Corona-Forschung auf der Überholspur

Die Suche nach einem Impfstoff gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 läuft derzeit weltweit auf Hochtouren. PD Dr. Sebastian Ulbert, Virologe und Leiter der Abteilung Immunologie und des Bereichs Impfstofftechnologien am Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie (IZI) in Leipzig erklärt den Stand der Forschung, die Bedeutung von Tierversuchen und wie ein beschleunigtes Zulassungsverfahren von Impfstoffen im Extremfall aussehen könnte.

Herr Ulbert, wie lange dauert es durchschnittlich bis ein Impfstoff oder Medikament entwickelt werden kann?
Dr. Sebastian Ulbert: Ganz pauschal kann man bei Impfstoffen von ungefähr fünf bis zehn Jahren ausgehen. Medikamente, also zum Beispiel antivirale Wirkstoffe, benötigen manchmal weniger Zeit. Entscheidend ist vor allem der Umfang der für eine Zulassung benötigten klinischen Studien.

Dr. Sebastian Ulbert, IZI Leipzig

Welche Schritte müssen dabei durchlaufen werden?
Ulbert:
Die Entwicklung gliedert sich immer in eine präklinische und eine klinische Phase. Bei der präklinischen Forschung und Entwicklung kann es manchmal schnell gehen, etwa wenn vorhandene Impfstoffe nur auf einen verwandten Erreger angepasst werden müssen – zum Beispiel bei den saisonalen Grippe-Impfstoffen. Bei Pathogenen, gegen die es noch keinen zugelassenen Impfstoff gibt – wie Coronaviren –, erstreckt sich diese Phase jedoch manchmal über mehrere Jahre.

Und wie wird dann die Wirkung erforscht?
Ulbert: Dann müssen potenzielle Impf- oder Wirkstoffe zunächst in Tierstudien auf ihre Verträglichkeit und Wirksamkeit getestet werden. Nur wenn diese Studien gute Ergebnisse liefern, beginnen die klinischen Studien am Menschen, welche viele Millionen Euro kosten. Diese sind mehrstufig und beginnen mit 10 bis 20 gesunden Probanden, bei denen zunächst untersucht wird, ob es Nebenwirkungen gibt. Die weiteren Phasen beschäftigen sich dann mehr und mehr mit der Wirksamkeit. Klinische Studien mit Impfstoffen sind wesentlich aufwändiger als mit anderen Medikamenten, da man sich nicht nur auf Patienten beschränken kann. Im Gegenteil, Impfstoffe müssen nicht-infizierte Menschen vor dem Erreger schützen. Folglich müssen in den klinischen Studien große Kohorten von Freiwilligen geimpft werden, die potenziell im Risiko einer Infektion stehen. Das geht schnell in die Größenordnung von Tausenden Probanden. Man kann auch meist erst nach mehreren Jahren – über den Vergleich mit nicht-geimpften Kontrollgruppen – statistisch auswerten, ob der Impfstoff schützt oder nicht. Nur bei klar positiven Resultaten erfolgt dann die Zulassung.

Kann das Verfahren in akuten Situationen wie dieser verkürzt werden?
Ulbert: Bei sich rasch ausbreitenden Pandemien dauert diese Prozedur natürlich viel zu lang. Bereits unter dem Eindruck der Ebola- und Zika-Virus Ausbrüche der letzten Jahre hat die WHO deshalb begonnen, mit den Zulassungsbehörden alternative „Fast track“-Szenarien für die klinische Entwicklung von Impfstoffen zu diskutieren. Im Extremfall könnte man beispielsweise auf die groß angelegten Wirksamkeitsstudien im Menschen ganz verzichten. Die Voraussetzungen wären, dass die Verträglichkeit gut ist und der Impfstoff im Menschen eine Immunantwort auslöst, die in den präklinischen Tierstudien mit einem Schutz korreliert: Zum Beispiel das Bilden bestimmter Antikörper. Die aktuelle Coronavirus-Pandemie wird diese Diskussionen sicherlich enorm vorantreiben.

Welche Ansätze gibt es bereits?
Ulbert: Gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 gibt es bislang noch keinen Impfstoff. Verschiedene Unternehmen und Forschungseinrichtungen arbeiten mit Hochdruck daran. Es gibt aus früheren Coronavirus Ausbrüchen (SARS, MERS) bereits Ansätze, die auf das neuartige Virus adaptiert werden könnten. Besonders diskutiert werden gerade auch neue Technologieplattformen wie die Verabreichung des Impf-Antigens als Boten-RNA. Es ist unter Fachleuten aber umstritten, ob man mit dieser Technik zu einem massentauglichen Impfstoff kommt. Die Herstellung ist teuer und bisher gibt es erst sehr wenige Daten zu der Frage, ob die Methode beim Menschen zu einer robusten, schützenden Immunität gegen einen Krankheitserreger führen kann.

Was kann das Fraunhofer IZI mit seiner Forschung beitragen?
Ulbert: Wir haben am Fraunhofer IZI die virologische Expertise und mit unserem S3-Labor, welches auch tierexperimentelles Arbeiten ermöglicht, auch die infrastrukturellen Voraussetzungen, um überhaupt mit SARS-CoV-2 und verwandten Viren arbeiten zu können. So gibt es auch schon einige Anfragen aus der akademischen und industriellen Forschung zur Testung von Wirkstoffen gegen SARS-CoV-2 oder zum Bereitstellen von Virusmaterial. Momentan bereiten wir diese Projekte vor. Ein anderer Schwerpunkt unserer Arbeit liegt in der Inaktivierung von Viren und anderen Erregern. In einem Konsortium mit Fraunhofer FEP und IPA haben wir dazu die niederenergetische Elektronenbestrahlung als Verfahren zur Impfstoffherstellung etabliert und erst kürzlich an ein großes medizintechnisches Unternehmen auslizensiert. Das Verfahren ist auch relevant, wenn infektiöses Patientenmaterial schnell und sicher inaktiviert werden muss. Last but not least hilft uns unsere Expertise in der Diagnostik von Virusinfektionen. Mehrere vom Fraunhofer IZI entwickelte Technologien für spezifische Testsysteme befinden sich bereits in Diagnostik-Produkten auf dem Markt und werden momentan auf das neuartige Coronavirus adaptiert. mb

Dieser Beitrag erschien zuerst auf den Seiten der Fraunhofer-Gesellschaft.

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