Tierversuche sind ein komplexes und emotionales Thema. Doch sind sie eher ein notwendiges Übel oder unnötige Tierquälerei? Die Wissenschaftsinitiative Tierversuche verstehen bietet eine Liste mit den wichtigsten Pro- und Contra-Argumenten zu diesem Thema.
An dieser Liste der wichtigsten Pro- und Contra-Argumente für bzw. gegen Tierversuche sieht man, dass es zwei unterschiedliche Arten von Argumenten gibt: Wissenschaftliche und ethische Argumente. So kann man also auch argumentieren, dass man zwar anerkennt, dass Tierversuche unersetzliche Erkenntnisse liefern, sie aber aus ethischen Gründen dennoch ablehnen. Konsequenterweise müsste man dann aber auch auf andere Formen des Tierleids verzichten, die durch Menschen hervorgerufen werden, etwa bei der Gewinnung von Fleisch und anderen tierischen Produkten.
Argumente für Tierversuche
Tierversuche haben wesentlich zum bisherigen medizinischen Fortschritt beigetragen.
Ein großer Teil aller Medikamente und Medizinprodukte basiert auf Forschung mit Tierversuchen. Zuerst werden biologische Mechanismen erforscht, um neue Ansätze für Therapien zu entdecken. Anschließend werden mögliche Behandlungsmethoden an Tieren getestet, um ihre Wirksamkeit zu prüfen und mögliche Nebenwirkungen auszuschließen. Prominente Beispiele sind Penicillin, Insulin, Medikamente zur Bekämpfung von HIV und Impfstoffe wie der gegen COVID-19.
Doch das gilt nicht nur für Medikamente: Auch OP-Techniken, Medizinprodukte wie Implantate oder Diagnoseverfahren gehen vielfach auf Erkenntnisse aus Tierversuchen zurück. Das alles ist möglich, weil sich Menschen und andere Tiere genetisch und auf der Ebene der Zellen und Moleküle sehr ähneln.
Bei einem Verzicht auf Tierversuche müsste man auf die Entwicklung neuer biomedizinischer Erkenntnisse, Verfahren und Anwendungen (z.B. neue Medikamente) verzichten, auch wenn diese dann stattdessen im Ausland mit Tierversuchen entwickelt werden.
Darüber hinaus spielen Tierversuche natürlich auch eine wichtige Rolle in der Tiermedizin, Giftigkeitsprüfungen von Chemikalien und im Umweltschutz.
Auch heute können viele wissenschaftliche Fragestellungen nur durch Forschung mit Tieren beantwortet werden. Wenn es eine Alternative gibt, muss diese genutzt werden.
Bei jedem Tierversuchsantrag muss angegeben werden, ob die jeweilige Forschungsfrage mit Hilfe von Alternativmethoden beantwortet werden kann. Ist dies der Fall, dann muss die Alternative genutzt werden. Das ist gesetzlich vorgegeben. Ein Tierversuchsantrag kann also nur genehmigt werden, wenn die Fragestellung ohne Tierversuche nicht zu beantworten ist.
Derzeit gibt es (noch) nicht zu jeder Fragestellung eine Alternativmethode.
Obwohl seit vielen Jahren an Ersatzmethoden geforscht wird, gibt es für viele Tierversuche noch keine Alternative. Für die Grundlagenforschung ist es zudem erforderlich, dass am lebenden Organismus gearbeitet wird. Forschende wollen ihr Wissen über die komplexen Funktionen des Körpers erweitern und dadurch besser verstehen, wie zum Beispiel Krankheiten im Körper ablaufen oder Organe miteinander agieren.
Der ethische Aspekt: Vermeiden oder Lindern von menschlichem Leid wiegt schwerer als die Vermeidung von Tierleid.
Die Wissenschaft ist gesellschaftlich dazu verpflichtet, neue Behandlungsmethoden zu finden, und so menschliches Leid in Gegenwart und Zukunft zu lindern oder zu vermeiden. Dazu muss sie auch die biologischen Grundlagen von Gesundheit und Krankheit im lebenden Organismus erforschen. Ohne Tierversuche ist das aktuell in vielen Bereichen nicht möglich.
Selbstverständlich möchten alle Menschen medizinischen Fortschritt und dabei gleichzeitig die Sicherheit, dass Behandlungen und Medikamente keine schwerwiegenden Nebenwirkungen haben. Dies war etwa auch ein Thema bei unserer Straßenumfrage in Berlin:
Argumente gegen Tierversuche
Nicht alle Ergebnisse aus Tierversuchen sind auf den Menschen übertragbar.
Es ist richtig, dass nur etwa 5 bis 10 % der im Tierversuch erfolgreich getesteten Therapien am Ende auch für den Menschen zugelassen werden. Dies liegt aber nicht allein an der schwierigen Übertragbarkeit zwischen Tier und Mensch, sondern auch an äußeren Faktoren wie einem ungenauen Studiendesign, wenn etwa junge Tiere für Medikamententests zu eher altersbedingten Krankheiten wie Schlaganfällen oder Herzproblemen herangezogen werden, oder den hohen Kosten einer Zulassung.
