Die flinke Gen-Schere CRISPR/Cas9 verleiht neuen Therapien Flügel

Als „Breakthrough of the Year 2015“ gefeiert, als „Gentechnik durch die Hintertür“ heftig kritisiert und als Auslöser für einen internationalen Ethik-Gipfel in aller Munde: Die Entdeckung des CRISPR/Cas9-Systems durch die Wissenschaftlerinnen Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier sorgt nicht nur in den Wissenschaftsszene für Gesprächsstoff. Mit Hilfe dieses neuen Genome-Editing-Verfahrens können Wissenschaftler DNA gezielt schneiden und verändern. Die Hoffnung ist groß, dadurch neue Therapien gegen Aids, Krebs und verschiedene Erbkrankheiten zu finden. „Tierversuche verstehen“ hat mit Prof. Dr. Wolfgang Wurst vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) über Chancen und Risiken des Systems gesprochen.

Die neue Gentechnik-Methode CRISPR/Cas9 trägt einen komplizierten Namen. Worin liegt der Fortschritt dieses Verfahrens?

Prof. Dr. Wolfgang Wurst. Foto: Helmholtz Zentrum München
Prof. Dr. Wolfgang Wurst. Foto: Helmholtz Zentrum München

Prof. Wolfgang Wurst: CRISPR (Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats) sind kurze, sich wiederholende DNA-Sequenzen (Repeats), die im Erbgut vieler Bakterien auftreten. Zusammen mit dem Cas9-Protein (Endonuclease) können diese Repeats das Eindringen von Fremd-DNA durch Viren erkennen und gleichzeitig zielgerichtet zerstören. Diese Methode wird in Bakterien als Teil der Immunabwehr benutzt. Das CRISPR/Cas9-System bildet das Werkzeug, um gentechnisch veränderte Zellen und Organismen zu erzeugen.

Der Fortschritt dieses Verfahrens liegt in der Universalität der Anwendung und der Einfachheit der Durchführung der Experimente. Diese Methode kann an allen Organismen – ob Tier oder Pflanze – angewandt werden, um sowohl somatische als auch keimbahn-spezifische Zellen genetisch zu verändern. Darüber hinaus kann damit fast jede erdenkliche genetische Veränderung in das Genom eingeführt werden.

Noch vor einigen Jahren wurde CRISPR-DNA als „Müll-DNA“ („junk DNA“) angesehen. 2015 erklärte die wissenschaftliche Fachzeitschrift Science die Entdeckung des CRISPR/Cas9-Systems zum „Breakthrough of the Year 2015“. Die Wissenschaftsszene handelt die Entdeckerinnen Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier inzwischen als Anwärterinnen für einen Nobelpreis. Was hat sich geändert?

Wurst: Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier ist es gelungen, zu zeigen, dass die CRISPR-DNA Baupläne für sequenz-spezifische guide RNA (sgRNA) enthält. Diese besteht aus 20 variablen Nukleotiden, mit deren Hilfe sich das Cas9-Protein ganz spezifisch an die Ziel-DNA bindet. An der DNA-Bindungsstelle wird durch das Cas9-Protein ein Doppelstrangbruch in das Genom eingeführt. Der Doppelstrangbruch kann genutzt werden, um zufällige Mutationen durch fehlerhafte DNA-Reparaturmechanismen oder aber durch das Bereitstellen einer DNA-Vorlage zielgerichtete, genetische Veränderungen in das Genom einzuführen.

„Meiner Meinung nach betritt diese Technologie die Bühne der Gentechnik direkt durch die „Vordertür“, verbunden mit allen Vorteilen und potenziellen Nachteilen.“

Professor Dr. Wolfgang Wurst

In welchen Bereichen sehen Sie die wichtigsten Einsatzgebiete für CRISPR/Cas9?

Wurst: In allen Bereichen der biologischen und medizinischen Forschung, vor allem um Genfunktionen schnell und kostengünstig in Zellkulturen oder auch im Organismus zu bestimmen. Im Besonderen sehe ich die Vorteile dieser Technologie in der somatischen Gentherapie, d.h. in spezifischen Körperzellen Gendefekte zu korrigieren, wie z.B. in Muskelzellen bei der Muskeldystrophie. Dies ist nun erstmals möglich, da diese Technologie die nötige Präzision und Effizienz besitzt, Gendefekte mit hoher Genauigkeit in Körperzellen zu reparieren.

Welche Hoffnungen verbindet die Wissenschaft mit dieser Technik?

Wurst: Die biomedizinische Wissenschaft hat mit dieser Technologie neue Werkzeuge zur Hand, um schnell und kostengünstig Genfunktionen in allen Modellorganismen etablieren zu können. Diese Technologie bietet einen erheblichen Zeitvorteil gegenüber allen bisher zur Verfügung stehenden Mutagenese-Methoden. Durch die Effizienz beim Etablieren neuer Tiermodelle, kann die Anzahl der Versuchstiere reduziert werden.

Ihr Schwerpunkt liegt unter anderem auf der Demenz-, Parkinson- und Depressionsforschung. Welche Hoffnungen verbinden Sie dahingehend mit dem CRISPR/Cas9-System?

