Forscher sagen Diabetes-Epidemie den Kampf an

Weltweit ist Diabetes Typ 2 auf dem Vormarsch. Ein zunehmend ungesunder Ernährungsstil und zu wenig Bewegung führen immer häufiger zum Altersdiabetes oder dem metabolischen Syndrom. Präventive Maßnahmen und Appelle von Wissenschaftlern, Krankenkassen oder Gesundheitspolitikern für eine gesündere Ernährung und mehr Bewegung bewirken zu wenig, die Zahl der Erkrankten steigt epidemieartig. Das könnte auch daran liegen, dass bei einer großen Anzahl von Patienten Lebensstiländerungen keine Verbesserung bewirken. Deswegen forschen international zahlreiche Wissenschaftler an maßgeschneiderten Therapien gegen die sich stärker ausbreitende Zuckerkrankheit. Die wichtigsten Fragen und Antworten anlässlich des Welt-Diabetes-Tages.

Warum muss Diabetes noch weiter erforscht werden?

Besonders die Häufigkeit des Typ-2-Diabetes nimmt weltweit stetig immer mehr zu. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leiden derzeit etwa 422 Millionen Menschen an Diabetes – etwa 95 Prozent davon sind Typ-2-Diabetiker – und jährlich sterben etwa 1,5 Millionen Menschen an den Folgen der Zuckerkrankheit. Diese Zahlen nehmen stark zu und aktuellen Schätzungen zufolge wird bis zum Jahr 2030 jeder sechste Erwachsene an einem gestörten Zuckerstoffwechsel leiden. In Anbetracht dieser epidemieartigen Zunahme an Krankheitsfällen werden die Gesundheitssysteme zunehmend sehr stark belastet. Die Entwicklung von Therapiemaßnahmen zur nachhaltigen Verbesserung des Zuckerstoffwechsels ist also von übergeordneter gesellschaftlicher und auch sozioökonomischer Relevanz.

Wodurch entsteht Diabetes und was sind die Folgen?

Grafik: Was ist eine genetisch modifizierte Maus?
Was ist eine genetisch modifizierte Maus?

Der größte Risikofaktor zur Entstehung von Typ-2-Diabetes ist massives Übergewicht (Adipositas). In den meisten Fällen ist das Übergewicht, beziehungsweise die zu hohe Körperfettmasse der Grund für den gestörten Zuckerstoffwechsel. Eine Verringerung der Körperfettmasse verbessert somit nicht nur unser Wohlbefinden sondern auch den Zuckerstoffwechsel. Das ist entscheidend für den Therapieerfolg bei der Behandlung von Typ-2-Diabetes. Allerdings gibt es auch eine große Anzahl sogenannten Non-Responder, bei denen sich eine Änderung des Lebensstils nicht positiv auf den Diabetes auswirkt. Adipositas führt jedoch nicht nur zu Diabetes. Weitere schwere Stoffwechselerkrankungen, wie etwa Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Fettstoffwechselstörungen sowie ein erhöhtes Risiko für Alzheimer und verschiedene Krebsarten können direkt durch Adipositas verursacht werden. Alleine in den USA sterben jährlich etwa 280.000 Menschen an den Folgen der Adipositas.

Mit welchen Methoden nähern sich Forscher künftigen Therapien?

Eine Strategie für neue Therapieansätze ist die Entwicklung von Medikamenten, welche die positiven Eigenschaften verschiedener körpereigener Hormone in sich vereinen. Das Institut für Diabetes und Adipositas am Helmholtz Zentrum München zum Beispiel entwickelte jüngst zusammen mit anderen internationalen Wissenschaftlern unterschiedlich sogenannte Multihormonwirkstoffe. Laut den Forschern hat jeder einzelne aktive Bestandteil dieser Multiwirkstoffe positive Eigenschaften auf den Stoffwechsel. Diese positiven Eigenschaften würden sich sogar gegenseitig verstärken, und das Körpergewicht werde bereits bei vergleichsweise geringen Dosierungen gesenkt und der Zuckerstoffwechsel nachhaltig verbessert. Da nur relativ geringe Dosierungen notwendig sind, gelten diese Wirkstoffe als allgemein gut verträglich. Zudem sind diese neuen Wirkstoffe so optimiert, dass die positiven Eigenschaften im Körper möglichst lange anhalten. Im Vergleich zu bereits verfügbaren Präparaten stellen diese neuen Wirkstoffe eine echte Verbesserung dar. Erste Ergebnisse aus klinischen Studien sind sehr vielversprechend.

Welche Rolle spielen Tierversuche für die Diabetes-Forschung?

Während Experimente in isolierten Zellkulturen zwar wertvolle Ergebnisse zur direkten Wirkung einer Substanz auf die zu untersuchende Zelle erbringen, lassen solche Studien keine Rückschlüsse auf die komplexe Interaktion des Wirkstoffs mit den Organen des Körpers zu. Deshalb kann die Wirkung eines Wirkstoffs auf die Interaktion der einzelnen Organe nur in geeigneten Tierversuchen untersucht werden. Obgleich Studien in Zellkulturen ein wesentlicher Bestandteil in der Entwicklung neuer Wirkstoffe sind, sind tierexperimentelle Studien nach wie vor unverzichtbar.