Eine aktuelle Studie kommt zu dem Schluss, dass 86 % der Therapien, die bei Tieren erfolgreich waren, auch beim Menschen funktionierten. Zudem helfen die Tierversuche bereits dabei, gefährliche und giftige Substanzen auszusortieren, bevor sie überhaupt am Menschen getestet werden könnten.
Tierversuche verursachen hohe Kosten, nicht zuletzt durch Zucht, Haltung und Pflege der Tiere.
Die Haltung und Zucht der Tiere sind teuer. Zudem gibt es heute – übrigens völlig zurecht – strenge Standards zur Erfüllung des Tierwohls und Auflagen zu den Bedingungen in den Forschungseinrichtungen, was weitere Kosten verursacht. Eine entwickelte Alternativmethode mit beispielsweise einem Organ-on-a-Chip aus dem 3D-Drucker ist also nicht nur besser für das Tierwohl, sondern häufig sogar günstiger. Leider haben diese Modelle klare Grenzen, denn sie können nicht die gesamte Komplexität des Körpers nachbilden. Zur Vorhersage von Interaktionen zwischen verschiedenen Organen, für Verhaltensstudien und Untersuchungen am Herz-Kreislauf-System gibt es zum Beispiel noch keine Alternative zum Tierversuch.
Alternativmethoden sollten stärker berücksichtigt und schneller erforscht werden, um Tiere zu schützen.
Tierfreie Verfahren erhalten bislang weniger Fördergelder und müssen lange Entwicklungszeiten durchlaufen. Es dauert also, bis diese behördlich anerkannt und dann flächendeckend genutzt werden können. Teile dieses Prozesses könnten beschleunigt und die Forschung mit finanziellen Anreizen gestärkt werden, um mehr Alternativmethoden zu etablieren, die dann ebenso zuverlässige Ergebnisse wie Tierversuche liefern.
Der ethische Aspekt: Interessen von Tieren haben den gleichen Wert wie die eines Menschen.
Der Philosoph Peter Singer und weitere Tierethiker*innen argumentieren, dass es keine überzeugenden Gründe gibt, menschliche Interessen über die anderer Lebewesen zu stellen. Sie lehnen die Diskriminierung allein aufgrund der Artzugehörigkeit ab und prägen dafür den Begriff „Speziesismus”. Weil wir also aus guten Gründen auf beispielsweise schmerzhafte Versuche bei Menschen verzichten, sollten wir aus ethischen Gründen auch auf solche Tierversuche verzichten, unabhängig von deren potenziellem Nutzen für den Menschen. Demnach wären nur Versuche erlaubt, die wir auch Menschen zumuten würden. Diese Position löst das ethische Dilemma zwischen dem Wohlergehen einzelner Tiere und dem medizinischen Fortschritt also zugunsten der Versuchstiere. Dafür wird in der Konsequenz das Leid kranker Menschen und auch Tiere in Kauf genommen, das sich durch medizinischen Fortschritt mithilfe von Tierversuchen reduzieren ließe.
Mehr zum Thema Ethik wird in diesem Video diskutiert:
Könnte man denn von heute auf morgen auf Tierversuche verzichten?
Theoretisch ginge dies, denn wir als Gesellschaft entscheiden, welche Grenzen der Forschung gesetzt werden. Darüber muss offen, ehrlich und vor allem auf guter Informationsgrundlage diskutiert werden. Dabei sollten verschiedene Perspektiven berücksichtigt werden.
Wir müssen uns bewusst machen, dass ein Verzicht auf Tierversuche zum heutigen Zeitpunkt einen hohen Preis hätte: Solange es keine entsprechenden Alternativmethoden für die Beantwortung wichtiger Forschungsfragen gibt, hieße das, auf diese Erkenntnisse zu verzichten – oder tatsächlich auf Versuche am Menschen zu setzen. Nicht zuletzt deshalb sind Tierversuche zur Sicherheitsprüfung von Medikamenten gesetzlich vorgeschrieben. Auch die Entwicklung weiterer und besserer Alternativmethoden muss mit Hilfe von Tierversuchen bestätigt werden. Die große Mehrzahl der Forschenden ist sich einig, dass ohne Tierversuche der biomedizinische Fortschritt stark leiden würde, da bestimmte komplexe biologische Vorgänge derzeit nur im lebenden Organismus erforscht werden können.
Mehr zu den Möglichkeiten und Grenzen von Alternativmethoden:
Allerdings helfen Computermodelle, Organoide, KI und weitere Alternativmethoden dabei, die Zahl der eingesetzten Tiere langfristig zu reduzieren. Neben dem Ersatz (Replace) von Tierversuchen, spielen auch die Reduzierung (Reduce) und die Verbesserung der Haltungsbedingungen (Refinement) eine wichtige Rolle. Sie bilden das 3R-Prinzip, das bei jedem Tierversuchsantrag berücksichtigt wird.
Die aktuellen Zahlen zu den Versuchstieren in Deutschland können hier nachgelesen werden.