Wenn ein Tier nach dem Ende eines Versuchs weiterlebt, muss seine weitere Versorgung sichergestellt sein. Dazu gehört eine Haltung, die den Bedürfnissen des Tieres gerecht wird. Handelt es sich um gesunde Tiere ohne gentechnische Veränderungen, können sie in verantwortungsvolle Hände vermittelt werden – dieser Prozess wird Rehoming genannt. Doch die Realität ist komplex. Zwischen Bürokratie, ethischer Verantwortung und Bedenken, dass die Tiere in ein unpassendes Umfeld vermittelt werden könnten, entsteht in der Forschung langsam eine neue „Culture of Care“. Tierversuche verstehen zeigt, warum sich der Einsatz trotz aller Hürden lohnt: für jedes einzelne Tier und für eine verantwortungsbewusste Forschungskultur. Wie das konkret aussehen kann, berichtet Jana Wilken, wissenschaftliche Referentin bei Tierversuche verstehen, die vier ehemaligen Laborratten ein neues Zuhause gegeben hat.
Was passiert mit Versuchstieren, die in die Tierhaltung zurückkehren, wenn eine wissenschaftliche Studie beendet ist? Und was geschieht mit „nicht verwendbaren Tieren“ aus der Versuchstierzucht, denen die benötigten genetischen Eigenschaften fehlen? Grundsätzlich gilt: Kein Tier darf ohne vernünftigen Grund getötet werden. Stattdessen muss geprüft werden, welche weitere Verwendung möglich ist: etwa eine erneute Nutzung in einem anderen Forschungsprojekt, eine tiergerechte Unterbringung innerhalb der Einrichtung oder die Vermittlung an Privatpersonen oder Tierheime. In bestimmten Fällen kommt auch eine tierschutzkonforme Verfütterung infrage, zum Beispiel in einer Falknerei. Am Ende eines Tierversuchs muss eine Tierärztin, ein Tierarzt oder eine andere sachkundige Person überprüfen, wie es dem Tier gesundheitlich geht. Das sieht die Tierschutz-Versuchstierverordnung (§ 28 TierSchVersV) so vor. Bei einem gesunden Tier ist eine Vermittlung in vielen Fällen nicht nur gesetzlich erlaubt, sondern auch ethisch wünschenswert.
Zwischen Formularen, Vorschriften und Fürsorge
Die Umsetzung der Vermittlung in ein neues Zuhause ist allerdings aufwändig. Zuvor müssen die Tiere tierärztlich untersucht, ihr rechtlicher Status als „Versuchstier“ aufgehoben und ihre Eignung zur Weitervermittlung dokumentiert werden. Dazu kommen Schutzverträge, Informationsgespräche mit Interessierten, Transportlogistik und oft auch eine Nachbetreuung. Einrichtungen, die Rehoming betreiben, brauchen klare Abläufe, engagiertes Personal und sind oft auf verlässliche Kooperationspartner angewiesen. Das können zum Beispiel regionale Tierheime oder tierschutznahe Organisationen wie die Laborbeaglehilfe sein.
Wenn ein Rehoming-Programm einmal eingerichtet ist, kann es Forschungseinrichtungen entlasten. Sie benötigen dann weniger Platz, Zeit und Geld für Tiere, die nicht mehr für Versuche eingesetzt werden. Trotzdem bleiben immer wieder Tiere in den Einrichtungen, obwohl sie grundsätzlich vermittelt werden könnten. Oft liegt das an zu viel Bürokratie. Das ist ein Hemmnis – aber für die Tiere selbst muss das nicht unbedingt schlecht sein. „Tiere in der Versuchstierhaltung werden von fachkundigem und erfahrenem Personal betreut. Gerade für ältere Tiere kann eine gewohnte Umgebung sogar stressfreier sein als eine Vermittlung“, erklärt Daisy Kirschner, Tierpflegerin am Translational Animal Research Center (TARC) der Universitätsmedizin Mainz mit langjähriger Erfahrung im Rehoming ehemaliger Versuchstiere.
