Mehrere Jahrzehnte lang stockte der Kampf gegen das Respiratorische Synzytialvirus (RSV). Ein Misserfolg während einer Studie in den 1960er Jahren hatte zum Tod von zwei Kindern geführt. Der Rückschlag führte zu jahrzehntelanger Schockstarre in Forschung und Pharmaindustrie. Seitdem zählt die Atemwegserkrankung Jahr für Jahr zu den häufigsten Ursachen für Krankenhausaufenthalte und Todesfälle im frühen Kindesalter. Im Jahr 2013 konnte ein Durchbruch den Rückschlag erklären. Diese Erkenntnis brachte neuen Schwung für die Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten. Zehn Jahre später sind sie nun verfügbar.
Das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) verursacht akute Erkrankungen der oberen und unteren Atemwege. Das Virus ist weltweit verbreitet und bei Kleinkindern und älteren Menschen eine der Hauptursachen für Lungenentzündungen.
RSV gehört zu den letzten sogenannten Kinderkrankheiten, für die es bis vor Kurzem keinen zugelassenen Impfstoff gab. Im Frühjahr 2023 wurden dann in Europa und in den USA erste Impfstoffe gegen RSV für Menschen über 60 Jahren zugelassen, RSV-Impfstoffe für Schwangere, Babys und Kinder folgten im August.
RSV-Studie mit 65 Mäusen und 12 Affen
Babys bis zum Alter von 6 Monaten besitzen das höchste Risiko, wegen einer RSV-Infektion in ein Krankenhaus eingewiesen zu werden. Die US-Medikamentenbehörde FDA will deswegen noch 2023 einen Impfstoff für Schwangere zulassen. Schwangere sollen den Impfstoff erhalten, um Antikörper zu bilden, die sowohl Kinder im Mutterleib als auch Babys schützen. Dabei geben geimpfte Mütter die schützenden Antikörper über das Stillen an das Baby weiter. Ebenfalls kürzlich zugelassen wurde eine direkte Antikörperbehandlung in den USA, die als Injektion nach der Geburt oder zu Beginn der RSV-Saison zum Schutz im ersten Lebensjahr verabreicht wird.
Möglich wurden die jüngsten Erfolge durch eine bahnbrechende Studie in der Grundlagenforschung. Die Daten der Studie, aufgrund derer nun mehrere RSV-vorbeugende Impfstoffe und Antikörpermedikamente entwickelt werden konnten, wurden im Jahr 2013 mit Hilfe von Versuchen an 65 Mäusen und 12 Affen (Makaken) gewonnen.
Struktur des F-Protein auf Virusoberfläche identifiziert
Forschende des National Institute of Health (NIH) in den USA hatten in der Studie die Struktur des so genannten F-Proteins auf der Oberfläche des RS-Virus entschlüsselt. Dieses F-Protein heftet sich an die Körperzellen, in die das Virus anschließend eindringt, und verändert danach seine Form. In der Studie schauten sich Forschende die Struktur des F-Proteins an, bevor es in die Zellen eindringt. In diesem Zustand weist das F-Protein eine besonders „verletzbare“ Stelle auf, die „antigene Stelle Ø“. Diese Stelle des Virus wird von besonders effizienten Antikörpern angegriffen, die das Immunsystem in der Abwehr stark unterstützen. Die Antikörper schalten das RS-Virus dabei aus und machen es so unschädlich. Den Forschenden gelang es, F-Proteine zu designen, die ihren angreifbaren Zustand in der Zelle stabil beibehalten. Das F-Protein ist so zusagen eingefroren, um diesen Zustand den Antikörpern lange zu präsentieren.
Wird das modifizierte F-Protein nun als Impfstoff verabreicht, kann der Körper erfolgreich Antikörper bilden und das Virus bekämpfen, wenn es dann zu einer echten Infektion kommt. Mit diesem Designer-Impfstoff wurden in der Studie Mäuse und Affen immunisiert. Ihr Immunsystem bildete daraufhin ein Vielfaches der Menge von wirkungsvollen Antikörpern, die ein Primaten-Immunsystem für einem Impfschutz gegen das RS-Virus bräuchte. Der Test an Tieren war unbedingt erforderlich, um einen schädlichen oder gar tödlichen Effekt wie in den Tests mit ersten Impfstoffen in den 1960er Jahren auszuschließen.
Sicherheitsprüfungen an Mäusen und Kaninchen
Zum Schutz der Menschen vor schädlichen Effekten werden für die Zulassung der Medikamente noch weitere Tierversuche durchgeführt. Es ist gesetzlich vorgeschrieben, bestimmte Tests zur Sicherheit und Wirksamkeit an zwei verschiedenen Tierarten durchzuführen, bevor ein neues Medikament am Menschen geprüft werden darf. Im Falle des kürzlich in Deutschland zugelassenen Designer-Impfstoffs gegen RSV der Firma GSK wurden diese Sicherheitsprüfungen zum Beispiel an Mäusen und Kaninchen durchgeführt.
Die 2013 veröffentlichte NIH-Studie stammt von den gleichen Wissenschaftler*innen, die auch herausgefunden hatten, wie man das SARS-CoV-2-Virus angreifen kann. Ihre Arbeit hat den jahrzehntelangen Stillstand der RSV-Forschung beendet und den Weg zu Zulassungen für Präventivtherapien ermöglicht. In der Wissenschaft wurde deshalb schon Anfang 2023 vom „Science Breakthrough of the Year“ gesprochen.
Welche Hürden es bei der Entwicklung des RSV-Impfstoffs zu überwinden gab, erzählt Prof. Dr. Thomas Pietschmann im Interview mit Tierversuche verstehen. Pietschmann forscht am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig und am TWINCORE in Hannover.