Die Wissenschaft sieht sich seit geraumer Zeit unter kritischer Beobachtung. Zwischen nachprüfbarem Wissen und persönlicher Meinung wird oft nicht mehr unterschieden. Wissensbasierte Fakten werden offen verneint. Sie werden verdrängt von Fake News, Alternativen Fakten und antidemokratischen Meinungen. Die Forscher sehen dadurch die Freiheit der Wissenschaft bedroht. Um dieser zunehmenden Wissenschaftsfeindlichkeit entgegenzutreten, gehen Wissenschaftler und Bürger am Samstag, 14. April, beim March for Science auf die Straße.
Vertrauen in die Forschung entsteht nicht zuletzt durch Kommunikation und Transparenz. Im vergangenen Jahr standen die Demonstrationen für die Freiheit der Lehre und Wissenschaft im Vordergrund. Diesmal wollen die Wissenschaftler verstärkt den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft in den Fokus rücken. Neben Demonstrationen gibt es daher viele Diskussionsveranstaltungen, Science Cafés oder interaktive Events. Dabei geht es auch um eine selbstkritische Betrachtung der Wissenschaft. Über die Bedeutung der bundesweiten Aktion hat „Tierversuche verstehen“ mit Prof. Matthias Kleiner, Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, gesprochen.
Warum sollten Wissenschaftler verstärkt auf die Bedeutung ihrer Forschung öffentlich aufmerksam machen?
Prof. Matthias Kleiner: Weil Forschung kein Selbstzweck ist, vor allem dann nicht, wenn sie mit öffentlichen Mitteln gefördert ist. Man könnte fragen: Wäre Forschung überhaupt Forschung, wenn niemand davon erführe?
Weil Forschung Fragen der Gesellschaft aufgreift, ihre Komplexität sprachlich und methodisch erfasst, ihnen nachgeht und Antworten findet, die zurück in die Gesellschaft gehören.
Weil Kommunikation seit jeher genuin zur Forschung gehört, es gibt sie nicht ohne: zur Erfassung von Phänomenen, denen es nachzugehen gilt, in der Validierung von Ergebnissen im wissenschaftlichen Diskurs, bei der Vermittlung von Erkenntnissen in den Wissensschatz von Gesellschaften und in ihre Erprobung und Nutzung.
Zu guter Letzt und heute von besonderem Belang: weil Forschung im Diskurs von Meinungen und Stimmungen einen Zugang zu Tatsachen und Gewissheiten offen hält; selbst dann, wenn ihre Gewissheiten noch nicht hundertprozentig sind. Das zu reflektieren, gehört ebenso zur Wissenschaft.
Welche Gefahren sehen Sie aktuell für die Wissenschaft?
Kleiner: Ich gehöre nicht zu den Pessimisten, die heute überall das Ende der Vernunft wittern. Das Interesse an Wissen, an Einblicken in die Forschung ist groß; sicher auch, weil wir sie in den verschiedenen Spielarten einer Offenen Wissenschaft schneller, einfacher und verständlich zugänglich machen können. Aber die Freiheit von Wissenschaft und Forschung ist ein hohes Gut und eine starke Grundlage von demokratischen und dynamischen Gesellschaften. Das ist etwas für unser aller aktives Bewusstsein: Sie als Prinzip zu stärken, ihre Ausübung mit gesetzlicher Rahmengebung und finanziellen Mitteln zu ermöglichen und ihre Ergebnisse ernst zu nehmen, stärkt eben mit der Wissenschaft immer auch „ihre“ Gesellschaft.
Einige Bereiche der biomedizinische Forschung (grüne Gentechnik, Stammzellen, Tierversuche) werden in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Welche Rolle sehen Sie für die Wissenschaftscommunity in dieser Diskussion?
Kleiner: Aufklärung! Damit die Gesellschaft und für sie die Politik die bestmöglichen Entscheidungen auf Grundlage bestmöglicher Information treffen können. Und Klarheit! Es gibt Tatsachen, die nicht verhandelbar oder eine Frage von subjektiven Meinungen sind. Tatsachen zu benennen, erforderlichenfalls auch hartnäckig, ist stete und vornehme Aufgabe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.
- Im vergangenen Jahr demonstrierten weltweit mehr als eine Million Menschen für die Freiheit von Forschung und Lehre. In Deutschland beteiligten sich 37.000 Menschen. Auch diesmal finden beim „March for Science“ in Deutschland in 20 Städten und Regionen Veranstaltungen und Demonstrationen statt.