Ein Gastbeitrag von Anna von Mikecz
Der Fadenwurm Caenorhabditis elegans und sein Nervensystem bieten präzise Einblicke, welche Folgen die Aufnahme von Schadstoffen auf das Nervensystem haben kann. Wissenschaftler*innen, die sich mit der möglichen Giftigkeit von Nanopartikeln beschäftigen, können mit seiner Hilfe Effekte über die gesamte Lebensspanne des Wurms untersuchen. Das hilft bei der Bewertung von Umweltfaktoren und ihren Auswirkungen auf Gehirn und Nervensystem. Und es trägt dazu bei, Tierversuche zu vermeiden.
Äußerlich ist er nur ein Winzling und kommt durchsichtig daher. In der Natur lebt er in Böden und im Kompost und ernährt sich vorzugsweise von Bakterien, die totes organisches Material abbauen: der Fadenwurm Caenorhabditis elegans, oder kurz: C. elegans. Doch seine „inneren Werte“ sind geradezu erstaunlich: Er verfügt über Nerven, einen (wenn auch schlichten) Verdauungstrakt, dazu Muskeln und ein Fortpflanzungssystem. Hinzu kommen Hormone und ein mithilfe einfacher Sinnesreize gesteuertes Verhalten. Mehr noch: Mit 22.000 kodierenden Genen, genau 302 Nervenzellen und einer kurzen Lebensspanne von zwei bis drei Wochen ist der nur ein Millimeter große Wurm auch als Tiermodell interessant. Gerade dann, wenn es um die Schädigung des Gehirns durch giftige Substanzen geht. So lassen sich auch grundlegende Wirkungen von Nanomaterialien und -partikeln anhand des Fadenwurms untersuchen.
Was haben Wurm und Mensch gemeinsam?
Natürlich stellt sich die Frage, inwieweit diese Prozesse im wirbellosen Fadenwurm auf andere Organismen und den Menschen übertragen werden können. Die Antwort: Der einfach gebaute C. elegans besitzt ein Nervensystem, das gut genug mit dem des Menschen übereinstimmt, um dessen grundlegende Biologie zu erforschen. 60 bis 80 Prozent der menschlichen Gene haben Entsprechungen („Orthologe“) im C. elegans-Genom, darunter 40 Prozent, die mit Erkrankungen in Verbindung gebracht werden können. So können wir mithilfe des Fadenwurms untersuchen, ob ein vermuteter Zusammenhang mit einem Risiko für Menschen tatsächlich ursächlich auf einen bestimmten Umweltfaktor oder Schadstoff zurückzuführen ist und wie diese genau wirken.
Mit C. elegans die Schadstoffwirkung untersuchen
Nanomaterialien werden seit Jahrzehnten in vielen Produkten – von Autoreifen bis zu Hautcremes – genutzt. Auch in der Landwirtschaft werden sie als Zusatzstoff von Düngemitteln eingesetzt. Daher werden effiziente Methoden benötigt, die „Umweltkosten“ aufzuklären und eine sichere Anwendung zu garantieren. Hierzu kann C. elegans als natürlicher Bodenbewohner einen entscheidenden Beitrag leisten. Und der Fadenwurm kann die Forschung über das Zusammenwirken verschiedener Umweltfaktoren beschleunigen. Denn mit ihm lassen sich die Effekte von Schadstoffen systematisch über die gesamte Lebensspanne und in verschiedenen Organen untersuchen. Die Transparenz des Wurms macht es beispielsweise möglich, das langsame Absterben einzelner Nervenzellen zu beobachten und direkt mit Verhaltensdefekten, wie etwa Einschränkungen in der Vorwärtsbewegung, in Verbindung zu setzen. Die kurze Lebensspanne erleichtert es, abzuklären, welchen Einfluss Giftstoffe auf das Gehirn und das Nervensystem in jungen, mittelalten und alten Würmern haben. So untersuchten Forschende etwa die Fitness von verschiedenen alten Würmern bei chronischer Zugabe von industriell hergestellten Nanopartikeln. Sie konnten zeigen, dass Nanosilica, also Nano-Quarz, und Nanosilber die Lebensspanne von C. elegans verkürzen und im Zellkern von Darmzellen schädliche Amyloidbildung auslösen. Nanosilica führte Verklumpungen von Proteinen herbei, die den Proteinhaushalt im Gleichgewicht halten. Solche Verklumpungen treten sonst erst als Alterserscheinung auf.
