Mit Mann und Maus zum Erfolg

Immuntherapie-Experte Hans-Martin Jäck forscht an „B-Zellen“, die im Körper für den Nachschub an schützenden Antikörpern sorgen.

Foto: © Understanding Animal Research
Foto: © Understanding Animal Research

Der wahre Held ist das Immunsystem. Ohne dass wir es bemerken, schirmt es uns unermüdlich vor einer Flut von Krankheitserregern ab. Sollte es uns doch einmal erwischen, beseitigen die Abwehrzellen die Erkältungsviren (oder was auch immer uns getroffen haben mag) meist sehr rasch und wir können bald wieder aufatmen. Außerdem erkennt die Immunabwehr tagtäglich hundertfach Krebszellen und vernichtet sie. Unser Schutzsystem kann aber auch überreagieren und Unheil anrichten: bei Heuschnupfen für tränende Augen und schniefende Nasen sorgen; oder ein transplantiertes Organ abstoßen und eine kiloschwere Leber über Nacht verflüssigen und unbrauchbar machen.

Das Immunsystem mit seiner Kraft und Präzision könnte im Kampf gegen Krebs ein starker Verbündeter sein. Die Forschung weiß das schon seit Jahrzehnten, doch gelang es bisher nicht, dieses Wissen auch in Form einer Immuntherapie effektiv umzusetzen. Das hat sich in den letzten Jahren komplett gewandelt. [1] Mit den Medikamenten aus der Gruppe der „Checkpoint-Inhibitoren“ holt sich die Krebstherapie die Abwehrzellen mit ins Boot, um das Tumorgewebe zu vernichten. Und bei einigen Betroffenen, zurzeit etwa jedem fünften Behandelten, tut sie das mit unglaublichem Erfolg. [2,3,4,5]

Drei oder vier Wochen gaben die Ärzte dem Mann im Universitätsspital Basel noch. Zu sehr hatte sich der Krebs in seinem Körper ausgebreitet. Doch ein Jahr später geht es ihm überraschend gut, der Tumor in den Bronchien schrumpfte, die Krankheitssymptome gehen zurück. Dank der Checkpoint-Inhibitoren führe er ein annähernd normales Leben, sagt sein Arzt Alfred Zippelius.

Oder Sharon Belvin. Bei der jungen Amerikanerin war vor zehn Jahren ein malignes Melanom festgestellt worden, Stadium vier, mit Metastasen in der Leber und dem Gehirn. Alle Therapien versagten. Heute ist sie Mutter zweier Kinder und tumorfrei. Ein „Super-Surviver“, wie es in einem Bericht heißt. Sharon schickte vier Jahre nach Beginn der Behandlung mit einem Checkpoint-Inhibitor ein Foto mit ihrem ersten Kind dem Mann, dem sie das alles zu verdanken hat: James Allison, Immunologe an der University of Texas. [6]

Bei der Verleihung des Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstädter-Preises an Allison erklärte der Forscher das Grundprinzip der Therapie: „Anstatt nach Zielmolekülen auf den Tumorzellen zu suchen, die wir angreifen können, blockieren wir die Brems- und Kontrollproteine auf den T-Zellen. Dadurch wird das Immunsystem entfesselt und kann erfolgreich gegen verschiedene Arten von Krebs vorgehen.“ [7]

[su_quote cite=“Hans-Martin Jäck“]Durch die Blockade mit Antikörpern wurden schlafende anti-Tumorimmunzellen aktiviert.[/su_quote]

An der Tumorerkennung und Kontrolle sind sämtliche Mitstreiter der Immunabwehr beteiligt. Eine wichtige Rolle spielen die T-Zellen, die sich innerhalb weniger Tage vermehren und andere Zellen alarmieren, sobald sie krebsartig veränderte Körperzellen entdecken. T-Zellen können Tumorzellen direkt vernichten. Genauso wie die kurzlebigen Natürlichen Killerzellen, die im Knochenmark ständig massenweise gebildet werden. Sie können innerhalb von vier Stunden zuschlagen und die Krebszellen in den Selbstmord (Apoptose) treiben.

Anwendungsgebiete_Tierversuche

Wichtig für die Tumorerkennung sind auch die wie ein „Y“ gestalteten Antikörper, die permanent im Körper zirkulieren und insgesamt über eine Milliarde verschiedener Strukturen, jedes verdächtige, ungewöhnliche Molekül erkennen und markieren können. Einer, der sich besonders gut mit Antikörpern auskennt, ist Hans-Martin Jäck. Den langjährigen Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Immunologie packte die Begeisterung für das Immunsystem schon als Jugendlicher. Heute erforscht er am Universitätsklinikum Erlangen die „B-Zellen“, die im Körper für den Nachschub an schützenden Antikörpern sorgen.

Als Jäck in jungen Jahren in die Forschung einstieg, schwamm die Immunologie auf einer Euphoriewelle. Der Argentinier Cèsar Milstein und der Deutsche George Köhler hatten 1975 mit ihren Experimenten, für die sie später den Nobelpreis bekamen, den Grundstein für die Produktion von monoklonalen Antikörpern gelegt. Seit den 1980er Jahren gibt es solche Antikörper auch gegen molekulare Marker auf Krebszellen. Seither werden diese Antikörper zum Beispiel zur Behandlung von Leukämie, Darm- oder Brustkrebs eingesetzt. Auch die Checkpoint-Inhibitoren sind Antikörper. Diese lagern sich jedoch nicht an typische Tumormerkmale, sondern an molekulare Immunbremsen auf den Abwehrzellen, wodurch die Bremsen gelockert werden.

