Genehmigungsverfahren, Tierversuche, Genehmigungsprozess, Tierschutz

„Nicht jede tierversuchsfreie Methode ist gleichzeitig eine geeignete Ersatzmethode“

Tierversuche dürfen nur dann genehmigt werden, wenn es keine Alternativen oder Ersatzmethoden gibt, um eine bestimmte wissenschaftliche Fragestellung zu beantworten. So sieht es das Tierschutzgesetz vor. Diejenigen, die über die Anträge entscheiden, sind die Mitarbeiter*innen von Genehmigungsbehörden. Ihnen fällt es dabei nicht immer leicht einzuschätzen, ob es eine entsprechende Alternativmethode für ein beantragtes Versuchsvorhaben gibt. Auch diverse Datenbanken für tierversuchsfreie Technologien liefern hier lediglich Anhaltspunkte und bieten keine 100-prozentige Sicherheit. Die Redaktion von Tierversuche verstehen hat mit Prof. Gilbert Schönfelder vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) über die Schwierigkeiten bei der Einschätzung der jeweils passenden Forschungsmethode gesprochen.

Herr Prof. Schönfelder, zu einem ihrer Schwerpunkte am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) gehört die Entwicklung von tierversuchsfreien Technologien. Wie leicht oder schwer würde es Ihnen selbst fallen, einzuschätzen, für welche Tierversuche es bereits tierversuchsfreie Alternativen oder Ersatzmethoden gibt?

Prof. Schönfelder: Wenn es sich um Alternativmethoden handelt, die bis jetzt regulatorisch akzeptiert sind, fällt es mir leicht, Auskunft zu geben. Denn diese Methoden sind in entsprechenden Datenbanken festgehalten, wie zum Beispiel ECVAM DB-ALM oder dem europäischen Arzneibuch. Schwerer fällt es mir hingegen, eine Übersicht zu erhalten, für welche Tierversuche in der biomedizinischen Grundlagenforschung es bereits tierversuchsfreie Alternativen oder Ersatzmethoden gibt. Es fällt mir deshalb schwer, weil die Entscheidung immer vom Einzelfall abhängig ist. Das bedeutet, die konkrete wissenschaftlichen Fragestellung entscheidet darüber, ob eine tierversuchsfreie Methode einen konkreten Tierversuch mit einer spezifischen Fragestellung ersetzen kann. Also darüber, ob es sich um eine echte Alternativmethode handelt. Aber nicht automatisch jede entwickelte tierversuchsfreie Methode stellt gleichzeitig eine geeignete Ersatzmethode dar.

Behörde oder Wissenschaftler*in? Wer muss letztlich bei einem Forschungsprojekt den Nachweis für eine Studie erbringen, dass ein Tierversuch unerlässlich ist, und dass in diesem Fall keine tierversuchsfreie Technologie als Alternative vorliegt?

Prof. Gilbert Schönfelder, Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR)

Schönfelder: Den Nachweis darüber, ob für eine Studie ein Tierversuch unerlässlich ist und dass für dieses konkrete Forschungsvorhaben keine tierversuchsfreie Technologie als Alternative vorliegt, müssen zunächst die Wissenschaftler*innen erbringen. Sie müssen dies im Rahmen der Versuchsplanung und schließlich bei Beantragung eines entsprechenden Tierversuchsvorhabens beachten und nach tierversuchsfreien Alternativen suchen. Anschließend müssen sie die Unerlässlichkeit im Genehmigungsantrag darlegen.

Was genau bedeutet „unerlässlich“?

Schönfelder: Der Grundsatz der Unerlässlichkeit ist ein zentrales Element eines jeden Tierversuchs, das hat der Gesetzgeber im Tierschutzgesetz[1] klar zum Ausdruck gebracht. Unerlässlichkeit bedeutet, ganz vereinfacht gesagt, dass Tierversuche nicht durchgeführt werden dürfen, wenn mit Blick auf den verfolgten Zweck des Tierversuchs Alternativen vorliegen. Diese müssen gleichgeeignet, schonender oder wenn möglich tierversuchsfrei sein. Die Unerlässlichkeit entspricht damit im Wesentlichen dem 3R-Prinzip, in dem es um die Vermeidung, Verminderung und Verbesserung von Tierversuchen geht. Dieses Prinzip liegt auch der EU-Versuchstierrichtlinie 2010/63/EU zugrunde.[2] Die zuständige Behörde kontrolliert nun in einem zweiten Schritt, ob der Tierversuch wirklich unerlässlich ist und wie beantragt keine tierversuchsfreie Technologie als Alternative vorliegt. Dieser Schritt ist Teil der Prüfung des eingereichten Genehmigungsantrags.  

