Eine weiße Ratte steht auf Händen mit lila Handschuhen.

„Emotionen stehen im Vordergrund“

Das Internet hat den Zugang zu Informationen erleichtert – allerdings auch zu Un- und Halbwahrheiten. Das kann dramatische Folgen haben: Statt wissenschaftlichen Erkenntnissen haben für manche Menschen emotionale Argumente einen höheren Stellenwert bekommen. Wie sich deshalb die Kommunikation mit Themen aus Forschung und Wissenschaft verändern sollte, erklärt Beatrice Lugger, wissenschaftliche Direktorin des Nationalen Instituts für Wissenschaftskommunikation (NaWik).

 

Woran liegt es, dass wissenschaftlich widerlegte Thesen im Internet soviel Gehör und Anhänger finden?

 

Beatrice Lugger vom NaWik macht sich für authentischen Wissenschaftsjournalismus stark. Foto: Tim Wegner
Beatrice Lugger vom NaWik macht sich für authentischen Wissenschaftsjournalismus stark. Foto: Tim Wegner

Beatrice Lugger: Widerlegte Thesen wie etwa „die Erde ist eine Scheibe“ – die übrigens in Europa immerhin bis ins Mittelalter hinein als gültig galt – halten sich vor allem bei Verschwörungstheoretikern. Diese finden im Netz die sich selbst bestätigende Community. Das verstärkt den Prozess des sogenannten motivated reasoning – also dem aus der Kognitionswissenschaft und Sozialpsychologie bekannten Effekt, wonach wir bevorzugt Themen wahrnehmen, welche die eigene Weltsicht unterstützen. Dazu kommen algorithmische Filter Bubbles, die ihnen genau solche Einträge bevorzugt zuspielen.

 

Was bedeutet das für das Thema Tierversuche?

 

Lugger: Hier stehen Emotionen im Vordergrund. Dies hat nur sehr am Rande etwas mit Verschwörungstheorien zu tun. Die Diskussion entbrennt nicht um wissenschaftliche Fakten. Vielmehr handelt es sich um persönliche Einstellungen und regulative Mechanismen, die in unterschiedliche Tatsachenbehauptungen münden, welche einander gegenüberstehen.

 

Könnten Sie das am Beispiel Kosmetika konkretisieren?

 

Lugger: Die eine Seite pickt sich explizit heraus, dass alle neuen chemischen Stoffe vor einer Zulassung auch mit Tierversuchen auf potenzielle Gesundheitsrisiken hin überprüft werden. Dieser Prozess geschieht ganz unabhängig von einem potenziellen Einsatz in Kosmetika. Weil es aber sein kann, dass diese Substanzen später in Kosmetika verwendet werden, stützt sich die Argumentationskette dieser Seite darauf, dass eben doch noch Tierversuche für Kosmetika gemacht werden.

 

Entwicklung des Verbots von Tierversuchen
Wie hat sich das Verbot von Tierversuchen für Kosmetika entwickelt?

Die andere Seite weist dies weit von sich und argumentiert mit der Rechtslage, gemäß der in Deutschland und Europa keine Tierversuche mehr für komplette Mixturen von neuen Kosmetika gefordert und erlaubt sind. Dass Einzelstoffe untersucht sein müssen, geschieht aus dieser Perspektive unabhängig von einem späteren potenziellen Einsatz in Kosmetika. Deshalb werden dieser Argumentation folgend seit Jahren keine Tierversuche mehr für Kosmetika gemacht.

 

Werden Informationen im Netz immer mehr von Kampagnen gesteuert?

 

Lugger: Wenn wir die jüngsten Erklärungen zur Rolle von Kampagnen von Trump- und Brexit-Anhängern anschauen, die durch Algorithmen bei Facebook, Google und Co offenbar gestärkt wurden, ja!

 

Was bedeutet das für die Arbeit von (Wissenschafts-)Journalisten?

 

Lugger: Sie sind der unersetzbare Fels in der Brandung. Mit Qualitätsjournalismus bleibt gesichert, dass wissenschaftliche Erkenntnisse überprüft, hinterfragt und kontextualisiert werden. Ein Beitrag, der ausgewogen ist, unterläuft das „Cherry Picking“, bei dem Leser und Leserinnen sich nur die Informationen holen, welche ihrem Weltbild entsprechen. Selbst Mark Zuckerberg meinte jüngst, man wolle bei Facebook das Fakten-Check-System der Journalisten besser verstehen und von ihnen lernen.

 

Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, in jedem Einzelfall darüber nachzudenken, wie viel Gewicht welcher Position im jeweiligen Beitrag einzuräumen ist. Hierfür ist das Beispiel Klimawandel ein Klassiker. Muss – alleine der Ausgewogenheit geschuldet – in jedem Artikel auch eine Stimme eines klimaskeptischen Forschers vertreten sein? Meine Meinung dazu lautet eindeutig nein.

 

Wie lassen sich scheinbar unerreichbare Leser dennoch mit Informationen, die eine Meinungsvielfalt/einen Diskurs enthalten, erreichen?

 

Lugger: Etwa mit klassischen Mitteln des Journalismus: Nicht nur Fakten verkaufen, sondern Geschichten. Menschen zu Wort kommen lassen, die für etwas stehen. Dies gilt insbesondere für Wissenschaftler. Wenn diese als Menschen mit einer Haltung für ihre Themen stehen und diese in den verschiedenen Medien vertreten, bauen sie Brücken zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Sie können Vertrauen schaffen, die Glaubwürdigkeit erhöhen. Zudem entwickeln sich zunehmend Netzwerke, welche die Stimme der Wissenschaft auch in den Sozialen Medien erheben.

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