Krankheits-Simulation im Fadenwurm
Anknüpfend an die Erkenntnisse aus Altersforschung und Neurobiologie wurden in C. elegans Modelle für Erkrankungen entwickelt, die häufig im fortgeschrittenen Alter auftreten, wie Alzheimer oder Parkinson. Ein Kennzeichen der Parkinson-Krankheit ist der Verlust von Dopamin-produzierenden Nervenzellen. Warum diese Nervenzellen sterben, ist bisher weitgehend unklar. Beim Fadenwurm C. elegans sind acht Nervenzellen für die Dopamin-Produktion und Weitergabe verantwortlich. Hier kann also im Detail beobachtet werden, wie diese besonders sensiblen Nervenzellen sterben und welche Rolle Schadstoffe dabei möglicherweise spielen. Als Antwort auf Verletzungen werden die Axone der Nervenzellen, also die Verbindungsleitungen zu anderen Nervenzellen, ungleichmäßig dünner und ziehen sich zurück.
Einige Nanomaterialien, die zum Beispiel in Autoreifen oder Hautcremes enthalten sein können, sind ebenfalls in der Lage diese zerstörerische Kaskade auszulösen. Auffällig ist: Gerade in solchen Nervenzellen, die Dopamin oder Serotonin produzieren, lösen Mangan, Quecksilber oder Nanosilica Proteinverklumpungen in den Axonen aus. Sie stören so den Transport wichtiger Zellbestandteile zur Synapse – und damit die Kommunikation mit anderen Nervenzellen. Bei den Fadenwürmern zeigt sich diese Störung unter anderem in Muskelstarre und verlangsamter Vorwärtsbewegung nach dem Kontakt mit Nanosilica.
So können die kleinen Würmer in verschiedenen Bereichen helfen, Tierversuche zu reduzieren: Mögliche neue Medikamente können zunächst im C. elegans-Modell gescreent werden, um nur die vielversprechendsten Kandidaten dann in Mäusen und anderen Tieren zu testen.
Wie die Forschung mithalten kann
Für die zukünftige Grundlagenforschung wird es darauf ankommen, besser zu verstehen, welche molekularen Vorgänge in Nervenzellen besonders anfällig für Schadstoffe sind und wie der zeitliche Ablauf beim Niedergang der Zellen aussieht. Das große Tempo, mit dem neue Nanomaterialien auf den Markt drängen, überschreitet aktuell die Möglichkeiten, ihre Sicherheit zu prüfen. Wird also die toxikologische Forschung in der Lage sein, zeitnah mögliche negative Effekte auf die Gesundheit von Pflanzen, Tieren und Menschen bzw. der Umwelt rechtzeitig zu erfassen? Darüber hinaus müssen auch chemische Mixturen und die Einwirkung von nicht chemischen Stressoren wie der Temperatur berücksichtigt werden, um realistisch einschätzen zu können, welchen Gefahren Mensch und Umwelt ausgesetzt sind. Nur so können wir Gemeinsamkeiten in der Anfälligkeit für Schadstoffe, aber auch Wege der Widerstandsfähigkeit erkennen. Dafür müssen wir grundlegende Forschung in wirbellosen Tieren wie C. elegans und Studien am Menschen zusammenführen.
Der Beitrag ist zuerst in DFG-Magazin „forschung“, Ausgabe 04/2023, als Gastbeitrag von Prof. Dr. Anna von Mikecz erschienen.
Prof. Dr. Anna von Mikecz ist Leiterin der Arbeitsgruppe „Umweltnoxen und Zellkern“ am Leibniz-Institut für umweltmedizinische Forschung (IUF) und lehrt an der Universität Düsseldorf.
Das Projekt wird von der DFG in der Einzelförderung unterstützt.