Hat die Behörde dabei wissenschaftliche Unterstützung?

Schönfelder: Ja. Die Behörde muss sich dabei nicht nur auf ihr eigenes Wissen verlassen, sondern wird gezielt von einer so genannten §15-Kommission beraten. Diese setzt sich aus entsprechenden Fachexpert*innen zusammen, die die zuständige Behörde regelmäßig auch über Alternativmethoden beraten[3]. Dieses Gremium ist bei jedem Tierversuchsantrag heranzuziehen. Das BfR kann ebenfalls von den Behörden zusätzlich zur Beratung von Alternativmethoden herangezogen werden[4].

Seit Dezember 2021 ist ein neues Tierschutzgesetz in Kraft. Welche Konsequenzen hat dies für die Prüfung durch die Behörden?

Schönfelder: Wie tiefgehend und umfangreich sich die behördliche Prüfungskompetenz im Rahmen eines Genehmigungsantrags für einen Tierversuch gestaltet, ist rechtlich noch nicht abschließend geklärt. Oftmals wird in diesem Zusammenhang von einer „qualifizierten Plausibilitätskontrolle“ der Behörden gesprochen. Dabei würden die Vorgaben der EU-Versuchstierrichtlinie und der Wortlaut des novellierten Tierschutzgesetzes eine komplett eigenständige Beurteilung der Behörde ermöglichen.[5] Eine solche Begutachtung würde über die Prüfung der Angaben im Genehmigungsantrag hinausgehen.

Das Tierschutzgesetz sieht vor, dass ein Tierversuchsantrag nur dann genehmigt werden darf, wenn es keine passende tierversuchsfreie Alternative gibt. Wie können Mitarbeiter*innen von Behörden in jedem Fall einschätzen, ob eine entsprechende Alternative zum Tierversuch zur Verfügung steht?

Schönfelder: Zunächst einmal sind nicht die Genehmigungsbehörden, sondern die Antragstellerinnen und Antragsteller verpflichtet, die Unerlässlichkeit ihres Tierversuchsvorhabens zu prüfen und im Tierversuchsantrag darzulegen. Sollten die Genehmigungsbehörden Rückfragen zu dieser Einschätzung haben, können sie sich über eine Anfrage[6] beim Bundesinstitut für Risikobewertung zu dem konkreten Tierversuchsvorhaben und möglichen Alternativmethoden beraten zu lassen.

Gibt es bestimmte Kriterien, um einen Antrag auf tierversuchsfreien Technologien hin zu prüfen?

Schönfelder: Informationen zu Kriterien, nach denen Genehmigungsbehörden die Tierversuchsanträge prüfen, liegen uns nicht vor.

Wie hilfreich sind Datenbanken zu tierversuchsfreien Technologien für die Arbeit von Genehmigungsbehörden? Was decken diese Datenbanken ab und was nicht?

Schönfelder: Sammlungen von potenziellen Alternativmethoden, wie zum Beispiel die „EURL ECVAM reviews of non-animal models in biomedical research“, können den Mitarbeiter*innen von Genehmigungsbehörden eine Orientierungshilfe bei ihrer Arbeit bieten. Allerdings werden in solchen Sammlungen im Allgemeinen eher tierversuchsfreie Methoden ohne direkten Bezug zu einem konkreten Tierversuch dargestellt. Die Entscheidung, ob eine tierversuchsfreie Methode eine echte Alternativmethode darstellt, muss dann im Einzelfall getroffen werden. Im Bereich der regulatorischen Toxikologie, bei der es zum Beispiel um die Testung möglicher schädigender Wirkungen von Chemikalien geht, stellen Expertengremien die Eignung potenzieller Alternativmethoden fest. Eignet sich die Methoden, so wird das in entsprechenden Datenbanken festgehalten, wie zum Beispiel der ECVAM DB-ALM.

Wie aufwändig gestaltet sich eine Überprüfung von Methoden, die in Frage kommen?

