Mitwachsende Herzklappe bewahrt Patienten vor weiteren Operationen

Das sogenannte Tissue Engineering ermöglicht Herzklappen, die vom Patienten besonders gut angenommen werden und mitwachsen. Durch diese Technik kann der Australier Dane Lees ein fast normales Leben führen. Tierversuche leisteten bei der Entwicklung der neuartigen Herzklappe einen unersetzlichen Beitrag.

Dane Lees steht wieder mitten im Leben. Das belegen unter anderem die Bilder, die er auf seinem Instagram-Account hochgeladen hat. Sie zeigen ihn am Strand, beim Reiten – und zeugen so von einer Unbeschwertheit und Leichtigkeit, nach der es in seinem Leben lange Zeit nicht aussah. Denn der Australier war mit einem angeborenen Herzfehler zur Welt gekommen. Seine Aortenklappe, eine der vier Herzklappen, war verwachsen. Das Herz gestattete nur wenig Belastung. Ohne eine neue Herzklappe hätte er nur eine kurze Lebenserwartung gehabt.

Lees unterzog sich zwei schweren Herzoperationen in den Jahren 1998 und 1999. Doch sein Gesundheitszustand verbesserte sich nicht auf Dauer und verschlechterte sich zusehends. Bei der Suche nach einer Lösung für seine gesundheitlichen Probleme wurde der Australier in Hannover fündig. Seither geht es ihm gut.

Nach schweren Operationen schwindet die Hoffnung

Bei den ersten Operationen erhielt Lees menschliche Spenderklappen und mechanische Herzklappen. Sie waren Lösungen auf Zeit, Komplikationen durch die Abnutzung absehbar. 2010 wurde deutlich, dass eine dritte Herzoperation unumgänglich sein würde. „Das menschliche Spendergewebe war ziemlich verkalkt und die Blutgefäße sowie die Klappe hatten sich verengt“, sagt Lees. Die Herzinnenhaut hatte sich entzündet. Dadurch erlitt Lees einen leichten Schlaganfall. Dieser wurde höchstwahrscheinlich durch Gerinnsel verursacht, die sich von der Oberfläche der mechanischen Klappenprothese gelöst hatten.
Die Operationsmethoden, die Lees von australischen Ärzten aufgezeigt bekam, waren für ihn keine Lösung. Sie rieten ihm zu einem biologischen Ersatz mit menschlichen Spenderklappen oder sogenannten biologischen Xenoklappen vom Schwein oder Rind. Diese hätten jedoch chronische Abstoßungen auf das fremde Gewebe zur Folge gehabt und schon in fünf bis zehn Jahren zur nächsten Operation geführt. Wieder nur eine Lösung auf Zeit. Darauf wollte der junge Mann sich lieber nicht einlassen.

Möglichkeiten, um defekte Herzklappen zu ersetzen

Menschliche Spenderklappen
„Xenoklappen“
Künstliche Herzklappen
Neu: TE-Herzklappen
Zukunft

Weltweite Suche nach einer Lösung

Gemeinsam mit seinem Vater suchte er weltweit nach einer Alternative zu mechanischen Herzklappen oder menschlichen Spenderklappen. Er fand sie schließlich 2011 an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) bei Dr. Serghei Cebotari. Er ist leitender Oberarzt im Bereich Herzchirurgie an der MHH und stellte dem Patienten eine neue Methode im Bereich der Herzklappenforschung vor. Sie basiert auf dem sogenannten Tissue Engineering (TE). Lees: „Für mich war es die beste Option, um ein langes Leben führen zu können.“
Dabei wird eine speziell vorbereitete Spenderherzklappe nach Implantation mit körpereigenen Zellen besiedelt und wächst daher mit. Der Ansatz ist noch jung. Tierversuche spielten bei der Entwicklung dieser Methode eine wichtige Rolle. Nach der Gründung der Leibniz-Forschungslaboratorien für Biotechnologie und künstliche Organe der MHH fanden Ende der 1990er-Jahre erste Versuche mit Ratten und Schafen statt. 2002 wurde der erste Patient nach diesem Verfahren operiert. Inzwischen wurden mehr als 400 Operationen weltweit auf diese Art durchgeführt. Insgesamt gibt es in Deutschland jährlich mehr als 30.000 Operationen aufgrund von Herzklappenfehlern.

Mitwachsende Herzklappe

Cebotari betont, dass bei der Entwicklung der Herzklappen moderne Bioreaktoren und neuartige Testverfahren eingesetzt wurden. Beim Tissue Engineering-Verfahren reduziere sich das Risiko einer Abstoßung, da man aus einer menschlichen Spenderklappe alle Zellen entfernen könne, erläutert der Mediziner. Das Verfahren zum Entfernen der Zellen heißt Dezellularisierung. „Es verbleibt ein Gerüst, das nach Implantation mit Zellen des Empfängers besiedelt wird“, so Cebotari weiter. So entstehe eine Herzklappenprothese, die sich entsprechend dem natürlichen Gewebe verhalte. „Sie ist in der Lage, sich an das Größenwachstum anzupassen, kann sich erneuern und erfordert keine medikamentöse Begleittherapie.“ Die Unfähigkeit zum Mitwachsen war bisher eines der größten Probleme von künstlichen Herzklappenprothesen bei Kindern.

Alternativen zu menschlichen Spenderklappen

Auch Lees’ Körper hat die mitwachsenden Spenderklappen sehr gut angenommen. Es gibt jedoch generell zu wenige menschliche Spender und zugleich eine große Nachfrage nach anderen Herzklappentypen. Daher suchen Forscher nach Alternativen zu menschlichen Spenderklappen. „Schweineherzklappen könnten nahezu in beliebiger Anzahl und Größe gewonnen werden“, sagt Cebotari. Tierversuche sind auch in diesem Fall wichtig. Es geht hauptsächlich darum, Dezellularisierungsmethoden kombiniert mit zusätzlichen anti-immunogenen Behandlungen weiterzuentwickeln. Die Versuche werden dann an Schafen als Empfängertiere durchgeführt. „Alle Untersuchungen zur Immunologie, Transplantation oder zur Blutgerinnung können nicht im Labor durchgeführt werden, ohne das Großtierversuche stattfinden“, erklärt Cebotari. Das medizinische Risiko für den Patienten wäre ansonsten nicht vertretbar. Falls diese Forschungen zu einem positiven Ergebnis führen, könnte dadurch irgendwann der bestehende klinische Bedarf gedeckt werden.

Nach der zweiten Operation 1999 musste Lees den Blutgerinnungshemmer Warfarin einnehmen. Patienten mit künstlichen Herzklappen nehmen üblicherweise lebenslang Medikamente zur Blutverdünnung ein. Diese bergen jedoch das Risiko gefährlicher Blutungen. Seit der Herz-OP in Hannover nimmt Lees keine Medikamente mehr ein. Der Eingriff hat seinem Leben wieder eine Perspektive gegeben. Das hatte „unmittelbare Auswirkungen auf meine Erwartungen an mein Leben“. Dass Tierversuche daran einen entscheidenden Anteil haben, ist ihm bewusst. „Ich habe kein Problem damit, dass diese Technologie mit Hilfe von Tierversuchen entwickelt wurde“, betont der Australier. Er denkt nach und sagt: „Selbstverständlich bin ich sehr dankbar, dass die Versuche an Tieren den Weg dafür bereitet haben.“

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