Wurst: Demenz und Parkinson sind altersbedingte Krankheiten, deren Ursachen sowohl in einer genetischen Prädisposition als auch in Umwelteinflüssen, im Lebensstil und im natürlichen Alterungsprozess liegen. Den Vorteil des CRISPR/Cas9-Systems sehe ich bei diesen komplexen Krankheiten daher vor allem in der Generierung von zellulären Modellen und Tiermodellen. Das ermöglicht uns, die diesen Krankheiten zu Grunde liegenden molekularen Mechanismen schneller zu bestimmen. Basierend auf diesen Ergebnissen können neue therapeutische Konzepte entwickelt werden.

Worin sehen Sie die Vor- und Nachteile gegenüber anderen Genome-Editing-Verfahren und der klassischen Gentechnik?

Wurst: Die Vorteile liegen eindeutig in der universalen Anwendung, der Effizienz, der Einfachheit der Durchführung der Experimente sowie den geringen Kosten. Die Experimente können so durchgeführt werden, dass keine sichtbaren Veränderungen in dem Genom hinterlassen werden. Einziger Nachteil gegenüber bisher im Genome-Editing benutzen Nukleasen ist eine gewisse Einschränkung in Bezug auf die Zielsequenzen, da diese über ein kurzes aber spezifisches Motiv (PAM, protospacer adjacent motive) verfügen müssen.

Kritiker sagen, bei dem CRISPR/Cas9-System handele es sich um „Gentechnik durch die Hintertür“. Wie stehen Sie dazu?

Wurst: Bei dieser Methode handelt es sich um eine neue Technologie, die zur genetischen Veränderung eingesetzt wird, um Genfunktionen sowohl in tierischen als auch in pflanzlichen Organismen zu bestimmen. Die Anwendung im biomedizinischen Bereich wird die Entwicklung neuer Therapien beflügeln. Meiner Meinung nach betritt diese Technologie die Bühne der Gentechnik daher vielmehr direkt durch die „Vordertür“, verbunden mit allen Vorteilen und potenziellen Nachteilen.

In China und Großbritannien führen Forscher mit dem CRISPR/Cas9-System bereits Versuche an embryonalen Stammzellen durch. Das hat weltweit für eine intensive ethische Debatte gesorgt. Wie weit darf hier Ihrer Meinung nach die Forschung gehen? 

Wurst: In der Tat werden mit dem CRISPR/Cas9-System weltweit Experimente an menschlichen embryonalen Stammzellen durchführt, um Gendefekte zu erforschen, die bestimmten Krankheiten zu Grunde liegen. Diese Experimente dienen der Grundlagenforschung, um die Krankheitsmechanismen besser zu verstehen und im nächsten Schritt neue Therapien entwickeln zu können.

So wurden in China bereits Experimente an defekten, nicht-lebensfähigen menschlichen Embryonen durchgeführt. Diese Experimente haben weltweit in der Wissenschaftsgemeinde zu ethischen Diskussionen geführt. In der Folge wurde ein Moratorium vorgeschlagen, Experimente an humanen Embryonen so lange auszusetzen, bis alle technischen Limitationen und ethischen Vorbehalte aufgeklärt sind.

Ich persönlich bin zum gegenwärtigen Zeitpunkt unseres Wissens gegen jegliche genetische Veränderung des menschlichen Genoms in Embryonen oder Keimzellen.

Professor Dr. Wolfgang Wurst

Ich persönlich bin zum gegenwärtigen Zeitpunkt unseres Wissens gegen jegliche genetische Veränderung des menschlichen Genoms in Embryonen oder Keimzellen, weil damit genetische Veränderungen auf die nachfolgende Generation übertragen werden können. Aktuell kennen wir nicht alle möglichen Nebenwirkungen dieser Technologie. Dazu zählt insbesondere das Risiko unerwünschter Mutationen, die dann auch auf die nächste Generation übertragen werden könnten. Da die Technologie universell anwendbar ist, können nicht nur Gendefekte von Erbkrankheiten repariert werden, sondern auch menschliche Eigenschaften verändert werden, um sogenannte „Designer-Babys“ zu generieren. Auf Grund der Möglichkeit einer in-vitro-Fertilisation in Kombination mit Pränatal-Diagnostik besteht kein Grund, Gendefekte von Erbkrankheiten im Genom von Nachkommen zu korrigieren. A Insbesondere die Erzeugung von „Designer-Babys“ lehne ich aus ethischen Gründen grundsätzlich ab.

Unter Wissenschaftlern herrscht zwar ein gewisser Konsens darüber, wofür das CRISPR/Cas9-System eingesetzt werden darf und wofür nicht. Eine verbindliche rechtliche Regelung gibt es jedoch nicht. Was muss sich ändern?

Wurst: In Deutschland ist die genetische Manipulation an Embryonen durch das Embryonenschutzgesetz verboten. In vielen anderen Ländern gibt es zwar dahingehend Empfehlungen, aber keine klaren Verbote. Deshalb sollte es klare internationale Regeln geben, die die Keimbahnmanipulationen beim Menschen grundsätzlich verbieten.

Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Wann wird es den ersten genmanipulierten Menschen geben?

Wurst: Ich hoffe, dass es nie einen keimbahnmanipulierten Menschen geben wird. Ich bin jedoch überzeugt, dass diese Technologie möglichst bald für die Gentherapie von Körperzellen beim Menschen angewendet werden sollte. Dadurch könnten schwere Erbkrankheiten erfolgreich behandelt werden, für die es gegenwärtig keine Therapiemöglichkeiten gibt. Beispiele dafür sind Muskeldystrophie oder Mukoviszidose.

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