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Zwei Beispiele veranschaulichen das: Die Regulation des Zucker- und Energiestoffwechsels ist ein komplexer Vorgang, der durch die Wechselwirkung zahlreicher Organe gesteuert wird. Das Gehirn empfängt dabei konstant Signale über die Menge an verfügbarer Energie unter anderem aus dem Darm, der Leber, den Muskeln sowie dem Fettgewebe. Es steuert durch die Ausschüttung bestimmter Botenstoffe unser Empfinden für Hunger und Sättigung. Die komplexe Wechselwirkung all dieser Organe mit dem Gehirn ist also entscheidend für die Wirkung von Medikamenten auf den Organismus. Ein klassisches Beispiel ist hier das Hormon Leptin. Dieses wird von Fettzellen proportional zur Menge gespeicherter Energie in Fetten in den Blutkreislauf ausgeschüttet. Leptin gelangt dann zum Gehirn und informiert dieses über die Menge an gespeicherter Fettmasse. Das Gehirn reagiert auf steigende Leptinspiegel und somit eine gesteigerte Fettmasse mit einer Verringerung der Nahrungsaufnahme und einer Steigerung des Energieverbrauchs.

Ein anderes Beispiel ist das sogenannte Glukagon-ähnliche Peptid 1 (GLP-1). Dieses wird im Darm durch Nahrungsreize in den Körper ausgeschüttet, gelangt durch den Blutkreislauf zu relevanten Organen wie dem Gehirn und der Bauspeicheldrüse und bewirkt dort eine Verringerung der Nahrungsaufnahme sowie die Ausschüttung des Hormons Insulin.

Welche Eigenschaften haben Tiere, die in der Diabetes-Forschung eingesetzt werden?

Bei der Entwicklung neuer Wirkstoffe zur Behandlung von Adipositas und Diabetes müssen die zu untersuchenden Wirkmechanismen und Ergebnisse bestmögliche Rückschlüsse auf den Effekt des neuen Wirkstoffs auf den Menschen zulassen. Gleichzeitig sollen die Studien für die Versuchstiere so schonend und stressfrei wie möglich sein. Unter strenger Berücksichtigung dieser Faktoren muss also sorgfältig abgewogen werden, welche Tierart für das jeweilige Experiment am besten geeignet ist und ob das zu erwartende Ergebnis nicht gegebenenfalls auch ohne Tierexperiment erbracht werden kann.

Grafik: Tierversuche und Nobelpreise
Wie wichtig sind Tierversuche für die Forschung?

Kann das Ergebnis auch ohne Tierversuch erbracht werden, muss auf den Tierversuch zwingend verzichtet werden. Ist jedoch das Tierexperiment unerlässlich und das Versuchsziel ethisch vertretbar, muss die Tierart so gewählt werden, dass sie so wenig leidensfähig wie möglich aber so komplex und vergleichbar mit der menschlichen Physiologie wie notwendig ist. In der Praxis bedeutet dies zum Beispiel, dass man – sofern möglich – Studien an Mäusen solchen an Hunden oder Primaten vorzieht. Die meisten tierexperimentelle Studien werden an Mäusen durchgeführt. Die Versuche an Wirbeltieren wie der Maus sind notwendig, da die zu untersuchenden Signalmechanismen denen des Menschen vergleichbar sind und Mäuse wie wir Menschen gleichwarme Individuen mit 37° C Körpertemperatur sind. Fische oder Insekten wären hier ungeeignet und würden kaum Rückschlüsse des Wirkstoffs auf den Menschen zulassen.

Wie beurteilen medizinische Fachgesellschaften die Diabetes-Forschung mit Hilfe von Tierversuchen?

In einer Stellungnahme der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) bekennen sich die Mediziner zu Tierversuchen. Sie sagen: „Für die Erforschung neuer Heilmethoden können wir auf tierexperimentelle Ansätze nicht ganz verzichten.“ Diabetes sei eine komplexe Stoffwechselerkrankung, die mehrere Organe betrifft. Die Zellen und Organe des Körpers interagieren und kommunizieren miteinander. Diese Kommunikation ist beim Diabetes beeinträchtigt und kann in der Zellkultur nicht hinreichend untersucht werden. Tierexperimentelle Studien werden in Deutschland und europaweit kontrolliert und nur durchgeführt, wenn die Tierschutzkommissionen diese genehmigt haben. Insgesamt sind die in der Diabetologie durchgeführten Tierversuche ohne oder nur mit geringer Belastung der Tiere verbunden. Außerdem begrüßt die DDG sehr, dass inzwischen auch im tierexperimentellen Bereich immer mehr nicht-invasive Messmethoden verwendet werden, die keine Belastung für die Tiere darstellen.

Ein verantwortlicher und bewusster Umgang mit dem Leben in seiner Gesamtheit sei Grundprinzip allen diabetologischen Handelns – das gilt für Menschen ebenso wie für Tiere. Tagtäglich sähe man das Leid der Patienten, das durch die Stoffwechselkrankheit Diabetes entsteht – sei es durch Diabetes Typ 1, Diabetes Typ 2 oder eine andere Diabetesform. „Diesen Patienten in Zukunft noch besser helfen zu können, ist unsere erste Pflicht“, betont die DDG in ihrer Stellungnahme.

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