Abgastests mit Primaten in Europa kaum vorstellbar

Die Enthüllungen der New York Times über Tests mit Autoabgasen an Affen haben in der Öffentlichkeit viele Fragen zu Tierversuchen, insbesondere solche mit Primaten, aufgeworfen. Im Interview nimmt Prof. Stefan Treue, Direktor des Deutschen Primatenzentrums und Sprecher der Initiative Tierversuche verstehen, zu den Vorkommnissen in den USA und dem Thema Versuche an Primaten Stellung.

Wie bewerten Sie die Vorkommnisse in den USA?

Prof. Stefan Treue: Wir wissen nach wie vor wenig darüber, wie genau dort diese Versuche abgelaufen sind. Das bedeutet, dass wir nicht genügend Informationen haben, um zu wissen wie in Europa eine Genehmigungsbehörde bei einem entsprechenden Tierversuchsantrag entscheiden würde. Für die behördliche Bewertung von Tierversuchsanträgen ist unter anderem wichtig, ob die Fragestellung, die ein Versuch beantworten soll, von erheblicher wissenschaftlicher Bedeutung ist. Außerdem ist unklar, wie die Experimente durchgeführt wurden und ob die Wahl der Tierart, hier Primaten, zur Klärung der Forschungsfrage gerechtfertigt war. All dies erscheint nach den mir vorliegenden Informationen äußerst zweifelhaft, Insofern ist es kaum vorstellbar, dass der Versuch in Europa zulassungsfähig gewesen wäre.

Wären diese Versuche also auch in Deutschland nicht möglich gewesen?

Prof. Treue: Es geht auch in Deutschland unter anderem um diese Kriterien: Ist die Fragestellung bedeutsam? Ist die Fragestellung durch das Versuchsdesign zu beantworten? Ist die Wahl der Tiere begründbar? Gibt es keine Alternativmethode? Nach dem, was wir wissen, sind diese Fragen zu verneinen. Denn wir wissen bereits viel über Auto-Abgase, natürlich auch durch sorgfältig und verantwortungsbewusst durchgeführte Tierversuche in der Vergangenheit. Also erscheint die wissenschaftliche Fragestellung nicht von herausragender Bedeutung. Das Design scheint nicht geeignet zu sein, die Sicherheit der Bevölkerung bei der Emission von Diesel-Abgasen nachzuweisen. Und auch die Wahl der Tiere erscheint angesichts der Tatsache, dass wir schon einiges über die schädlichen Auswirkung von Diesel-Abgasen wissen, nicht nachvollziehbar. Hinzu kommt, dass die Versuche offenbar mit der Absicht in Auftrag gegeben wurden, neuere Dieselmotoren als besonders sauber darzustellen, von der Verwendung eines Fahrzeugs mit Abschaltvorrichtung ganz abgesehen.

Wodurch unterscheidet sich diese umstrittene Studie von wissenschaftlichen Versuchen in deutschen Forschungseinrichtungen und Hochschulen?

Prof. Treue: Zunächst muss man grundsätzlich festhalten, dass Tests auf die Giftigkeit von Substanzen ein gesellschaftlich und wissenschaftlich enorm wichtiges Forschungsfeld ist. Toxikologische Studien werden natürlich auch in Europa durchgeführt, weil sie von großer Bedeutung für die Menschen sind. Denn wir wollen ja, dass Entscheidungen über Grenzwerte auf wissenschaftlichen Daten beruhen. Die dem zugrunde liegende Forschung basiert unter anderem auch auf Tierversuchen. Tierversuche an Mäusen und Ratten waren zum Beispiel wichtig, um überhaupt ein Problembewusstsein für die Schädlichkeit von Feinstaub und Stickoxiden zu erreichen.

Für welche Zwecke dürfen Versuche an Affen in der Europäischen Union durchgeführt werden? Welche Affenarten kommen in welchen Bereichen zum Einsatz?

Prof. Treue: Grundsätzlich gibt es Tierversuche in vielen Bereichen der biowissenschaftlichen Forschung. Explizit verboten sind sie in Bereichen wie der Kosmetikforschung oder in der Erforschung von Waffen. Gesetzlich vorgeschrieben sind sie, wenn es um die Erforschung neuer medizinischer Substanzen wie Medikamente geht. Damit soll die Sicherheit erhöht werden, wenn diese Substanzen später menschlichen Testpersonen verabreicht werden.

Primaten spielen in der biomedizinischen Forschung zahlenmäßig eine sehr kleine Rolle. Sie werden nur eingesetzt, wenn es keine Alternative gibt, d.h. wenn keine anderen Tiere in Frage kommen, mit denen man die Fragestellung beantworten könnte. Über 75 Prozent der Primaten in der Forschung werden in der Giftigkeitsprüfung neuer Medikamente eingesetzt, weil man hier auch auf Tiere mit besonders menschenähnlichen physiologischen Eigenschaften angewiesen ist. Die anderen 25 Prozent der Primaten werden in der Grundlagenforschung untersucht. Dort geht es hauptsächlich um Infektionskrankheiten, die für den Menschen von herausragender Bedeutung sind, und um Fragen der Neurowissenschaften, der Herz-Kreislaufforschung und der Reproduktionsbiologie.

Welche Krankheiten und Leiden werden mit Hilfe von Versuchen an Primaten erforscht?

Prof. Treue: Die Infektionsforschung betrifft zum Beispiel Aids, Ebola, die Grippe und vergleichbar bedeutsame Erkrankungen. Im neurowissenschaftlichen Bereich geht es zunächst um die Erforschung des gesunden Gehirns, und dann um das Verständnis von neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson oder Schizophrenie. Auch wird versucht, Menschen mit Querschnittslähmungen zu helfen, indem sie Prothesen mittels ihrer Gedanken steuern.

Die Entwicklung von alternativen Methoden geht voran. Können diese Versuche an Primaten künftig ersetzen?

Prof. Treue: Die Suche nach Alternativen zu Tierversuchen ist so alt wie die Tierversuche selber. Und im Laufe der Zeit hat es immer Bereiche gegeben, in denen Tierversuche gemäß dem 3R-Prinzip durch alternative Methoden reduziert, weniger belastend durchgeführt oder sogar ersetzt werden konnten. Das größte Potenzial, durch Alternativmethoden ersetzt zu werden, haben einfache Versuche, wenn zum Beispiel die Giftigkeit von einzelnen Substanzen auf einzelne Zellen untersucht wird. Viel schwieriger zu entwickeln sind Alternativmethoden, die komplexe Systeme adäquat darstellen können, wie zum Beispiel unser Immunsystem, das Herz-Kreislauf-System oder unser Nervensystem.

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