Kaum hatte die US-Arzneimittelbehörde FDA ihre Ankündigung verschickt, künftig auch tierversuchsfreie Methoden bei der Entwicklung von Medikamenten zu akzeptieren, jubelten Tierschutzaktivisten: Ein „Meilenstein“ sei das, eine neue Ära habe begonnen. Die FDA hob in ihrer Ankündigung ebenso hervor, der Bedarf an Tierversuchen würde „drastisch reduziert“, die Forschungs- und Entwicklungskosten gesenkt und die Arzneimittelpreise verringert. Hat der Vorstoß inhaltliche Substanz – oder ist er bloße Ankündigungsrhetorik?
Computermodelle zur Giftigkeitsbewertung
Laut Pressemitteilung der FDA (Food and Drug Administration) soll die bisherige Pflicht zu Tierversuchen durch eine Vielzahl von New Approach Methodologies (NAMs) „reduziert, verfeinert oder potenziell ersetzt“ werden, unter anderem durch KI-basierte Computermodelle zur Giftigkeitsbewertung, durch Tests an einfachen Zellkulturen sowie dreidimensionalen Organoiden. Im ersten Schritt sollen sie Tierversuche bei der Entwicklung von monoklonalen Antikörpertherapien und anderen Arzneimitteltests ersetzen. Die gezielt wirkenden, im Labor hergestellten Antikörper binden bestimmte Strukturen auf Krankheitserregern oder Tumorzellen. Um die Wirksamkeit neuer Arzneimittel zu beurteilen, will die Behörde künftig auch auf vorhandene Sicherheitsdaten aus Ländern mit vergleichbaren Zulassungsstandards zurückgreifen, in denen das Medikament bereits in klinischen Studien am Menschen getestet wurde.
Die Möglichkeit, Medikamenten-Zulassungen auch ohne Tierversuche durchzuführen, ist in den USA nicht neu. Der ehemalige US-Präsident Joe Biden hatte der FDA im Dezember 2022 gesetzlich gestattet, dass neue Medikamente nicht mehr zwingend im Tierversuch getestet werden müssen. In Europa ist das bereits seit 2003 möglich.
NIH sehen Tiermodelle als unverzichtbar an
Auch die mächtige Forschungsorganisation NIH (National Institutes of Health) kündigte Ende April 2025 an, stärker auf Forschung, die auf menschlichen Zellen oder Geweben beruht, zu setzen, um die Zahl der Versuchstiere zu reduzieren. Verstärkt eingesetzt werden sollen „Organoide, Gewebechips und andere In-vitro-Systeme, die es Wissenschaftlern ermöglichen, menschliche Krankheiten zu modellieren und die menschliche Variabilität sowie patientenspezifische Merkmale zu erfassen”. Stärker im Fokus stehen sollen auch „Computermodelle, die komplexe biologische Systeme des Menschen, Krankheitsverläufe und Arzneimittelwechselwirkungen simulieren”, und „Daten aus der realen Welt”. Weiter schreiben die NIH: „Auch wenn herkömmliche Tiermodelle für den wissenschaftlichen Fortschritt nach wie vor unverzichtbar sind, können neue und aufkommende Technologien einzigartige Stärken bieten, wenn sie richtig oder in Kombination eingesetzt werden“. Weiterhin wollen die NIH ein neues Büro einrichten (Office of Research Innovation, Validation and Application – ORIVA), das die Reduzierung von Tierversuchen in den gesamten NIH und in der von ihnen finanzierten Forschung koordinieren soll.
FDA-Chef Martin Makary, seit März 2025 im Amt und von US-Präsident Donald Trump nominiert, sowie US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy bedienen mit der Ankündigung, Medikamenten-Tests auch ohne Tierversuche durchzuführen, das republikanische Wählerklientel. Ein erheblicher Teil der Trump-Anhängerschaft steht der Pharmaindustrie äußerst misstrauisch gegenüber – getrieben von Faktoren wie Verschwörungserzählungen rund um Covid-19, Frustration über die Verlagerung der Arzneimittelentwicklung ins Ausland sowie langjährigen Beschwerden über Arzneimittelpreise. Für viele gilt „Big Pharma“ als Teil einer Elite, zu der auch große Technologieunternehmen, Medien und die Wissenschaft gezählt werden.
FDA unter politischem Druck
Ebenso steht die FDA seit Herbst 2024 unter politischem Druck: US-Senat und Repräsentantenhaus debattieren seit Dezember 2024 parteiübergreifend über den FDA-Modernization Act 3.0. Er verpflichtet die FDA, ein Verfahren zu schaffen, das nicht-tierische Testmethoden für die Arzneimittelentwicklung unterstützt und fördert. Einige Abgeordnete werfen der Behörde vor, Reformen zu verschleppen. Die jetzige Ankündigung entspricht zugleich Makarys früheren Forderungen; zum Beispiel setzte er sich für eine radikale Transparenz bei der Arzneimittel-Zulassung ein und zeigte sich offen für bahnbrechende Innovationen und beschleunigte Zulassungsverfahren. Er blickt auf eine Karriere als Chirurg an der Johns Hopkins Universität zurück und veröffentlichte mehr als 300 wissenschaftliche Publikationen.

Allerdings hat die FDA bislang nicht dargelegt, wie NAMs – die sich vielfach noch in der Entwicklung befinden – die komplexen biologischen Wechselwirkungen in lebenden Organismen zuverlässig nachbilden können.
Die Ankündigung der FDA, bei der Arzneimittelentwicklung nicht zwingend Tierversuche einzusetzen, ist somit zu einem großen Teil von politischem Druck getrieben – und weniger durch solide wissenschaftliche Ergebnisse, die neue Wege bei der Zulassung von Medikamenten ebnen. Bei genauem Hinsehen bleibt die vage Aussage, dass Tierversuche „potenziell ersetzt“ werden sollen. Zudem betrifft das Einsatzgebiet vorerst die Entwicklung von monoklonalen Antikörpertherapien – also einen sehr eng gefassten Bereich. Auch der Zeitplan (ein Workshop dazu in 2025 und im Laufe des Jahres 2026 ein Pilotprogramm für ausgewählte Entwickler monoklonaler Antikörper) erlaubt die Einschätzung, dass eine nüchterne Betrachtung der Ankündigungen angemessen sein könnte.
Die Mitteilung der FDA ist vor allem eines: eine öffentlichkeitswirksame Ankündigung. Ob die geplanten Änderungen tatsächlich umgesetzt werden und welchen praktischen Effekt sie haben, bleibt abzuwarten. Zu belegen, dass die Zahl von Versuchstieren tatsächlich reduziert wird, verspricht angesichts der jetzigen Zählweise eine Herausforderung zu werden. Denn für wissenschaftliche Zwecke gezüchtete Mäuse, Ratten Fische, Reptilien, Amphibien und Fische werden in den USA statistisch gar nicht erfasst. Eine Reduktion kann faktisch gar nicht nachgewiesen werden.