Ohne die Labormaus gäbe es diese neuen Medikamente nicht. 1987 entdeckten französische Forscher eine der ersten Immunbremsen (das „CTLA-4“-Molekül) auf T-Zellen von Labormäusen. [8] Schaltete man die Bremse bei den Tieren komplett ab, reagierte ihr Immunsystem über und griff körpereigenes Gewebe an. Als James Allisons Team dagegen Mitte der 90er Jahre die CTLA-4-Bremse bei krebskranken Mäusen mit einem Antikörper hemmte, wuchs deren Tumor nicht so stark wie bei den Tieren, bei denen die Bremse angezogen war. [9] „Durch die Blockade mit Antikörpern wurden schlafende anti-Tumorimmunzellen aktiviert“, sagt Hans-Martin Jäck. Der Weg für einen neuen Therapieansatz in der Krebsmedizin war durch das Schlüsselexperiment im Mausmodell frei.

Immunbremsen machen Sinn. Am Ende einer Abwehrreaktion müssen die Immunzellen wieder zur Ruhe kommen, damit sie im Eifer des Gefechts nicht noch gesundes Gewebe schädigen. Krebszellen nutzen diesen Sicherungsmechanismus, den „Checkpoint“, zu ihrem eigenen Vorteil, indem sie bewirken, dass viele Bremsen recht früh gezogen werden. Auf diese Weise können sie der Abwehrreaktion entkommen. Kein Wunder, dass Versuche in der Vergangenheit fehlschlugen, die Immunzellen durch eine Tumorimpfung gegen den Krebs aufzubringen. „Die Immunzellen, die den Krebs angriffen, waren bei solchen Studien wohl häufig vorhanden, aber sie waren gehemmt“, erklärt Jäck.

Über die Mechanismen, mit denen sich die Immunabwehr absichert, wusste man derzeit einfach noch sehr wenig. Auf irgendeine Weise sind alle Abwehrzellen und zahlreiche Botenstoffe darin eingebunden. Ein komplexes Netzwerk, auf dessen Spuren man nicht im Reagenzglas kommt. Für die Erforschung braucht es das Tiermodell. Ähnliches gilt für den Tumor selbst. Auch er „lebt“ ist einem ganz eigenen, ihn unterstützenden Ökosystem, aus Blutgefäßen, Signalmolekülen, Bindegewebe, Immunzellen und einer Matrix, die für die Verankerung des Gebildes im Gewebe sorgt. Auch das, was in einem Tumor abläuft, lässt sich im Labor nicht 1:1 nachvollziehen. Das führt in der Forschung hin und wieder zu Überraschungen. „Ein Wirkstoff kann in-vitro keinen sichtbaren Effekt haben, in-vivo aber trotzdem wirksam sein“, sagt Jäck.

Um noch mehr Patienten erfolgreich mit den Checkpoint-Inhibitoren behandeln zu können, braucht die Forschung die ganze Bandbreite des biomedizinischen Experimentierkastens, von der Zellkultur bis zum Tiermodell. Ein Manko bei den neuen Medikamenten ist nämlich, dass bisher die Mehrheit der Patienten nicht anspricht. „Beim schwarzen Hautkrebs reagieren 30 bis 40 Prozent, beim Bronchialkarzinom 20 bis 30 Prozent der Betroffenen“, sagt Alfred Zippelius vom Universitätsspital Basel. Warum das so ist, wissen die Forscher bisher noch nicht. „Wir sind alle verschieden, jeder reagiert individuell, aber ein Ausweg scheint hier die Kombination mehrerer Wirkstoffe zu sein, die sich gegenseitig ergänzen“, sagt Jäck. Hoffentlich können dann bald noch mehr Erkrankte wie die junge Amerikanerin Sharon Belvin sagen: „Mein Arzt schlug mir vor, an einer Studie mit einer Immuntherapie teilzunehmen. Das hat mir das Leben gerettet.“

[1] A new member of the immunoglobulin superfamily–CTLA-4.

http://www.nature.com/nature/journal/v328/n6127/abs/328267a0.html

[2] Enhancement of antitumor immunity by CTLA-4 blockade.

http://science.sciencemag.org/content/271/5256/1734.long

[3] Engineering opportunities in cancer immunotherapy

http://www.pnas.org/content/112/47/14467.long

[4] Advances in immunotherapy for melanoma

https://bmcmedicine.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12916-016-0571-0

[5] Rationale, Visionen und Grenzen der Immunonkologie: Checkpoint-Inhibition als neue Therapiesäule der  Tumortherapie

https://www.karger.com/Article/Pdf/381298

[6] Cancer immunology – development of novel anti-cancer therapies

http://www.smw.ch/content/smw-2015-14066/

[7] Breakthrough of the year 2013. Cancer immunotherapy

http://science.sciencemag.org/content/342/6165/1432.long

[8] Immuntherapien gegen Krebs

http://www.deutschlandfunk.de/die-scharfmacher-immuntherapien-gegen-krebs.740.de.html?dram:article_id=352851

[9] Krebs mit der körpereigenen Abwehr schlagen

https://www.uni-frankfurt.de/54658515/Hintergrund_Allison_June_FINAL_16-2.pdf

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