Schönfelder: Der Prozess der Recherche, Auswahl sowie die Aufbereitung relevanter Informationen ist sehr aufwändig. Das ist der große Nachteil aller Datenbanken oder statischen Sammlungen. Somit lässt sich nur eine sehr eingeschränkte Auswahl möglicher relevanter Informationen zu potenziellen Alternativmethoden dokumentieren. Diese Informationen veralten darüber hinaus schnell. Suchmaschinen beziehungsweise Empfehlungssysteme, die auf künstlicher Intelligenz basieren, wie zum Beispiel das SMAFIRA-Projekt, könnten hier Abhilfe leisten.

Gibt es eine Möglichkeit, die Situation für die Mitarbeiter*innen von Genehmigungsbehörden zu verbessern?

Schönfelder: Das BfR bzw. Bf3R sind keine Genehmigungsbehörde. Daher können wir diese Frage nicht konkret beantworten. Es ist jedoch unser gesetzlicher Auftrag, grundsätzlich die Arbeiten von Genehmigungsbehörden zu unterstützen. Seit der Novellierung des Tierschutzgesetzes und dem Erlass der neuen Tierschutz-Versuchstierverordnung im Jahr 2013 sowie den Änderungen des Tierschutzgesetzes und der Versuchstiermeldeverordnung im Jahr 2021 sind dem BfR mehrere gesetzliche Aufgaben im Bereich des Schutzes von Versuchstieren übertragen worden. Diese gesetzlichen Aufgaben erfüllt innerhalb des BfR das Deutsche Zentrum zum Schutz von Versuchstieren und unterstützt so auch die Genehmigungsbehörden bei ihrer täglichen Arbeit.

Wie sehen diese Aufgaben konkret aus?

Schönfelder: Das Tierschutzgesetz sieht vor, dass das BfR die Aufgabe des „Nationalen Ausschusses zum Schutz von für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tieren“ für die Bundesrepublik Deutschland wahrnimmt. Wir beraten somit die zuständigen Behörden und Tierschutzausschüsse in Angelegenheiten, die mit Erwerb, Zucht, Unterbringung, Pflege und Verwendung von Tieren in Tierversuchen zusammenhängen[7]. Ferner beraten wir die zuständigen Behörden zu Alternativen zu Tierversuchen[8]. Wir veröffentlichen außerdem sogenannte nichttechnische Projektzusammenfassungen in der Datenbank AnimalTestInfo[9]. Und wir koordinieren die Versuchstiermeldung, also die jährliche Statistik über die Verwendung von Tieren zu wissenschaftlichen Zwecken[10]. Wir werten diese Daten aus und übermitteln sie an die EU.

Das Bf3R stellt in diesem Zusammenhang den Genehmigungsbehörden auch kontinuierlich Unterstützungsangebote für ihre Arbeit zur Verfügung, zum Beispiel im Internet oder bietet zusätzlich tagesaktuelle Informationen per Twitter. Unsere Mitarbeitenden berichten regelmäßig auf Tagungen in wissenschaftlichen Fachvorträgen über Themen, die für Genehmigungsbehörden von Bedeutung sind oder beteiligen sich an Podiumsdiskussionen. Auf solchen Tagungen sind auch Tierschutzbeauftragte und Mitarbeitende von Genehmigungsbehörden zugegen.

Gilbert Schönfelder leitet am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) die Abteilung „Experimentelle Toxikologie und ZEBET“ sowie das Deutsche Zentrum zum Schutz von Versuchstieren (Bf3R). Er ist Universitätsprofessor an der Charité-Universitätsmedizin Berlin und leitet dort den Arbeitsbereich Toxikologie am Institut für Klinische Pharmakologie und Toxikologie.


Fußnoten

[1] § 7 Abs. 1 Nr. 1 TierSchG sowie § 7a Abs. 1 und 2 TierSchG)

[2] Art.4 und Art. 13 RL 2010/63/EU

[3] § 15 Abs. 1 TierSchG nach Maßgabe des Art. 38 Abs. 3 der EU-Versuchstierrichtlinie 2010/63/EU

[4] § 46 TierSchVersV

[5] § 8 Abs. 1 TierSchG

[6] § 46 TierSchVersV

[7] § 15a TierSchG i.V.m und § 45 TierSchVersV

[8] § 46 TierSchVersV

[9] § 8 Absatz 6 TierSchG i.V.m und § 41 TierSchVersV

[10] § 16c TierSchG i.V.m. und § 2 VersTierMeldV

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