Jahrzehntelange Forschung im Kampf gegen das Respiratorische Synzytialvirus (RSV) zahlt sich endlich aus. Besonders bei Kleinkindern und älteren Menschen kann das Atemwegsvirus zu ernsten Problemen führen. Prof. Dr. Thomas Pietschmann kennt das Virus und seine Tücken. Er forscht am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig und am TWINCORE in Hannover. „Tierversuche verstehen“ hat mit ihm über die Hürden gesprochen, die die Wissenschaft für den jüngsten Durchbruch überwinden musste, und darüber, welche Forschungsfragen nun noch offen sind.
Wie gefährlich ist RSV?
Prof. Dr. Thomas Pietschmann: RSV verursacht Infektionen der Atemwege, die in den meisten Fällen mild verlaufen und ohne Komplikationen ausheilen. Allerdings gibt es Risikogruppen, bei denen eine RSV-Infektion auch schwere Entzündungen der Atemwege auslösen kann. Zu den Risikogruppen gehören immungeschwächte Patienten, frühgeborene Kinder in den ersten Lebensmonaten, Kleinkinder mit Vorerkrankungen der Lunge so wie auch ältere Menschen mit entsprechenden Vorerkrankungen.
Wie sah die Forschung zu einem Impfstoff aus?
Thomas Pietschmann: Zunächst erfordert die Entwicklung eines Impfstoffs eine Vorstellung von der Immunantwort, die ein Immunschutz vermittelt. Und man muss die viralen Proteine kennen, auf die für eine schützende Immunantwort gezielt werden soll. Bei RSV hat sich gezeigt, dass Antikörper gegen das virale Fusionsprotein F zum Immunschutz beitragen. Anschließend geht es darum, geeignete Impfverfahren zu finden, die eine solche schützende Immunität erzeugen.
Erst vor zehn Jahren konnte die veränderliche Struktur des F-Proteins aufgeklärt werden
Welche Schwierigkeiten hatte die Forschung zu überwinden?
Thomas Pietschmann: Bei der RSV-Impfstoffentwicklung mussten verschiedene Hürden überwunden werden. Zunächst hat in den 1960er Jahren tragischerweise die Impfung von Kindern mit Formalin-inaktivierten RSV-Partikeln zu einem erheblichen Anstieg schwerer Infektionen bei der nachfolgenden natürlichen Infektion der Proband*innen geführt. Die Forschung hat sich damit intensiv befasst. Sie verbindet mit dieser Komplikation unter anderem das Auftreten von nicht-neutralisierenden Antikörpern, die zwar an das Virusprotein binden, nicht aber die Infektiosität des Virus ausschalten. (1,2). Allerdings kannte man viele Jahre lang die genaue Struktur und Funktionsweise des viralen F-Proteins nicht.
Wie konnte dieses Problem gelöst werden?
Thomas Pietschmann: Erst vor zehn Jahren konnte die veränderliche Struktur des F-Proteins – vor und nach seinem Andocken an eine Zelle – aufgeklärt werden (3). Dadurch bekamen wir ein klares Verständnis davon, welche Antikörper besonders wirksam sind und an welche Stelle des Fusionproteins F sie sich binden. Es hat sich gezeigt, dass die Form des F-Proteins nach dem Andocken an eine Zelle nicht alle wichtigen Bereiche für die Bildung von neutralisierenden Antikörpern aufweist; zudem wechselt das F-Protein aber sehr leicht in diese Form. Auf Basis dieser Erkenntnisse wurden stabilisierte Varianten des F-Proteins entwickelt – in ihrer Form vor dem Andocken an die Zelle. Die Forschenden zeigten, dass diese Form sehr viel besser zur Bildung von neutralisierenden Antikörpern führt als Impfstoff-Kandidaten mit unklarer Form des F-Proteins oder in der Form nach seinem Andocken.
Das ist ein sehr großer Erfolg
Werden wir damit nun RSV im Griff haben, oder gibt es noch offene Forschungsfragen? Was ist vielleicht noch in der Pipeline, wo muss noch geforscht werden?
Thomas Pietschmann: Das ist in der Tat ein riesengroßer Schritt und ein sehr großer Erfolg. Dennoch ist es aber so, dass Impfstoffe ja leider nicht alle Menschen erreichen. Demnach ist zu erwarten, dass auch trotz der neuen Impfstoffe immer wieder schwere RSV-Infektionen auftreten. Deswegen wird auch nach der Entwicklung von schützenden Impfstoffen intensiv daran gearbeitet, auch Wirkstoffe zur Behandlung einer schweren RSV-Infektion zu entwickeln.
Referenzen:
(1) Ruth A Karron DOI: 10.1126/science.abf9571
(2) Tracy J Ruckwardt et al. https://doi.org/10.1016/j.immuni.2019.08.007
(3) Jason McLellan et al. https://doi.org/10.1126/science.1234914