Vier Ratten – und was sie unserer Referentin beigebracht haben

Jana Wilken, Referentin bei Tierversuche verstehen, hat selbst vier Ratten über das Rehoming-Programm des TARC Mainz adoptiert. Insgesamt hat der Prozess, von der ersten Idee über die Recherche und den selbstgebauten Rattenkäfig bis hin zur Übergabe, etwa ein Jahr gedauert. Das Warten hat sich aus ihrer Sicht eindeutig gelohnt: „Vom ersten Tag an waren die Vier zutraulich, neugierig und voller Entdeckergeist“, erzählt sie. In ihrem Umfeld stießen die neuen Haustiere zunächst auf Bedenken: „Viele aus meinem Freundes- und Familienkreis hatten anfangs Berührungsängste. Ratten werden leider immer noch oft negativ wahrgenommen.“ Allerdings wich die Skepsis schnell: „Alle waren überrascht, wie sozial, klug und sauber die Tiere sind.“ Besonders dankbar ist Jana Wilken für die Begleitung durch das Labor: „Von Anfang an hatte ich eine feste Ansprechperson, die sich Zeit nahm. Sie ging schon im Vorfeld auf alle Fragen ein und hat sich auch nach der Übergabe nach dem Wohl der Tiere erkundigt. Ich hatte durch die Betreuung nicht nur mehr Sicherheit, sondern auch das Gefühl, wirklich eingebunden und mitverantwortlich zu sein.“
Warum viele Einrichtungen zögern

Auch bei den Forschungseinrichtungen spielen Bedenken eine Rolle – trotz vieler positiver Rehoming-Beispiele fällt es ihnen schwer, ihr Engagement sichtbar zu machen. Manche Einrichtungen wurden in der Vergangenheit Ziel von Anfeindungen durch Tierversuchsgegner*innen – sogar dann, wenn es eigentlich um Tiervermittlung ging. „Diese Sorge führt leider dazu, dass gute Praxis oft unsichtbar bleibt“, sagt Jana Wilken. Ein weiterer Grund für die Zurückhaltung ist die berechtigte Sorge vor fehlgeleiteter Tierliebe, geprägt von der Vorstellung, Tiere aus vermeintlich schlimmen Bedingungen „retten“ zu müssen. „Immer wieder melden sich Personen mit einem stark verzerrten Bild der Labortierhaltung, die selbst jedoch keine tiergerechten Haltungsbedingungen gewährleisten können. Mäuse haben zum Beispiel von Natur aus panische Angst vor Ratten. Wer beide in einem Raum unterbringt, meint es vielleicht gut – verursacht aber großen Stress“, erklärt Daisy Kirschner. Auch unkontrollierte Weitergaben oder „Tierhortung“ sind reale Risiken.
Wie Rehoming funktioniert
Erfolgreiche Beispiele aus Forschungseinrichtungen wie den Universitätskliniken Aachen und Mainz oder Unternehmen wie Bayer zeigen, wie Rehoming praktisch umgesetzt werden kann. Der Prozess folgt meist einem ähnlichen Ablauf: Interessierte potenzielle Halter*innen bewerben sich in der Regel schriftlich oder in persönlichen Beratungsgesprächen. Da in den meisten Forschungseinrichtungen nicht zu jedem Zeitpunkt passende Tiere verfügbar sind, gibt es oft Wartelisten. Die Vermittlung selbst ist kostenlos – sie erfolgt aber nur, wenn vorher ein Schutzvertrag abgeschlossen wurde. Der oder die neue Besitzer*in wird außerdem im Vorfeld beraten. Geschultes Personal, etwa Tierpflegende oder Tierärzt*innen der Einrichtung, prüft genau, ob die Haltungsbedingungen wirklich zu den Bedürfnissen des Tieres passen. Dazu gehören Informationen über Unterbringung, Fütterung, Sozialkontakte und Vorerfahrungen der Halter*innen. Entscheidend ist dabei: Wer ein Versuchstier übernimmt, sollte nicht nur das nötige Wissen mitbringen, sondern auch Verantwortungsgefühl sowie die Bereitschaft, sich dauerhaft gut um das Tier zu kümmern.
Vertrauen durch Transparenz
Bisher ist Rehoming vor allem bei Hunden und Katzen etabliert. Für kleinere Versuchstiere wie Ratten und Mäuse bleibt es hingegen noch die Ausnahme. Das liegt unter anderem an ihrer vergleichsweise kurzen Lebensdauer. Außerdem sind sie gesellschaftlich weniger als Haustiere akzeptiert. Trotzdem entstehen zunehmend mehr Initiativen, die auch andere Tierarten zum Rehoming in Betracht ziehen. Dieses Umdenken ist Teil einer wachsenden „Culture of Care“ an den Forschungseinrichtungen. Daisy Kirschner beschreibt sie als grundlegendes Element verantwortungsvoller Tierforschung: „Eine gelebte ,Culture of Care’ verbessert nicht nur das Tierwohl, sondern auch das Wohlergehen aller Mitarbeitenden und letztlich die Qualität wissenschaftlicher Arbeit.“
Sorgfältiges Rehoming ist Ausdruck einer Haltung, die Verantwortung über das Versuchsende hinaus ernst nimmt – gegenüber den Tieren, den Menschen, die sie betreuen, und einer Gesellschaft, die hohe Erwartungen an Forschung stellt. Auch wenn der Weg dorthin mit Aufwand, Unsicherheiten und strukturellen Hürden verbunden ist: Jedes vermittelte Tier zählt. Und jede Forschungseinrichtung, die Rehoming ermöglicht, sendet ein starkes Signal für Transparenz und Fürsorge.