Gewebekulturen sollen Schwangerschaft „simulieren“ und Tests von potenziell riskanten Chemikalien ermöglichen – ohne Tierversuche. Am Deutschen Zentrum zum Schutz von Versuchstieren (Bf3R), das Teil des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) ist, arbeiten die Wissenschaftlerinnen Dr. Fanny Knöspel und Mirjam Niethammer an einer Alternative, die die bisherigen Forschungsmethoden mit Tierversuchen ersetzt – an Embryoiden aus Mäusezellen.
Ein werdender Mensch ist ein empfindliches Lebewesen. Schätzungsweise jede zweite bis fünfte Schwangerschaft endet vorzeitig, 80 Prozent von diesen während der ersten drei Monate. Vor allem der frühe Embryo ist also gefährdet. Einer der Gründe für einen ungewollten Abbruch ebenso wie für Fehlbildungen oder Entwicklungsstörungen sind chemische Substanzen. Das eindrücklichste Beispiel ist die Thalidomid-Katastrophe: In den sechziger Jahren kam es durch den Wirkstoff, der gegen morgendliche Übelkeit bei Schwangeren verschriebenen wurde, in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten zu schweren Organschäden und fehlenden Gliedmaßen beim Kind.
Prüfung auf Schäden für Ungeborene seit Thalidomid Pflicht
Seit Thalidomid müssen Chemikalien und Arzneimittel vor der Vermarktung auf Schäden für das Ungeborene geprüft werden. Dies geschieht noch immer überwiegend mit Tierversuchen. Am Deutschen Zentrum zum Schutz von Versuchstieren (Bf3R), das Teil des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) ist, arbeiten die Wissenschaftlerinnen Dr. Fanny Knöspel und Mirjam Niethammer an einer Alternative – an Embryoiden aus Mäusezellen. „Embryoide sind aus Stammzellen erzeugte embryoähnliche Gewebe“, erläutert Fanny Knöspel. „Wir möchten verstehen, wie sich ein Embryo in der Gebärmutter einnistet und wie sich Substanzen auf diesen Prozess und die embryonale Entwicklung auswirken.“
Wir möchten verstehen, wie sich ein Embryo in der Gebärmutter einnistet und wie sich Substanzen auf diesen Prozess und die embryonale Entwicklung auswirken.
Dr. Fanny Knöspel, BfR
Etablierte und behördlich vorgeschriebene Tests für die Prüfung von chemischen Stoffen wie Pestiziden erfolgen zumeist an Ratten und Kaninchen. Um mögliche giftige (toxische) Wirkungen auf den Nachwuchs der Tiere herauszufinden, bekommen Elterntiere die Prüfsubstanz zugeführt, etwa mit dem Futter. Danach wird ermittelt, ob sich gesundheitliche Folgen zeigen, ob zum Beispiel die Zahl der Nachkommen verringert ist oder Fehlbildungen und Wachstumsstörungen auftreten.
Zu den Nachteilen dieser Tests zählt die Tatsache, dass Ergebnisse bei einer Tierart nur bedingt auf andere oder auf den Menschen übertragbar sind. Das kann bedeuten, dass ein gefährlicher Stoff nicht entdeckt wird – oder im Gegenteil, dass ein potenziell nützliches Arzneimittel als vermeintlicher Schadstoff aussortiert wird. Und natürlich werden für diese Versuche lebende Tiere benötigt. Das Entwickeln von Alternativmethoden durch das Bf3R kann helfen, die Zahl der Versuchstiere auf diesem Gebiet zu verringern.
Unabhängig auf ihre Eignung geprüft (validiert) wurden in der Vergangenheit bereits drei Alternativverfahren. Sie testen nicht lebende Tiere (in vivo), sondern arbeiten mit Zell- und Gewebekulturen (in vitro). Grundlage der Verfahren sind Rattenembyronen, aus diesen gewonnene Bindegewebszellen sowie embryonale Stammzellen aus Mausembryonen. Alle drei Testsysteme unterliegen jedoch deutlichen Beschränkungen und konnten sich bislang nicht durchsetzen. „Eine häufige Ursache für das frühzeitige Ende einer Schwangerschaft sind Probleme im Kontakt zwischen dem Embryo und der mütterlichen Gebärmutter“, sagt Knöspel. „Die bisherigen Testverfahren ermöglichen es aber nicht, diese Vorgänge besser zu verstehen.“
Knöspel und Niethammer möchten mit Hilfe eines tierversuchsfreien Modells besser verstehen, wie die Gebärmutterschleimhaut und der Embryo miteinander kommunizieren. Zudem geht es darum, inwieweit Medikamente und Chemikalien die Einnistung (Implantation) des frühen Embryos in der Gebärmutter beeinflussen können. Es sind hochgesteckte Ziele, die die beiden Wissenschaftlerinnen erreichen wollen.
