dereinst die besseren Organspender sein und ohne Reaktion des Immunsystems übertragen werden? „Ich nehme an, dass die Patienten trotzdem Immunsuppressiva nehmen müssten“, sagt Niemann. Aber das weiß bisher niemand. Xenotransplantationsforscher wagen eine Reise in unbekannte Gebiete.