Zunächst gilt es, die embryoähnlichen Embryoide sowie eine Gewebekultur aus Gebärmutterschleimhaut (Endometrium) und Bindegewebe zu erzeugen. Die Forscherinnen fahren zweigleisig: Knöspel widmet sich den Embryoiden, Niethammer kümmert sich um das Endometrium. Erst wenn beide biologischen Modelle für sich funktionieren, werden sie kombiniert. Noch ist es jedoch nicht so weit.
Stammzellen haben das Talent, sich in verschiedene Zellarten zu verwandeln
Fanny Knöspel arbeitet mit drei verschiedenen Zelltypen. Zwei davon wurden ursprünglich aus dem frühen Embryo (Blastozyste) einer Maus isoliert. Sie werden nun als Stammzellen dauerhaft in der Petrischale kultiviert. Je nach Entwicklungsstadium besitzen
Stammzellen das Talent, sich in verschiedene Zellarten zu verwandeln (zu differenzieren). Durch diese Fähigkeit konnte der dritte Zelltyp gewonnen werden. Zudem können sich Stammzellen nahezu unendlich vermehren. Sie sind also eine sehr gute Quelle, um tierversuchsfreie Untersuchungsmethoden zu entwickeln.
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Mehr Informationen„Wir geben diese Zellen zusammen in eine Nährlösung,und dann geschieht etwas sehr Erstaunliches – die Zellen organisieren sich selbstständig zu embryoähnlichen Gebilden“, berichtet Fanny Knöspel. „Damit lassen sich die ersten Stadien der Entwicklung studieren, etwa die Bildung der Fruchtblase, der Amnionhöhle und der Keimblätter, aus denen dann die Organe entstehen.“ Insgesamt werden die Embryoide bisher etwa eine Woche am Leben gehalten.
Zellgebilde werden direkt den zu prüfenden Chemikalien ausgesetzt
Obwohl es „näher am Leben“ wäre, die Embryoide auf Gebärmutterschleimhaut zu studieren, lassen sie sich auch direkt auf Schäden durch potenziell giftige Substanzen testen. Dazu werden die Zellgebilde für ein bis zwei Tage der zu prüfenden Chemikalie ausgesetzt.
„Wir schauen dann, ob wir irgendwelche Veränderungen feststellen können“, sagt Knöspel. „Das können offenkundige Prozesse wie der Tod von Zellen sein, oder es lassen sich Stoffwechselprozesse beobachten, die auf erhöhten Stress hindeuten.“
Gebärmutter im mikroskopischen Maßstab
Das Erzeugen „künstlicher“ Embryonen ist ein bereits ausgewiesenes Forschungsgebiet. Anders sieht es bei den Versuchen aus, eine Gebärmutter im mikroskopischen Maßstab nachzubilden. Sie stecken gewissermaßen noch in den Kinderschuhen. So erweist es sich als deutlich schwieriger, Zellen der Gebärmutter dauerhaft zu züchten. Eine weitere Frage ist, ob die Gebärmutterzellen auf einem stabilisierenden Netz aus Bindegewebsstoffen als Grundlage (Matrix) heranwachsen, oder ob sie diese selbstständig bilden können, was näher an der Natur wäre.
„Künstliches System aus Embryoid und Gebärmuttergewebe noch längst kein perfektes Abbild der Natur“
„Unser Ziel ist es, für die gebärmutterähnliche Struktur die oberflächliche Schleimhaut mit dem dazugehörigen Bindegewebe darzustellen“, sagt Mirjam Niethammer. Ein weiterer wichtiger Faktor, damit die „Einnistung“ eines Embryoids gelingt, sind zudem Hormone, die in der „echten“ Gebärmutter für eine angehende Schwangerschaft unerlässlich sind. „Natürlich wäre ein künstliches System aus Embryoid und Gebärmuttergewebe noch längst kein perfektes Abbild der Natur“, fasst Knöspel zusammen. „Aber immerhin haben wir es dann bereits mit fünf verschiedenen Zelltypen zu tun, die zusammen passen und harmonieren müssen.“ Kein Zweifel, die beiden Wissenschaftlerinnen haben sich einiges vorgenommen, um der Natur auf die Schliche zu kommen – und für das Ungeborene riskante Substanzen aufzuspüren.
Der Beitrag ist zuerst in Magazin des Bundesinstituts für Risikobewertung „BfR2GO“ erschienen.